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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Nacht ist weich -- wie deine Wangen,
Wie deine Stimme der Windeshall,
Es flimmern die Sterne wie deine Blicke --
Ich wollt entrinnen meinem Geschicke,
Und bin von dir gegangen
Und bin von dir gefangen
Allüberall

mit einem pantheistischen Eingeständnis des auf alle vermeintliche Omnipotenz
seiner Naturwissenschaft gestützten Grublers:


nächtige Stille
Hoch über der Welt;
Ein mächtiger Wille
Lenkt und halt
Das Sterngewühle.
Das kein Denken ermißt.
Steh schweigend und fühle,
Wie nichtig du bist!

Auch in dem Gedichte, das wie eine Fortsetzung des eben angeführten erscheinen
könnte, da es nach den letzten Rätseln der Schöpfung und des Weltenregimentes
fragt: ,


Wer bist du,
Der den Schwalbenflug
Durch die Lüfte leitet,
Der im Wolkenzug,
Der im Winde schreitet?

ist alles Empfindung und Gemälde, und nichts von Philosophie Hinzugethau.
Und "Wahrheit" --


Warum willst du zu ihr streben?
Wahrheit ist nicht Glück, nicht Leid,
Ist nur Todeseinsamkeit,
Ohne Liebe, ohne Leben,
Über allem Zeitgebilde
Reglos thronend gleich der Zeit,
Abglanz uur der Ewigkeit,
Ohne Zorn und ohne Milde.

Staunend haben wir unter den etwa 150 Gedichten des "Vorherbstes"
keine bestimmtere Wendung gegen das Christentum und nur einen einzigen
Ausfall gegen den Glauben gefunden, der aber so flau ist, daß er gar nicht
in das Buch hineingehört. In dem "Kleinen Gerank," dem Anhange, wird
dann noch ein wenig und nicht etwa nur mit Unrecht räsonnirt, wobei freilich
das eine oder das andre unterläuft, was man boshaft auch einmal Imsen
uuter die Augen halten könnte. Und einen Jmmediatstreifzug vor den



Die Nacht ist weich — wie deine Wangen,
Wie deine Stimme der Windeshall,
Es flimmern die Sterne wie deine Blicke —
Ich wollt entrinnen meinem Geschicke,
Und bin von dir gegangen
Und bin von dir gefangen
Allüberall

mit einem pantheistischen Eingeständnis des auf alle vermeintliche Omnipotenz
seiner Naturwissenschaft gestützten Grublers:


nächtige Stille
Hoch über der Welt;
Ein mächtiger Wille
Lenkt und halt
Das Sterngewühle.
Das kein Denken ermißt.
Steh schweigend und fühle,
Wie nichtig du bist!

Auch in dem Gedichte, das wie eine Fortsetzung des eben angeführten erscheinen
könnte, da es nach den letzten Rätseln der Schöpfung und des Weltenregimentes
fragt: ,


Wer bist du,
Der den Schwalbenflug
Durch die Lüfte leitet,
Der im Wolkenzug,
Der im Winde schreitet?

ist alles Empfindung und Gemälde, und nichts von Philosophie Hinzugethau.
Und „Wahrheit" —


Warum willst du zu ihr streben?
Wahrheit ist nicht Glück, nicht Leid,
Ist nur Todeseinsamkeit,
Ohne Liebe, ohne Leben,
Über allem Zeitgebilde
Reglos thronend gleich der Zeit,
Abglanz uur der Ewigkeit,
Ohne Zorn und ohne Milde.

Staunend haben wir unter den etwa 150 Gedichten des „Vorherbstes"
keine bestimmtere Wendung gegen das Christentum und nur einen einzigen
Ausfall gegen den Glauben gefunden, der aber so flau ist, daß er gar nicht
in das Buch hineingehört. In dem „Kleinen Gerank," dem Anhange, wird
dann noch ein wenig und nicht etwa nur mit Unrecht räsonnirt, wobei freilich
das eine oder das andre unterläuft, was man boshaft auch einmal Imsen
uuter die Augen halten könnte. Und einen Jmmediatstreifzug vor den


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[0419] Die Nacht ist weich — wie deine Wangen, Wie deine Stimme der Windeshall, Es flimmern die Sterne wie deine Blicke — Ich wollt entrinnen meinem Geschicke, Und bin von dir gegangen Und bin von dir gefangen Allüberall mit einem pantheistischen Eingeständnis des auf alle vermeintliche Omnipotenz seiner Naturwissenschaft gestützten Grublers: nächtige Stille Hoch über der Welt; Ein mächtiger Wille Lenkt und halt Das Sterngewühle. Das kein Denken ermißt. Steh schweigend und fühle, Wie nichtig du bist! Auch in dem Gedichte, das wie eine Fortsetzung des eben angeführten erscheinen könnte, da es nach den letzten Rätseln der Schöpfung und des Weltenregimentes fragt: , Wer bist du, Der den Schwalbenflug Durch die Lüfte leitet, Der im Wolkenzug, Der im Winde schreitet? ist alles Empfindung und Gemälde, und nichts von Philosophie Hinzugethau. Und „Wahrheit" — Warum willst du zu ihr streben? Wahrheit ist nicht Glück, nicht Leid, Ist nur Todeseinsamkeit, Ohne Liebe, ohne Leben, Über allem Zeitgebilde Reglos thronend gleich der Zeit, Abglanz uur der Ewigkeit, Ohne Zorn und ohne Milde. Staunend haben wir unter den etwa 150 Gedichten des „Vorherbstes" keine bestimmtere Wendung gegen das Christentum und nur einen einzigen Ausfall gegen den Glauben gefunden, der aber so flau ist, daß er gar nicht in das Buch hineingehört. In dem „Kleinen Gerank," dem Anhange, wird dann noch ein wenig und nicht etwa nur mit Unrecht räsonnirt, wobei freilich das eine oder das andre unterläuft, was man boshaft auch einmal Imsen uuter die Augen halten könnte. Und einen Jmmediatstreifzug vor den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/419>, abgerufen am 26.08.2024.