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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ortszeit, Weltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit

Verwirrung ohnegleichen entstehen. Die praktischen Amerikaner würden uns
auslachen, wenn wir ihnen mundeten, sie sollten zu Ehren der Weltzeit in
ihren Fahrplnnen Zeitangaben machen, die von der üblichen Tageszeit um so
und so viel Stunden und Minuten abwichen. Der erste dringendste Grund
gegen den Plan Försters liegt also darin, daß an eine wirkliche Durch¬
führung gar nicht zu denken ist. Vielmehr kann es sich nur darum handeln,
ob die von Förster für die Beibehaltung der Ortszeit angegebnen Gründe
wirklich so dringend sind, daß diese Ortszeit neben der Eisenbahnzeit, ans
welche Grundlage man diese auch stellen möge, beibehalten werden müßte.

In dieser Beziehung machen nun die Gegner der Zonenzeit geltend, daß
die dadurch herbeigeführte Verschiebung der von unsern Uhren angegebnen
Zeit -- wir können sie die Uhrenzeit nennen -- in Vergleich mit der durch
die Sonne bestimmten Zeit einen unerträglichen Eingriff in die Lebensgewohn¬
heiten vieler Menschen üben würde. Sie weisen darauf hin, daß die weite
Ausdehnung Deutschlands von Osten nach Westen eine weitgehende Abweichung
der Zonenzeit von der wirklichen Zeit (im Westen bis zu 37 Minuten) herbei¬
führen, und daß diese weite Abweichung nicht, wie in andern Ländern, nur
geringe Landesteile, sondern umfangreiche Gebiete, namentlich im Westen
Deutschland in seiner ganzen Ausdehnung von Norden nach Süden treffen
würde. Sie berechnen, daß von der Zeitverschiebung im Umfange von 10 bis
20 Minuten 29 Prozent, im Umfange von 20 bis 30 Minuten und weiter
sogar 30 Prozent der Bevölkerung Deutschlands berührt werden würden.

Diese Berechnungen mögen ja richtig sein, und man würde sicherlich
Rücksicht darauf zu nehme" haben, wenn wirklich durch die gedachte Ver¬
schiebung der Uhrenzeit der Bevölkerung ein wesentliches dauerndes Opfer in
ihren Lebensgewohnheiten auferlegt würde. Dies gerade aber muß auf das
entschiedenste bestritten werden.

Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß wir schon jetzt
unsrer Zeitberechnung nicht die wirkliche Sonnenzeit zu Grunde legen. Zufolge
der mathematischen Gesetze, unter denen die Bewegung der Erde stattfindet,
ist der Umschwung derselben, mithin auch der Sonnentag, nicht in allen Teilen
des Jahres völlig gleich. Damit hangt auch zusammen, daß die im Laufe
des Jahres stattfindende Zu- und Abnahme der Tage am Morgen und am
Abend nicht immer in gleichem Verhältnisse fortschreitet. Berechneten wir nun
unsre Zeit nach der wirklichen Sonnenzeit, so würden wir ungleiche Tage
haben. Man hat daher zur Ausgleichung der erwähnten Ungleichheiten eine
mittlere Zeit berechnet, die fast durchweg von der Sonnenzeit um eine mehr
oder minder große Anzahl von Minuten, an einigen Tagen des Jahres sogar
bis zu einer Viertelstunde, abweicht. Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat
man diese mittlere Zeit überall statt der wirklichen Sonnenzeit, eingeführt.
Diese Abweichung von der Sonnenzeit ist aber im bürgerlichen Leben so wenig


Grenzboten III 1891 66
Ortszeit, Weltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit

Verwirrung ohnegleichen entstehen. Die praktischen Amerikaner würden uns
auslachen, wenn wir ihnen mundeten, sie sollten zu Ehren der Weltzeit in
ihren Fahrplnnen Zeitangaben machen, die von der üblichen Tageszeit um so
und so viel Stunden und Minuten abwichen. Der erste dringendste Grund
gegen den Plan Försters liegt also darin, daß an eine wirkliche Durch¬
führung gar nicht zu denken ist. Vielmehr kann es sich nur darum handeln,
ob die von Förster für die Beibehaltung der Ortszeit angegebnen Gründe
wirklich so dringend sind, daß diese Ortszeit neben der Eisenbahnzeit, ans
welche Grundlage man diese auch stellen möge, beibehalten werden müßte.

In dieser Beziehung machen nun die Gegner der Zonenzeit geltend, daß
die dadurch herbeigeführte Verschiebung der von unsern Uhren angegebnen
Zeit — wir können sie die Uhrenzeit nennen — in Vergleich mit der durch
die Sonne bestimmten Zeit einen unerträglichen Eingriff in die Lebensgewohn¬
heiten vieler Menschen üben würde. Sie weisen darauf hin, daß die weite
Ausdehnung Deutschlands von Osten nach Westen eine weitgehende Abweichung
der Zonenzeit von der wirklichen Zeit (im Westen bis zu 37 Minuten) herbei¬
führen, und daß diese weite Abweichung nicht, wie in andern Ländern, nur
geringe Landesteile, sondern umfangreiche Gebiete, namentlich im Westen
Deutschland in seiner ganzen Ausdehnung von Norden nach Süden treffen
würde. Sie berechnen, daß von der Zeitverschiebung im Umfange von 10 bis
20 Minuten 29 Prozent, im Umfange von 20 bis 30 Minuten und weiter
sogar 30 Prozent der Bevölkerung Deutschlands berührt werden würden.

Diese Berechnungen mögen ja richtig sein, und man würde sicherlich
Rücksicht darauf zu nehme» haben, wenn wirklich durch die gedachte Ver¬
schiebung der Uhrenzeit der Bevölkerung ein wesentliches dauerndes Opfer in
ihren Lebensgewohnheiten auferlegt würde. Dies gerade aber muß auf das
entschiedenste bestritten werden.

Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß wir schon jetzt
unsrer Zeitberechnung nicht die wirkliche Sonnenzeit zu Grunde legen. Zufolge
der mathematischen Gesetze, unter denen die Bewegung der Erde stattfindet,
ist der Umschwung derselben, mithin auch der Sonnentag, nicht in allen Teilen
des Jahres völlig gleich. Damit hangt auch zusammen, daß die im Laufe
des Jahres stattfindende Zu- und Abnahme der Tage am Morgen und am
Abend nicht immer in gleichem Verhältnisse fortschreitet. Berechneten wir nun
unsre Zeit nach der wirklichen Sonnenzeit, so würden wir ungleiche Tage
haben. Man hat daher zur Ausgleichung der erwähnten Ungleichheiten eine
mittlere Zeit berechnet, die fast durchweg von der Sonnenzeit um eine mehr
oder minder große Anzahl von Minuten, an einigen Tagen des Jahres sogar
bis zu einer Viertelstunde, abweicht. Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat
man diese mittlere Zeit überall statt der wirklichen Sonnenzeit, eingeführt.
Diese Abweichung von der Sonnenzeit ist aber im bürgerlichen Leben so wenig


Grenzboten III 1891 66
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[0449] Ortszeit, Weltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit Verwirrung ohnegleichen entstehen. Die praktischen Amerikaner würden uns auslachen, wenn wir ihnen mundeten, sie sollten zu Ehren der Weltzeit in ihren Fahrplnnen Zeitangaben machen, die von der üblichen Tageszeit um so und so viel Stunden und Minuten abwichen. Der erste dringendste Grund gegen den Plan Försters liegt also darin, daß an eine wirkliche Durch¬ führung gar nicht zu denken ist. Vielmehr kann es sich nur darum handeln, ob die von Förster für die Beibehaltung der Ortszeit angegebnen Gründe wirklich so dringend sind, daß diese Ortszeit neben der Eisenbahnzeit, ans welche Grundlage man diese auch stellen möge, beibehalten werden müßte. In dieser Beziehung machen nun die Gegner der Zonenzeit geltend, daß die dadurch herbeigeführte Verschiebung der von unsern Uhren angegebnen Zeit — wir können sie die Uhrenzeit nennen — in Vergleich mit der durch die Sonne bestimmten Zeit einen unerträglichen Eingriff in die Lebensgewohn¬ heiten vieler Menschen üben würde. Sie weisen darauf hin, daß die weite Ausdehnung Deutschlands von Osten nach Westen eine weitgehende Abweichung der Zonenzeit von der wirklichen Zeit (im Westen bis zu 37 Minuten) herbei¬ führen, und daß diese weite Abweichung nicht, wie in andern Ländern, nur geringe Landesteile, sondern umfangreiche Gebiete, namentlich im Westen Deutschland in seiner ganzen Ausdehnung von Norden nach Süden treffen würde. Sie berechnen, daß von der Zeitverschiebung im Umfange von 10 bis 20 Minuten 29 Prozent, im Umfange von 20 bis 30 Minuten und weiter sogar 30 Prozent der Bevölkerung Deutschlands berührt werden würden. Diese Berechnungen mögen ja richtig sein, und man würde sicherlich Rücksicht darauf zu nehme» haben, wenn wirklich durch die gedachte Ver¬ schiebung der Uhrenzeit der Bevölkerung ein wesentliches dauerndes Opfer in ihren Lebensgewohnheiten auferlegt würde. Dies gerade aber muß auf das entschiedenste bestritten werden. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß wir schon jetzt unsrer Zeitberechnung nicht die wirkliche Sonnenzeit zu Grunde legen. Zufolge der mathematischen Gesetze, unter denen die Bewegung der Erde stattfindet, ist der Umschwung derselben, mithin auch der Sonnentag, nicht in allen Teilen des Jahres völlig gleich. Damit hangt auch zusammen, daß die im Laufe des Jahres stattfindende Zu- und Abnahme der Tage am Morgen und am Abend nicht immer in gleichem Verhältnisse fortschreitet. Berechneten wir nun unsre Zeit nach der wirklichen Sonnenzeit, so würden wir ungleiche Tage haben. Man hat daher zur Ausgleichung der erwähnten Ungleichheiten eine mittlere Zeit berechnet, die fast durchweg von der Sonnenzeit um eine mehr oder minder große Anzahl von Minuten, an einigen Tagen des Jahres sogar bis zu einer Viertelstunde, abweicht. Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat man diese mittlere Zeit überall statt der wirklichen Sonnenzeit, eingeführt. Diese Abweichung von der Sonnenzeit ist aber im bürgerlichen Leben so wenig Grenzboten III 1891 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/449>, abgerufen am 26.08.2024.