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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Volksbühnen ans Volksfesten

das kleinere Übel, das man auf diesem Wege los wird, ein größeres einzu¬
tauschen. Und das ist der Fall bei der Art und Weise der Volksfeste, wie
sie jetzt im allgemeinen gefeiert werden. Von einer Ausgleichung der gesell¬
schaftlichen Gegensätze, wie sie zu den guten Zeiten der alten Fastnacht und
vielleicht heute noch hie und da in südlichen Gegenden bei derartigen Anlässen
eintreten mag, ist heute nichts oder nur wenig mehr zu verspüren. Seitdem
die Aufgabe der allgemeinen Belustigung aus den Händen des Volkes selbst,
in denen sie sich z. B. in der Blütezeit des alten Volkslustspieles im fünf¬
zehnten und sechzehnten Jahrhundert befand, in die Hände geschäftsmäßiger
Spekulanten übergegangen ist, unterhält sich auch auf den Volksfesten die
Menge mehr oder weniger nach ihren Mitteln verschieden. Wo sich aber die
verschiedensten Elemente des Volkes, die sogenannten Gebildeten und die Un¬
gebildeten in den Bedürfnissen der Unterhaltung gemeinsam begegnen, da ist
es gewiß auf dein Gebiete niedriger und gemeiner Instinkte, die ja auf Volks¬
festen mit einer Erfindungsgabe ausgebeutet werden, die eines bessern Zieles
würdig wäre. Das Ergebnis aber dieser traulichen Gemeinsamkeit ist nicht
die Aussöhnung der gesellschaftlichen Gegensätze, sondern ihre Vertiefung, und
zwar in der Richtung der Minderung des Ansehens und der Würde der so¬
genannten Gebildeten. Auf diesem Wege arbeitet man der Untergrabung der
bestehenden Verhältnisse, wie sie die Sozialdemokratie betreibt, aufs wirksamste
in die Hände. Selbst die gut gemeinte Gepflogenheit der höchsten und aller¬
höchsten Kreise, eine gewisse Teilnahme an solchen Festen durch ein kurzes
Erscheinen zu bethätigen, dürfte bisweilen den entgegengesetzten Erfolg haben
und den in sittlicher Beziehung mehr oder weniger zweifelhaften Vergnügungen
eine Art obrigkeitlicher Zustimmung aufdrücken, die nur geeignet ist, das im
Grunde noch schlummernde eigne gesunde Urteil mancher Kreise zu beirren.
Alle diese Schäden sind so bekannt und so oft -- leider fast immer vergeb¬
lich -- beklagt worden, daß sie nur eben gestreift zu werden brauchen.

Die Hauptart der Vergnügungen aber, die auf solchen Volksfesten üblich
ist, muß doch noch näher beleuchtet werden, weil sie eine Frage berührt, die
weit über diesen Kreis hinaus von Interesse ist. Die Thatsache, daß unser
Volksgeschmack von Jahr zu Jahr mehr verroht ist und einer weitern Ver¬
wilderung mit eilenden Schritten entgegengeht, ist nicht aus der Welt zu
schaffen. Die Entfremdung unsrer Bühnen von den Bedürfnissen des Volkes
trügt daran eine Hauptschuld, nicht minder die Presse, die dieser Erscheinung
mit verbundnen Augen, wenn nicht geradezu fördernd gegenübersteht. Die
Blätter, die in dieser Beziehung ihrer Pflicht nachkommen, sind wie Weiße
Schwalben, und so zeitgemäße Betrachtungen, wie sie vor kurzem z. B. die
ultramontane "Kölnische Volkszeitung" an den neuesten Enthusiasmus der
Berliner über die Leistungen des Ringkämpfers Abs auf dem Spandauer Bock
knüpfte, finden vor den Scheren der meisten Redakteure keine Gnade. Und


Volksbühnen ans Volksfesten

das kleinere Übel, das man auf diesem Wege los wird, ein größeres einzu¬
tauschen. Und das ist der Fall bei der Art und Weise der Volksfeste, wie
sie jetzt im allgemeinen gefeiert werden. Von einer Ausgleichung der gesell¬
schaftlichen Gegensätze, wie sie zu den guten Zeiten der alten Fastnacht und
vielleicht heute noch hie und da in südlichen Gegenden bei derartigen Anlässen
eintreten mag, ist heute nichts oder nur wenig mehr zu verspüren. Seitdem
die Aufgabe der allgemeinen Belustigung aus den Händen des Volkes selbst,
in denen sie sich z. B. in der Blütezeit des alten Volkslustspieles im fünf¬
zehnten und sechzehnten Jahrhundert befand, in die Hände geschäftsmäßiger
Spekulanten übergegangen ist, unterhält sich auch auf den Volksfesten die
Menge mehr oder weniger nach ihren Mitteln verschieden. Wo sich aber die
verschiedensten Elemente des Volkes, die sogenannten Gebildeten und die Un¬
gebildeten in den Bedürfnissen der Unterhaltung gemeinsam begegnen, da ist
es gewiß auf dein Gebiete niedriger und gemeiner Instinkte, die ja auf Volks¬
festen mit einer Erfindungsgabe ausgebeutet werden, die eines bessern Zieles
würdig wäre. Das Ergebnis aber dieser traulichen Gemeinsamkeit ist nicht
die Aussöhnung der gesellschaftlichen Gegensätze, sondern ihre Vertiefung, und
zwar in der Richtung der Minderung des Ansehens und der Würde der so¬
genannten Gebildeten. Auf diesem Wege arbeitet man der Untergrabung der
bestehenden Verhältnisse, wie sie die Sozialdemokratie betreibt, aufs wirksamste
in die Hände. Selbst die gut gemeinte Gepflogenheit der höchsten und aller¬
höchsten Kreise, eine gewisse Teilnahme an solchen Festen durch ein kurzes
Erscheinen zu bethätigen, dürfte bisweilen den entgegengesetzten Erfolg haben
und den in sittlicher Beziehung mehr oder weniger zweifelhaften Vergnügungen
eine Art obrigkeitlicher Zustimmung aufdrücken, die nur geeignet ist, das im
Grunde noch schlummernde eigne gesunde Urteil mancher Kreise zu beirren.
Alle diese Schäden sind so bekannt und so oft — leider fast immer vergeb¬
lich — beklagt worden, daß sie nur eben gestreift zu werden brauchen.

Die Hauptart der Vergnügungen aber, die auf solchen Volksfesten üblich
ist, muß doch noch näher beleuchtet werden, weil sie eine Frage berührt, die
weit über diesen Kreis hinaus von Interesse ist. Die Thatsache, daß unser
Volksgeschmack von Jahr zu Jahr mehr verroht ist und einer weitern Ver¬
wilderung mit eilenden Schritten entgegengeht, ist nicht aus der Welt zu
schaffen. Die Entfremdung unsrer Bühnen von den Bedürfnissen des Volkes
trügt daran eine Hauptschuld, nicht minder die Presse, die dieser Erscheinung
mit verbundnen Augen, wenn nicht geradezu fördernd gegenübersteht. Die
Blätter, die in dieser Beziehung ihrer Pflicht nachkommen, sind wie Weiße
Schwalben, und so zeitgemäße Betrachtungen, wie sie vor kurzem z. B. die
ultramontane „Kölnische Volkszeitung" an den neuesten Enthusiasmus der
Berliner über die Leistungen des Ringkämpfers Abs auf dem Spandauer Bock
knüpfte, finden vor den Scheren der meisten Redakteure keine Gnade. Und


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[0426] Volksbühnen ans Volksfesten das kleinere Übel, das man auf diesem Wege los wird, ein größeres einzu¬ tauschen. Und das ist der Fall bei der Art und Weise der Volksfeste, wie sie jetzt im allgemeinen gefeiert werden. Von einer Ausgleichung der gesell¬ schaftlichen Gegensätze, wie sie zu den guten Zeiten der alten Fastnacht und vielleicht heute noch hie und da in südlichen Gegenden bei derartigen Anlässen eintreten mag, ist heute nichts oder nur wenig mehr zu verspüren. Seitdem die Aufgabe der allgemeinen Belustigung aus den Händen des Volkes selbst, in denen sie sich z. B. in der Blütezeit des alten Volkslustspieles im fünf¬ zehnten und sechzehnten Jahrhundert befand, in die Hände geschäftsmäßiger Spekulanten übergegangen ist, unterhält sich auch auf den Volksfesten die Menge mehr oder weniger nach ihren Mitteln verschieden. Wo sich aber die verschiedensten Elemente des Volkes, die sogenannten Gebildeten und die Un¬ gebildeten in den Bedürfnissen der Unterhaltung gemeinsam begegnen, da ist es gewiß auf dein Gebiete niedriger und gemeiner Instinkte, die ja auf Volks¬ festen mit einer Erfindungsgabe ausgebeutet werden, die eines bessern Zieles würdig wäre. Das Ergebnis aber dieser traulichen Gemeinsamkeit ist nicht die Aussöhnung der gesellschaftlichen Gegensätze, sondern ihre Vertiefung, und zwar in der Richtung der Minderung des Ansehens und der Würde der so¬ genannten Gebildeten. Auf diesem Wege arbeitet man der Untergrabung der bestehenden Verhältnisse, wie sie die Sozialdemokratie betreibt, aufs wirksamste in die Hände. Selbst die gut gemeinte Gepflogenheit der höchsten und aller¬ höchsten Kreise, eine gewisse Teilnahme an solchen Festen durch ein kurzes Erscheinen zu bethätigen, dürfte bisweilen den entgegengesetzten Erfolg haben und den in sittlicher Beziehung mehr oder weniger zweifelhaften Vergnügungen eine Art obrigkeitlicher Zustimmung aufdrücken, die nur geeignet ist, das im Grunde noch schlummernde eigne gesunde Urteil mancher Kreise zu beirren. Alle diese Schäden sind so bekannt und so oft — leider fast immer vergeb¬ lich — beklagt worden, daß sie nur eben gestreift zu werden brauchen. Die Hauptart der Vergnügungen aber, die auf solchen Volksfesten üblich ist, muß doch noch näher beleuchtet werden, weil sie eine Frage berührt, die weit über diesen Kreis hinaus von Interesse ist. Die Thatsache, daß unser Volksgeschmack von Jahr zu Jahr mehr verroht ist und einer weitern Ver¬ wilderung mit eilenden Schritten entgegengeht, ist nicht aus der Welt zu schaffen. Die Entfremdung unsrer Bühnen von den Bedürfnissen des Volkes trügt daran eine Hauptschuld, nicht minder die Presse, die dieser Erscheinung mit verbundnen Augen, wenn nicht geradezu fördernd gegenübersteht. Die Blätter, die in dieser Beziehung ihrer Pflicht nachkommen, sind wie Weiße Schwalben, und so zeitgemäße Betrachtungen, wie sie vor kurzem z. B. die ultramontane „Kölnische Volkszeitung" an den neuesten Enthusiasmus der Berliner über die Leistungen des Ringkämpfers Abs auf dem Spandauer Bock knüpfte, finden vor den Scheren der meisten Redakteure keine Gnade. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/426>, abgerufen am 26.08.2024.