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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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die sich bekanntlich vor den Fußen der Bavaria ausdehnt, auszuteilen und die
für das alljährliche Okwberfest bestimmte Fläche mit Dauerbauten, die dem
Festzwecke entsprechen, zu versehen. Die Gesellschaft für modernes Leben hat
nun bei diesem Anlaß ,,im Interesse der Förderung des künstlerische", mora¬
lischen und vaterländischen Geistes der Münchner Kunststndtbevölkerung (!)
und deren si. ihrerj Festgäste" beantragt, der Magistrat von München ,,wolle
bei diesem Anlasse nicht versäumen, auch für edelkünstlerischc Festesmöglich¬
keiten (!) einen geeigneten Raum der Wiese zu bestimmen und die Errichtung
einer freien TageSbühne auf der Thcrcsienwicse behufs (!) Aufführung volks¬
tümlicher Stücke aus der bairischen und deutschen Geschichte während des
Oktoberfestes in die Hand nehmen." So wenig modernes Stilgefühl diese im
besten Amtszopfe gehaltne Eingabe der Münchener "Modernen" verrät, so
gesund und so tiefgreifend ist der ihr zu Grunde liegende Gedanke. Die
nähere Erwägung desselben rückt uns unwillkürlich das Bild unsrer Volks¬
feste, wie sie sind, und ein Bild dessen, was sie sein könnten, vor Augen.

Volksfeste aller Art werden immer für den liebevollen und interessirten
Beobachter unsers Volkslebens eine reiche Fundgrube der Anregung bieten.
Wer sich jemals den kulturgeschichtlichen Wert einer zeitlich genauen Aufzeich¬
nung der jeweilig im Schwange befindlichen Gassenhauer vergegenwärtigt hat
und die Bedeutung des faden Schunkelwalzers in diesem Sinne ebenso zu
würdigen weiß, als die der neuesten von jeder höhern Tochter abgemarterten
Melodie aus der "Baucrnehre," der wird bei einem Besuch eines Volksfestes
deu Schlag der kräftigsten Adern unsers Volkslebens laut und deutlich ver¬
nehmen. Leider sind die Wahrnehmungen, die bei einem solchen Ausfluge
gemacht werdeu können, fast ausschließlich der unerfreulichsten Art. Wenn
auch zwischen deu alljährlich wiederkehrenden Volksfesten und denen aus be¬
sondern örtlichen oder vaterländischen Anlaß ein Unterschied zu Gunsten der
letztern anerkannt werden muß, der sich vor allem in der durch einen besondern
Gedanken gehobnen allgemeinen Stimmung ausspricht, so wird man doch keiner
Schwarzseyerei geziehen werden können, wenn man den sittlichen Wert aller
derartigen Veranstaltungen sehr gering, ja noch unter Null anschlägt. Was
feiern wir denn noch für große Volksfeste? Mit den Namen: Schützen¬
feste, Krieger-, Sängerfeste ist die Reihe so gut wie erschöpft. Von einer
Politischen oder künstlerischen Bedeutung, von einer sittlich stärkenden Wirkung
über kann bei ihnen allen kaum die Rede sein. Es mag sein Gutes und sein
Berechtigtes haben, der überschießenden Lust an heitrer Unterhaltung und an
Geselligkeit, dem harmlosen, nach Äußerung drängenden Humor der Massen
einmal die Bahn frei zu geben und, abgesehen von deu groben Ausschreitungen,
einmal hier und dort ein Auge zuzudrücken, damit man die Zügel sonst um so
strenger und straffer handhaben könne, man mag die Volksfeste als eine Art
Sicherheitsventil betrachten; immer jedoch wird man sich hüten müssen, gegen


Grenzboten III 1891 S3

die sich bekanntlich vor den Fußen der Bavaria ausdehnt, auszuteilen und die
für das alljährliche Okwberfest bestimmte Fläche mit Dauerbauten, die dem
Festzwecke entsprechen, zu versehen. Die Gesellschaft für modernes Leben hat
nun bei diesem Anlaß ,,im Interesse der Förderung des künstlerische», mora¬
lischen und vaterländischen Geistes der Münchner Kunststndtbevölkerung (!)
und deren si. ihrerj Festgäste" beantragt, der Magistrat von München ,,wolle
bei diesem Anlasse nicht versäumen, auch für edelkünstlerischc Festesmöglich¬
keiten (!) einen geeigneten Raum der Wiese zu bestimmen und die Errichtung
einer freien TageSbühne auf der Thcrcsienwicse behufs (!) Aufführung volks¬
tümlicher Stücke aus der bairischen und deutschen Geschichte während des
Oktoberfestes in die Hand nehmen." So wenig modernes Stilgefühl diese im
besten Amtszopfe gehaltne Eingabe der Münchener „Modernen" verrät, so
gesund und so tiefgreifend ist der ihr zu Grunde liegende Gedanke. Die
nähere Erwägung desselben rückt uns unwillkürlich das Bild unsrer Volks¬
feste, wie sie sind, und ein Bild dessen, was sie sein könnten, vor Augen.

Volksfeste aller Art werden immer für den liebevollen und interessirten
Beobachter unsers Volkslebens eine reiche Fundgrube der Anregung bieten.
Wer sich jemals den kulturgeschichtlichen Wert einer zeitlich genauen Aufzeich¬
nung der jeweilig im Schwange befindlichen Gassenhauer vergegenwärtigt hat
und die Bedeutung des faden Schunkelwalzers in diesem Sinne ebenso zu
würdigen weiß, als die der neuesten von jeder höhern Tochter abgemarterten
Melodie aus der „Baucrnehre," der wird bei einem Besuch eines Volksfestes
deu Schlag der kräftigsten Adern unsers Volkslebens laut und deutlich ver¬
nehmen. Leider sind die Wahrnehmungen, die bei einem solchen Ausfluge
gemacht werdeu können, fast ausschließlich der unerfreulichsten Art. Wenn
auch zwischen deu alljährlich wiederkehrenden Volksfesten und denen aus be¬
sondern örtlichen oder vaterländischen Anlaß ein Unterschied zu Gunsten der
letztern anerkannt werden muß, der sich vor allem in der durch einen besondern
Gedanken gehobnen allgemeinen Stimmung ausspricht, so wird man doch keiner
Schwarzseyerei geziehen werden können, wenn man den sittlichen Wert aller
derartigen Veranstaltungen sehr gering, ja noch unter Null anschlägt. Was
feiern wir denn noch für große Volksfeste? Mit den Namen: Schützen¬
feste, Krieger-, Sängerfeste ist die Reihe so gut wie erschöpft. Von einer
Politischen oder künstlerischen Bedeutung, von einer sittlich stärkenden Wirkung
über kann bei ihnen allen kaum die Rede sein. Es mag sein Gutes und sein
Berechtigtes haben, der überschießenden Lust an heitrer Unterhaltung und an
Geselligkeit, dem harmlosen, nach Äußerung drängenden Humor der Massen
einmal die Bahn frei zu geben und, abgesehen von deu groben Ausschreitungen,
einmal hier und dort ein Auge zuzudrücken, damit man die Zügel sonst um so
strenger und straffer handhaben könne, man mag die Volksfeste als eine Art
Sicherheitsventil betrachten; immer jedoch wird man sich hüten müssen, gegen


Grenzboten III 1891 S3
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[0425] die sich bekanntlich vor den Fußen der Bavaria ausdehnt, auszuteilen und die für das alljährliche Okwberfest bestimmte Fläche mit Dauerbauten, die dem Festzwecke entsprechen, zu versehen. Die Gesellschaft für modernes Leben hat nun bei diesem Anlaß ,,im Interesse der Förderung des künstlerische», mora¬ lischen und vaterländischen Geistes der Münchner Kunststndtbevölkerung (!) und deren si. ihrerj Festgäste" beantragt, der Magistrat von München ,,wolle bei diesem Anlasse nicht versäumen, auch für edelkünstlerischc Festesmöglich¬ keiten (!) einen geeigneten Raum der Wiese zu bestimmen und die Errichtung einer freien TageSbühne auf der Thcrcsienwicse behufs (!) Aufführung volks¬ tümlicher Stücke aus der bairischen und deutschen Geschichte während des Oktoberfestes in die Hand nehmen." So wenig modernes Stilgefühl diese im besten Amtszopfe gehaltne Eingabe der Münchener „Modernen" verrät, so gesund und so tiefgreifend ist der ihr zu Grunde liegende Gedanke. Die nähere Erwägung desselben rückt uns unwillkürlich das Bild unsrer Volks¬ feste, wie sie sind, und ein Bild dessen, was sie sein könnten, vor Augen. Volksfeste aller Art werden immer für den liebevollen und interessirten Beobachter unsers Volkslebens eine reiche Fundgrube der Anregung bieten. Wer sich jemals den kulturgeschichtlichen Wert einer zeitlich genauen Aufzeich¬ nung der jeweilig im Schwange befindlichen Gassenhauer vergegenwärtigt hat und die Bedeutung des faden Schunkelwalzers in diesem Sinne ebenso zu würdigen weiß, als die der neuesten von jeder höhern Tochter abgemarterten Melodie aus der „Baucrnehre," der wird bei einem Besuch eines Volksfestes deu Schlag der kräftigsten Adern unsers Volkslebens laut und deutlich ver¬ nehmen. Leider sind die Wahrnehmungen, die bei einem solchen Ausfluge gemacht werdeu können, fast ausschließlich der unerfreulichsten Art. Wenn auch zwischen deu alljährlich wiederkehrenden Volksfesten und denen aus be¬ sondern örtlichen oder vaterländischen Anlaß ein Unterschied zu Gunsten der letztern anerkannt werden muß, der sich vor allem in der durch einen besondern Gedanken gehobnen allgemeinen Stimmung ausspricht, so wird man doch keiner Schwarzseyerei geziehen werden können, wenn man den sittlichen Wert aller derartigen Veranstaltungen sehr gering, ja noch unter Null anschlägt. Was feiern wir denn noch für große Volksfeste? Mit den Namen: Schützen¬ feste, Krieger-, Sängerfeste ist die Reihe so gut wie erschöpft. Von einer Politischen oder künstlerischen Bedeutung, von einer sittlich stärkenden Wirkung über kann bei ihnen allen kaum die Rede sein. Es mag sein Gutes und sein Berechtigtes haben, der überschießenden Lust an heitrer Unterhaltung und an Geselligkeit, dem harmlosen, nach Äußerung drängenden Humor der Massen einmal die Bahn frei zu geben und, abgesehen von deu groben Ausschreitungen, einmal hier und dort ein Auge zuzudrücken, damit man die Zügel sonst um so strenger und straffer handhaben könne, man mag die Volksfeste als eine Art Sicherheitsventil betrachten; immer jedoch wird man sich hüten müssen, gegen Grenzboten III 1891 S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/425>, abgerufen am 23.07.2024.