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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Gin Evangelium ses Naturalismus

darin bestehe, daß es in einem möglichst schwerfälligen Kauderwelsch geschrieben
ist," so hat er sein Buch so eingerichtet, daß man es "lesen kann, mit der
Zigarre auf dem Sofa, meinetwegen anch mit einer Tasse Kaffee daneben,
ohne darnach Kopfschmerzen zu bekommen." Anstrengend oder gar aufregend
ist denn auch die Lektüre nicht. Den Gedanken, die Menschheit von dem
zweitausendjährigen Irrtume der bisherigen Knnstanschauungen befreien und
sie innerlich sozusagen umkrempeln zu wollen, wahrend sie im Schlafrock auf
dem Kanapee liegt und verdaut, konnte man sich schon gefallen lassen, wenn
uicht die Ausführung (ich meine weniger den Primanerstil als die Mitteilung
so vieler recht überflüssigen Intimitäten) an ein Buch erinnerte, das für die
Naturalisten zu den heiligsten gehört, an das .Icmriuü des Goncourt.

Schon mit achtzehn Jahren hat Herr Holz das Versemachen mit Leiden¬
schaft getrieben. Er "sah, fühlte und roch nur Verse," und "die Sonne schien
ihm Lieder ins Herz, und der Regen tropfte ihm Melodien ins Ohr."
Zwanzig Jahre alt schrieb er den Liedercyklus "Phantasus," worin er "die
6" 1'g.ins eines jungen Poeten schilderte, der an der Trivialität seines
Milieu zu Grunde geht, hoch oben in Berlin ^ in irgend einer Dachstube."
Nach eignem Geständnis hat sich Herr Holz mit diesem Phantasus sein eignes
Epitaph gesetzt. Erschienen ist das Poem in dem "Buch der Zeit. Lieder
eines Modernen," Zürich, 1885. Der Verfasser hatte damals den Ehrgeiz,
in dein Morgenrot der neuen Poesie, in dem "neuen Schein des neuen Tages"
eine der ersten Lerchen zu sein. Die Zeit der Waldgnomen und der Wasser¬
nixen war für ihn vorbei: ohne das Volksgewühl der großen Städte, ohne
die Telegraphendrähte konnte er nicht mehr dichten. Aber er wollte eine
Schlacht gewinnen, freilich besondrer Art; denn sie galt


keiner Dynastie,
Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule,
Galvanis Draht und Voltas Säule
Lenkt funkensprnheud das Genie.

Er wollte die Zeit des ewigen Friedens herbeiführen helfen, wo "der Frei¬
heit goldne Oriflamme leuchtend über alle Welt wehen" sollte; lind in dem
Gedanken daran war ihm oft,


als ob die Zeit,
Verlästert viel und viel bewundert,
Als ob das kommende Jahrhundert
Zu seinem Täufer mich geweiht.

Vorsichtige Leute rieten zwar dem Dichter von dieser Laufbahn ab:


Tagtäglich wispert die Kritik:
O wirf ihn fort, den Hnngerknochen,
Es hat die leidge Politik
Schon manchem hier den Hals gebrochen.

Gin Evangelium ses Naturalismus

darin bestehe, daß es in einem möglichst schwerfälligen Kauderwelsch geschrieben
ist," so hat er sein Buch so eingerichtet, daß man es „lesen kann, mit der
Zigarre auf dem Sofa, meinetwegen anch mit einer Tasse Kaffee daneben,
ohne darnach Kopfschmerzen zu bekommen." Anstrengend oder gar aufregend
ist denn auch die Lektüre nicht. Den Gedanken, die Menschheit von dem
zweitausendjährigen Irrtume der bisherigen Knnstanschauungen befreien und
sie innerlich sozusagen umkrempeln zu wollen, wahrend sie im Schlafrock auf
dem Kanapee liegt und verdaut, konnte man sich schon gefallen lassen, wenn
uicht die Ausführung (ich meine weniger den Primanerstil als die Mitteilung
so vieler recht überflüssigen Intimitäten) an ein Buch erinnerte, das für die
Naturalisten zu den heiligsten gehört, an das .Icmriuü des Goncourt.

Schon mit achtzehn Jahren hat Herr Holz das Versemachen mit Leiden¬
schaft getrieben. Er „sah, fühlte und roch nur Verse," und „die Sonne schien
ihm Lieder ins Herz, und der Regen tropfte ihm Melodien ins Ohr."
Zwanzig Jahre alt schrieb er den Liedercyklus „Phantasus," worin er „die
6« 1'g.ins eines jungen Poeten schilderte, der an der Trivialität seines
Milieu zu Grunde geht, hoch oben in Berlin ^ in irgend einer Dachstube."
Nach eignem Geständnis hat sich Herr Holz mit diesem Phantasus sein eignes
Epitaph gesetzt. Erschienen ist das Poem in dem „Buch der Zeit. Lieder
eines Modernen," Zürich, 1885. Der Verfasser hatte damals den Ehrgeiz,
in dein Morgenrot der neuen Poesie, in dem „neuen Schein des neuen Tages"
eine der ersten Lerchen zu sein. Die Zeit der Waldgnomen und der Wasser¬
nixen war für ihn vorbei: ohne das Volksgewühl der großen Städte, ohne
die Telegraphendrähte konnte er nicht mehr dichten. Aber er wollte eine
Schlacht gewinnen, freilich besondrer Art; denn sie galt


keiner Dynastie,
Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule,
Galvanis Draht und Voltas Säule
Lenkt funkensprnheud das Genie.

Er wollte die Zeit des ewigen Friedens herbeiführen helfen, wo „der Frei¬
heit goldne Oriflamme leuchtend über alle Welt wehen" sollte; lind in dem
Gedanken daran war ihm oft,


als ob die Zeit,
Verlästert viel und viel bewundert,
Als ob das kommende Jahrhundert
Zu seinem Täufer mich geweiht.

Vorsichtige Leute rieten zwar dem Dichter von dieser Laufbahn ab:


Tagtäglich wispert die Kritik:
O wirf ihn fort, den Hnngerknochen,
Es hat die leidge Politik
Schon manchem hier den Hals gebrochen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/44>, abgerufen am 23.07.2024.