Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Ausgeschenk der Augsburger Buchbinder

Je größer der Rausch, um so größer die Ehre. Und wenn dann am Schlüsse
des Gelages die bekannte Viertelstunde Rabelais kam und Abrechnung gehalten
wurde, so reichte das Geld, das beim Beginne zusammengeschossen worden
war, niemals aus. Es mußte unter erklärlicher Erregung der Gemüter von
neuem gesammelt werden, und da fehlte es denn selten an gegenseitigen Vor¬
würfen und Beleidigungen; mitunter kam es sogar zu Schlägereien, und es
wurde dann auch wohl manchmal, um den Streit zu schlichten, der Fehlbetrag
der Innungslade entnommen. Es geschah, daß auf diese Weise vierzig und
mehr Gulden, die zur Unterstützung notleidender Gesellen aufgebracht worden
waren, auf einem Sitze verpraßt wurden.

Dies alles war um ohne Zweifel höchst tadelnswert und verdiente
Besserung. Gleichwohl hätten die städtischen Behörden aus eignem Antrieb
schwerlich Anlaß genommen, sich mit der Sache näher zu befassen; aber unter
den Buchbindergeselleu selbst gab es einige fortschrittlich gesinnte Geister, die
jenes Zeremoniell für albern und das viele Trinken für lasterhaft und schädlich
erklärten. Als ihnen daher das Neichsgesetz von 1731 bekannt gemacht wurde,
behaupteten sie, es passe auf den vorliegende" Fall, stießen hiermit jedoch in
ihrer Innung selbst, sogar bei den Meistern auf entschiednen Widerspruch.
Darauf wandten sie sich an das Handwerksgericht, einen Ausschuß vou mehrern
Ratsherren, der die Beschwerden der Handwerker zu hören und in erster In¬
stanz darüber zu entscheiden hatte.

Daß in dem Gesetz Gebräuche wie das Ausgescheuk der Buchbinder ge¬
troste" wurden, ist keine Frage, heißt es doch ausdrücklich darin: "Ingleichen
so halten sie, nämlich die Handwerker, auf ihre Haudwerksgrüße, läppische
Redensarten und dergleichen ungereimte Dinge so scharpf, daß derjenige, welcher
in Ablegung oder Erzählung dererselbigen nur ein Wort oder Jota fehlet,
sich alsobald einer gewissen Geldstrafe unterziehen muß." Das Handwerks-
gericht entschied denn auch ohne langes Besinnen am 16. April 1732, daß
das Ausgeschenk als ein sinnloser und schädlicher Brauch abzuschaffen sei.

Darob gewaltige Aufregung in der ganzen Innung. Es fanden Protest-
Versammlungen statt, wobei es sehr lebhaft herging. Die Fortschrittler wurden
überschrien und Meuterer und Rebellen titulirt und suchten um Schutz und
Hilfe bei dem Haudwerksgericht, unter dessen Vermittlung längere mündliche
und schriftliche Verhandlungen zwischen beiden Teilen geführt wurden. Dabei
zeigte sich jedoch schnell, daß die Aufgeklärten in hoffnungsloser Minderheit
waren. Eine Eingabe vom 6. Mai 1732, worin sie das Zeremoniell des
Ausgcschenks vom Anfang bis zum Ende umständlich beschreiben, ist nur von
vier Gesellen unterzeichnet, je einem aus Pommern, aus Kopenhagen, aus
Altdorf und aus Augsburg selbst. Die Replik ihrer konservativen Wider¬
sacher dagegen, die am 23. Juni einlief, zeigt die Namen von fünfundzwanzig,
d. i. wahrscheinlich von allen Meistern, mit Ausnahme der Witwen, und von


Das Ausgeschenk der Augsburger Buchbinder

Je größer der Rausch, um so größer die Ehre. Und wenn dann am Schlüsse
des Gelages die bekannte Viertelstunde Rabelais kam und Abrechnung gehalten
wurde, so reichte das Geld, das beim Beginne zusammengeschossen worden
war, niemals aus. Es mußte unter erklärlicher Erregung der Gemüter von
neuem gesammelt werden, und da fehlte es denn selten an gegenseitigen Vor¬
würfen und Beleidigungen; mitunter kam es sogar zu Schlägereien, und es
wurde dann auch wohl manchmal, um den Streit zu schlichten, der Fehlbetrag
der Innungslade entnommen. Es geschah, daß auf diese Weise vierzig und
mehr Gulden, die zur Unterstützung notleidender Gesellen aufgebracht worden
waren, auf einem Sitze verpraßt wurden.

Dies alles war um ohne Zweifel höchst tadelnswert und verdiente
Besserung. Gleichwohl hätten die städtischen Behörden aus eignem Antrieb
schwerlich Anlaß genommen, sich mit der Sache näher zu befassen; aber unter
den Buchbindergeselleu selbst gab es einige fortschrittlich gesinnte Geister, die
jenes Zeremoniell für albern und das viele Trinken für lasterhaft und schädlich
erklärten. Als ihnen daher das Neichsgesetz von 1731 bekannt gemacht wurde,
behaupteten sie, es passe auf den vorliegende» Fall, stießen hiermit jedoch in
ihrer Innung selbst, sogar bei den Meistern auf entschiednen Widerspruch.
Darauf wandten sie sich an das Handwerksgericht, einen Ausschuß vou mehrern
Ratsherren, der die Beschwerden der Handwerker zu hören und in erster In¬
stanz darüber zu entscheiden hatte.

Daß in dem Gesetz Gebräuche wie das Ausgescheuk der Buchbinder ge¬
troste» wurden, ist keine Frage, heißt es doch ausdrücklich darin: „Ingleichen
so halten sie, nämlich die Handwerker, auf ihre Haudwerksgrüße, läppische
Redensarten und dergleichen ungereimte Dinge so scharpf, daß derjenige, welcher
in Ablegung oder Erzählung dererselbigen nur ein Wort oder Jota fehlet,
sich alsobald einer gewissen Geldstrafe unterziehen muß." Das Handwerks-
gericht entschied denn auch ohne langes Besinnen am 16. April 1732, daß
das Ausgeschenk als ein sinnloser und schädlicher Brauch abzuschaffen sei.

Darob gewaltige Aufregung in der ganzen Innung. Es fanden Protest-
Versammlungen statt, wobei es sehr lebhaft herging. Die Fortschrittler wurden
überschrien und Meuterer und Rebellen titulirt und suchten um Schutz und
Hilfe bei dem Haudwerksgericht, unter dessen Vermittlung längere mündliche
und schriftliche Verhandlungen zwischen beiden Teilen geführt wurden. Dabei
zeigte sich jedoch schnell, daß die Aufgeklärten in hoffnungsloser Minderheit
waren. Eine Eingabe vom 6. Mai 1732, worin sie das Zeremoniell des
Ausgcschenks vom Anfang bis zum Ende umständlich beschreiben, ist nur von
vier Gesellen unterzeichnet, je einem aus Pommern, aus Kopenhagen, aus
Altdorf und aus Augsburg selbst. Die Replik ihrer konservativen Wider¬
sacher dagegen, die am 23. Juni einlief, zeigt die Namen von fünfundzwanzig,
d. i. wahrscheinlich von allen Meistern, mit Ausnahme der Witwen, und von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290238"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Ausgeschenk der Augsburger Buchbinder</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1337" prev="#ID_1336"> Je größer der Rausch, um so größer die Ehre. Und wenn dann am Schlüsse<lb/>
des Gelages die bekannte Viertelstunde Rabelais kam und Abrechnung gehalten<lb/>
wurde, so reichte das Geld, das beim Beginne zusammengeschossen worden<lb/>
war, niemals aus. Es mußte unter erklärlicher Erregung der Gemüter von<lb/>
neuem gesammelt werden, und da fehlte es denn selten an gegenseitigen Vor¬<lb/>
würfen und Beleidigungen; mitunter kam es sogar zu Schlägereien, und es<lb/>
wurde dann auch wohl manchmal, um den Streit zu schlichten, der Fehlbetrag<lb/>
der Innungslade entnommen. Es geschah, daß auf diese Weise vierzig und<lb/>
mehr Gulden, die zur Unterstützung notleidender Gesellen aufgebracht worden<lb/>
waren, auf einem Sitze verpraßt wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1338"> Dies alles war um ohne Zweifel höchst tadelnswert und verdiente<lb/>
Besserung. Gleichwohl hätten die städtischen Behörden aus eignem Antrieb<lb/>
schwerlich Anlaß genommen, sich mit der Sache näher zu befassen; aber unter<lb/>
den Buchbindergeselleu selbst gab es einige fortschrittlich gesinnte Geister, die<lb/>
jenes Zeremoniell für albern und das viele Trinken für lasterhaft und schädlich<lb/>
erklärten. Als ihnen daher das Neichsgesetz von 1731 bekannt gemacht wurde,<lb/>
behaupteten sie, es passe auf den vorliegende» Fall, stießen hiermit jedoch in<lb/>
ihrer Innung selbst, sogar bei den Meistern auf entschiednen Widerspruch.<lb/>
Darauf wandten sie sich an das Handwerksgericht, einen Ausschuß vou mehrern<lb/>
Ratsherren, der die Beschwerden der Handwerker zu hören und in erster In¬<lb/>
stanz darüber zu entscheiden hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1339"> Daß in dem Gesetz Gebräuche wie das Ausgescheuk der Buchbinder ge¬<lb/>
troste» wurden, ist keine Frage, heißt es doch ausdrücklich darin: &#x201E;Ingleichen<lb/>
so halten sie, nämlich die Handwerker, auf ihre Haudwerksgrüße, läppische<lb/>
Redensarten und dergleichen ungereimte Dinge so scharpf, daß derjenige, welcher<lb/>
in Ablegung oder Erzählung dererselbigen nur ein Wort oder Jota fehlet,<lb/>
sich alsobald einer gewissen Geldstrafe unterziehen muß." Das Handwerks-<lb/>
gericht entschied denn auch ohne langes Besinnen am 16. April 1732, daß<lb/>
das Ausgeschenk als ein sinnloser und schädlicher Brauch abzuschaffen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1340" next="#ID_1341"> Darob gewaltige Aufregung in der ganzen Innung. Es fanden Protest-<lb/>
Versammlungen statt, wobei es sehr lebhaft herging. Die Fortschrittler wurden<lb/>
überschrien und Meuterer und Rebellen titulirt und suchten um Schutz und<lb/>
Hilfe bei dem Haudwerksgericht, unter dessen Vermittlung längere mündliche<lb/>
und schriftliche Verhandlungen zwischen beiden Teilen geführt wurden. Dabei<lb/>
zeigte sich jedoch schnell, daß die Aufgeklärten in hoffnungsloser Minderheit<lb/>
waren. Eine Eingabe vom 6. Mai 1732, worin sie das Zeremoniell des<lb/>
Ausgcschenks vom Anfang bis zum Ende umständlich beschreiben, ist nur von<lb/>
vier Gesellen unterzeichnet, je einem aus Pommern, aus Kopenhagen, aus<lb/>
Altdorf und aus Augsburg selbst. Die Replik ihrer konservativen Wider¬<lb/>
sacher dagegen, die am 23. Juni einlief, zeigt die Namen von fünfundzwanzig,<lb/>
d. i. wahrscheinlich von allen Meistern, mit Ausnahme der Witwen, und von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0469] Das Ausgeschenk der Augsburger Buchbinder Je größer der Rausch, um so größer die Ehre. Und wenn dann am Schlüsse des Gelages die bekannte Viertelstunde Rabelais kam und Abrechnung gehalten wurde, so reichte das Geld, das beim Beginne zusammengeschossen worden war, niemals aus. Es mußte unter erklärlicher Erregung der Gemüter von neuem gesammelt werden, und da fehlte es denn selten an gegenseitigen Vor¬ würfen und Beleidigungen; mitunter kam es sogar zu Schlägereien, und es wurde dann auch wohl manchmal, um den Streit zu schlichten, der Fehlbetrag der Innungslade entnommen. Es geschah, daß auf diese Weise vierzig und mehr Gulden, die zur Unterstützung notleidender Gesellen aufgebracht worden waren, auf einem Sitze verpraßt wurden. Dies alles war um ohne Zweifel höchst tadelnswert und verdiente Besserung. Gleichwohl hätten die städtischen Behörden aus eignem Antrieb schwerlich Anlaß genommen, sich mit der Sache näher zu befassen; aber unter den Buchbindergeselleu selbst gab es einige fortschrittlich gesinnte Geister, die jenes Zeremoniell für albern und das viele Trinken für lasterhaft und schädlich erklärten. Als ihnen daher das Neichsgesetz von 1731 bekannt gemacht wurde, behaupteten sie, es passe auf den vorliegende» Fall, stießen hiermit jedoch in ihrer Innung selbst, sogar bei den Meistern auf entschiednen Widerspruch. Darauf wandten sie sich an das Handwerksgericht, einen Ausschuß vou mehrern Ratsherren, der die Beschwerden der Handwerker zu hören und in erster In¬ stanz darüber zu entscheiden hatte. Daß in dem Gesetz Gebräuche wie das Ausgescheuk der Buchbinder ge¬ troste» wurden, ist keine Frage, heißt es doch ausdrücklich darin: „Ingleichen so halten sie, nämlich die Handwerker, auf ihre Haudwerksgrüße, läppische Redensarten und dergleichen ungereimte Dinge so scharpf, daß derjenige, welcher in Ablegung oder Erzählung dererselbigen nur ein Wort oder Jota fehlet, sich alsobald einer gewissen Geldstrafe unterziehen muß." Das Handwerks- gericht entschied denn auch ohne langes Besinnen am 16. April 1732, daß das Ausgeschenk als ein sinnloser und schädlicher Brauch abzuschaffen sei. Darob gewaltige Aufregung in der ganzen Innung. Es fanden Protest- Versammlungen statt, wobei es sehr lebhaft herging. Die Fortschrittler wurden überschrien und Meuterer und Rebellen titulirt und suchten um Schutz und Hilfe bei dem Haudwerksgericht, unter dessen Vermittlung längere mündliche und schriftliche Verhandlungen zwischen beiden Teilen geführt wurden. Dabei zeigte sich jedoch schnell, daß die Aufgeklärten in hoffnungsloser Minderheit waren. Eine Eingabe vom 6. Mai 1732, worin sie das Zeremoniell des Ausgcschenks vom Anfang bis zum Ende umständlich beschreiben, ist nur von vier Gesellen unterzeichnet, je einem aus Pommern, aus Kopenhagen, aus Altdorf und aus Augsburg selbst. Die Replik ihrer konservativen Wider¬ sacher dagegen, die am 23. Juni einlief, zeigt die Namen von fünfundzwanzig, d. i. wahrscheinlich von allen Meistern, mit Ausnahme der Witwen, und von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/469
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/469>, abgerufen am 26.08.2024.