Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Geschichtsphilosophische Gedanken

Als sich Trümpelmann in einem seiner vielen Prozesse einmal auf Luther
berief, da ward ihm -- wir erinnern uns nicht mehr genau ob vom Vor¬
sitzenden Richter oder vom Staatsanwalt -- die Antwort: Lebte Luther heute,
und erkühnte er sich die Sprache zu führen, die er geführt hat, so würde er
eben auch eingesperrt werden. So ist es. Weder Luthers Wort noch Luthers
Werk Ware möglich gewesen in einem großen Polizeistaate von der Art unsrer
modernen Staaten. Wir wollen nicht von seinen Kraftausdrücken sprechen,
für die sich heute kein Setzer fände. Wir wollen nur an eine Stelle seiner
Leichenrede auf den Kurfürsten Johann erinnern: "Mit Herzog Friedrich ist
die Weisheit, mit Herzog Johannsen die Frömmigkeit gestorben, und nun
hinfort wird der Adel regieren, so Weisheit und Frömmigkeit hinweg ist.
Sie wissen, daß mein junger Herr, Herzog Johann Friedrich, einen eignen
Sinn hat und nicht viel auf die Schreibfedern giebt, das gefüllt ihnen wohl;
er hat Klugheit genug, fo hat er auch eignes Sinnes genug, fo wird ihm
der Adel Muts genug predigen. Wenn er seines Vetters Weisheit und seines
Vaters Frömmigkeit halb hätte, so wollte ich ihm seinen Sinn auch halb
gönnen und viel Glücks dazu wünschen." Man denke sich diesen Satz mit
den entsprechenden Änderungen in der Leichenrede des betreffenden Hofpredigers
auf den Kaiser Friedrich! Ganz Berlin wäre in Ohnmacht gefallen. Der Satz
erinnert an eine Predigt, die der schon vor Luthers Auftreten verstorbene
Gener von Kaisersberg bei der Inthronisation eines Straßburger Bischofs
hielt, der doch auch sein Landesherr war. Du kannst dirs bequem machen,
so ungefähr redete er den Fürsten an, denn du hast einen viog-ruf in sxiri-
Wll1ihn8 und einen vivarius in wmporgMus; aber was wirst du für einen
vieÄi'Ws in interng.lito.8 haben? Und dann denke man an Luthers köstlichen
Strauß mit dem Kurfürsten Albrecht von Mainz, einem der mächtigsten, wo
nicht dem mächtigsten Reichsfürsten, denn er war zugleich Erzbischof von
Magdeburg und ein brandenburgischer Prinz! Als dieser Mann, der für seine
üppige Hofhaltung viel Geld brauchte, im Herbst 1521 zu Halle den Abla߬
handel wieder in Gang zu bringen suchte, da richtete Luther aus seiner
"Wüstung," d. i. von der Wartburg, ein eindringliches Abmahnungsschreiben
an den großmächtigen Kirchen- und Reichsfürsten. Da das nicht half, ver¬
faßte er die Schrift "Vom neuen Abgott zu Halle." Der Druck wurde zwar
in Wittenberg vom Hofe verhindert, aber Luther, noch mehr gereizt durch die
von der erzbischöflichen Behörde gegen einen verheirateten Geistlichen ein¬
geleitete Untersuchung, richtete nun ein zweites Schreiben an Albrecht, in dem
er die Sprache eines Gewaltigen redet. Er habe, heißt es im Eingang, des
Erzbischofs und des Hauses Brandenburg zeither verschont, weil er gedacht,
jener handle aus Unverstand so. Nachdem er aber auf seine erste treue Ver-
mahnung Spott und Undank geerntet, auf seine zweite eine harte, unartige,
unchristliche und nnbischöfliche Antwort erhalten, wolle er nunmehr dem


Geschichtsphilosophische Gedanken

Als sich Trümpelmann in einem seiner vielen Prozesse einmal auf Luther
berief, da ward ihm — wir erinnern uns nicht mehr genau ob vom Vor¬
sitzenden Richter oder vom Staatsanwalt — die Antwort: Lebte Luther heute,
und erkühnte er sich die Sprache zu führen, die er geführt hat, so würde er
eben auch eingesperrt werden. So ist es. Weder Luthers Wort noch Luthers
Werk Ware möglich gewesen in einem großen Polizeistaate von der Art unsrer
modernen Staaten. Wir wollen nicht von seinen Kraftausdrücken sprechen,
für die sich heute kein Setzer fände. Wir wollen nur an eine Stelle seiner
Leichenrede auf den Kurfürsten Johann erinnern: „Mit Herzog Friedrich ist
die Weisheit, mit Herzog Johannsen die Frömmigkeit gestorben, und nun
hinfort wird der Adel regieren, so Weisheit und Frömmigkeit hinweg ist.
Sie wissen, daß mein junger Herr, Herzog Johann Friedrich, einen eignen
Sinn hat und nicht viel auf die Schreibfedern giebt, das gefüllt ihnen wohl;
er hat Klugheit genug, fo hat er auch eignes Sinnes genug, fo wird ihm
der Adel Muts genug predigen. Wenn er seines Vetters Weisheit und seines
Vaters Frömmigkeit halb hätte, so wollte ich ihm seinen Sinn auch halb
gönnen und viel Glücks dazu wünschen." Man denke sich diesen Satz mit
den entsprechenden Änderungen in der Leichenrede des betreffenden Hofpredigers
auf den Kaiser Friedrich! Ganz Berlin wäre in Ohnmacht gefallen. Der Satz
erinnert an eine Predigt, die der schon vor Luthers Auftreten verstorbene
Gener von Kaisersberg bei der Inthronisation eines Straßburger Bischofs
hielt, der doch auch sein Landesherr war. Du kannst dirs bequem machen,
so ungefähr redete er den Fürsten an, denn du hast einen viog-ruf in sxiri-
Wll1ihn8 und einen vivarius in wmporgMus; aber was wirst du für einen
vieÄi'Ws in interng.lito.8 haben? Und dann denke man an Luthers köstlichen
Strauß mit dem Kurfürsten Albrecht von Mainz, einem der mächtigsten, wo
nicht dem mächtigsten Reichsfürsten, denn er war zugleich Erzbischof von
Magdeburg und ein brandenburgischer Prinz! Als dieser Mann, der für seine
üppige Hofhaltung viel Geld brauchte, im Herbst 1521 zu Halle den Abla߬
handel wieder in Gang zu bringen suchte, da richtete Luther aus seiner
„Wüstung," d. i. von der Wartburg, ein eindringliches Abmahnungsschreiben
an den großmächtigen Kirchen- und Reichsfürsten. Da das nicht half, ver¬
faßte er die Schrift „Vom neuen Abgott zu Halle." Der Druck wurde zwar
in Wittenberg vom Hofe verhindert, aber Luther, noch mehr gereizt durch die
von der erzbischöflichen Behörde gegen einen verheirateten Geistlichen ein¬
geleitete Untersuchung, richtete nun ein zweites Schreiben an Albrecht, in dem
er die Sprache eines Gewaltigen redet. Er habe, heißt es im Eingang, des
Erzbischofs und des Hauses Brandenburg zeither verschont, weil er gedacht,
jener handle aus Unverstand so. Nachdem er aber auf seine erste treue Ver-
mahnung Spott und Undank geerntet, auf seine zweite eine harte, unartige,
unchristliche und nnbischöfliche Antwort erhalten, wolle er nunmehr dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290225"/>
          <fw type="header" place="top"> Geschichtsphilosophische Gedanken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1299" next="#ID_1300"> Als sich Trümpelmann in einem seiner vielen Prozesse einmal auf Luther<lb/>
berief, da ward ihm &#x2014; wir erinnern uns nicht mehr genau ob vom Vor¬<lb/>
sitzenden Richter oder vom Staatsanwalt &#x2014; die Antwort: Lebte Luther heute,<lb/>
und erkühnte er sich die Sprache zu führen, die er geführt hat, so würde er<lb/>
eben auch eingesperrt werden. So ist es. Weder Luthers Wort noch Luthers<lb/>
Werk Ware möglich gewesen in einem großen Polizeistaate von der Art unsrer<lb/>
modernen Staaten. Wir wollen nicht von seinen Kraftausdrücken sprechen,<lb/>
für die sich heute kein Setzer fände. Wir wollen nur an eine Stelle seiner<lb/>
Leichenrede auf den Kurfürsten Johann erinnern: &#x201E;Mit Herzog Friedrich ist<lb/>
die Weisheit, mit Herzog Johannsen die Frömmigkeit gestorben, und nun<lb/>
hinfort wird der Adel regieren, so Weisheit und Frömmigkeit hinweg ist.<lb/>
Sie wissen, daß mein junger Herr, Herzog Johann Friedrich, einen eignen<lb/>
Sinn hat und nicht viel auf die Schreibfedern giebt, das gefüllt ihnen wohl;<lb/>
er hat Klugheit genug, fo hat er auch eignes Sinnes genug, fo wird ihm<lb/>
der Adel Muts genug predigen. Wenn er seines Vetters Weisheit und seines<lb/>
Vaters Frömmigkeit halb hätte, so wollte ich ihm seinen Sinn auch halb<lb/>
gönnen und viel Glücks dazu wünschen." Man denke sich diesen Satz mit<lb/>
den entsprechenden Änderungen in der Leichenrede des betreffenden Hofpredigers<lb/>
auf den Kaiser Friedrich! Ganz Berlin wäre in Ohnmacht gefallen. Der Satz<lb/>
erinnert an eine Predigt, die der schon vor Luthers Auftreten verstorbene<lb/>
Gener von Kaisersberg bei der Inthronisation eines Straßburger Bischofs<lb/>
hielt, der doch auch sein Landesherr war. Du kannst dirs bequem machen,<lb/>
so ungefähr redete er den Fürsten an, denn du hast einen viog-ruf in sxiri-<lb/>
Wll1ihn8 und einen vivarius in wmporgMus; aber was wirst du für einen<lb/>
vieÄi'Ws in interng.lito.8 haben? Und dann denke man an Luthers köstlichen<lb/>
Strauß mit dem Kurfürsten Albrecht von Mainz, einem der mächtigsten, wo<lb/>
nicht dem mächtigsten Reichsfürsten, denn er war zugleich Erzbischof von<lb/>
Magdeburg und ein brandenburgischer Prinz! Als dieser Mann, der für seine<lb/>
üppige Hofhaltung viel Geld brauchte, im Herbst 1521 zu Halle den Abla߬<lb/>
handel wieder in Gang zu bringen suchte, da richtete Luther aus seiner<lb/>
&#x201E;Wüstung," d. i. von der Wartburg, ein eindringliches Abmahnungsschreiben<lb/>
an den großmächtigen Kirchen- und Reichsfürsten. Da das nicht half, ver¬<lb/>
faßte er die Schrift &#x201E;Vom neuen Abgott zu Halle." Der Druck wurde zwar<lb/>
in Wittenberg vom Hofe verhindert, aber Luther, noch mehr gereizt durch die<lb/>
von der erzbischöflichen Behörde gegen einen verheirateten Geistlichen ein¬<lb/>
geleitete Untersuchung, richtete nun ein zweites Schreiben an Albrecht, in dem<lb/>
er die Sprache eines Gewaltigen redet. Er habe, heißt es im Eingang, des<lb/>
Erzbischofs und des Hauses Brandenburg zeither verschont, weil er gedacht,<lb/>
jener handle aus Unverstand so. Nachdem er aber auf seine erste treue Ver-<lb/>
mahnung Spott und Undank geerntet, auf seine zweite eine harte, unartige,<lb/>
unchristliche und nnbischöfliche Antwort erhalten, wolle er nunmehr dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0456] Geschichtsphilosophische Gedanken Als sich Trümpelmann in einem seiner vielen Prozesse einmal auf Luther berief, da ward ihm — wir erinnern uns nicht mehr genau ob vom Vor¬ sitzenden Richter oder vom Staatsanwalt — die Antwort: Lebte Luther heute, und erkühnte er sich die Sprache zu führen, die er geführt hat, so würde er eben auch eingesperrt werden. So ist es. Weder Luthers Wort noch Luthers Werk Ware möglich gewesen in einem großen Polizeistaate von der Art unsrer modernen Staaten. Wir wollen nicht von seinen Kraftausdrücken sprechen, für die sich heute kein Setzer fände. Wir wollen nur an eine Stelle seiner Leichenrede auf den Kurfürsten Johann erinnern: „Mit Herzog Friedrich ist die Weisheit, mit Herzog Johannsen die Frömmigkeit gestorben, und nun hinfort wird der Adel regieren, so Weisheit und Frömmigkeit hinweg ist. Sie wissen, daß mein junger Herr, Herzog Johann Friedrich, einen eignen Sinn hat und nicht viel auf die Schreibfedern giebt, das gefüllt ihnen wohl; er hat Klugheit genug, fo hat er auch eignes Sinnes genug, fo wird ihm der Adel Muts genug predigen. Wenn er seines Vetters Weisheit und seines Vaters Frömmigkeit halb hätte, so wollte ich ihm seinen Sinn auch halb gönnen und viel Glücks dazu wünschen." Man denke sich diesen Satz mit den entsprechenden Änderungen in der Leichenrede des betreffenden Hofpredigers auf den Kaiser Friedrich! Ganz Berlin wäre in Ohnmacht gefallen. Der Satz erinnert an eine Predigt, die der schon vor Luthers Auftreten verstorbene Gener von Kaisersberg bei der Inthronisation eines Straßburger Bischofs hielt, der doch auch sein Landesherr war. Du kannst dirs bequem machen, so ungefähr redete er den Fürsten an, denn du hast einen viog-ruf in sxiri- Wll1ihn8 und einen vivarius in wmporgMus; aber was wirst du für einen vieÄi'Ws in interng.lito.8 haben? Und dann denke man an Luthers köstlichen Strauß mit dem Kurfürsten Albrecht von Mainz, einem der mächtigsten, wo nicht dem mächtigsten Reichsfürsten, denn er war zugleich Erzbischof von Magdeburg und ein brandenburgischer Prinz! Als dieser Mann, der für seine üppige Hofhaltung viel Geld brauchte, im Herbst 1521 zu Halle den Abla߬ handel wieder in Gang zu bringen suchte, da richtete Luther aus seiner „Wüstung," d. i. von der Wartburg, ein eindringliches Abmahnungsschreiben an den großmächtigen Kirchen- und Reichsfürsten. Da das nicht half, ver¬ faßte er die Schrift „Vom neuen Abgott zu Halle." Der Druck wurde zwar in Wittenberg vom Hofe verhindert, aber Luther, noch mehr gereizt durch die von der erzbischöflichen Behörde gegen einen verheirateten Geistlichen ein¬ geleitete Untersuchung, richtete nun ein zweites Schreiben an Albrecht, in dem er die Sprache eines Gewaltigen redet. Er habe, heißt es im Eingang, des Erzbischofs und des Hauses Brandenburg zeither verschont, weil er gedacht, jener handle aus Unverstand so. Nachdem er aber auf seine erste treue Ver- mahnung Spott und Undank geerntet, auf seine zweite eine harte, unartige, unchristliche und nnbischöfliche Antwort erhalten, wolle er nunmehr dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/456
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/456>, abgerufen am 23.07.2024.