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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

Von Wotan eingehauchte Arglist nur dnrch ihre furchtbare Großartigkeit ge¬
adelt und als äußerste.Notwehr eines auf den Tod bedrohten Volkstums ent¬
schuldbar wird. Um Verrat und Gewalt zu mischen, brauchten diese mit der
ganzen Arglist und zugleich mit der maßlosen wilden Kraft des Barbaren
ausgerüsteten Söhne des Urwaldes nicht erst bei den Römern in die Schule
zu gehe". Es ist daher wohl auch allzu patriotisch, wenn man Chlodovech
um seiner Ruchlosigkeiten willen einen "französischen," nicht einen deutschen
(soll heißen: germanischen) .König nennen will; es fehlt wahrlich auch nicht
an germanischen Fürsten mit solchen Thaten und Eigenschaften (z. B. Genserich)."

Dann ist nicht zu vergessen, daß die genannten beiden Eigenschaften zu
den Tugenden einfacher Kulturzustände gehören, und daß sie selbst bei einem
Volke, in dem sie die Natur so tief gegründet hat wie in dem unsern, den
Versuchungen nicht Stand zu halten Pflegen, die ans einer höhern Kultur, aus
verwickelten Verhältnissen und aus dem Zusammenwohnen vieler auf einem
kleinen Raume entspringen. Jene Stämme, die sich auf die Wanderschaft be¬
gaben, mußten notwendigerweise schon in dem jahrelangen Lagerleben noch vor
aller Berührung mit den Römern die Reinheit des Familienlebens einbüßen,
die in dem einsamen Frieden eines abgeschlossnen Gehöftes zu bewahren nicht
eben schwierig gewesen war. Die Langobarden zeichneten sich wahrlich weder
dnrch besondre Neigung zum Christentum noch durch Freundschaft für die
römische Kirche aus; aber ihre Gesetze bezeugen deutlich einen hohen Grad
jener Roheit, die, wie wir annehmen wollen, ihnen nicht ursprünglich eigen,
sondern eine Folge der auf ihrer Wanderschaft eiugerisfnen Verwilderung war.

Endlich war der Begriff der Sklaverei, den wir Heutigen für ganz un¬
verträglich mit höherer, ja mit wahrer Gesittung ansehen, bei den Germanen
nicht weniger scharf ausgebildet als bei den Griechen und Römern, und der¬
selbe Bahn, der den Einfluß des heiligen Augustin auf die Gestaltung der
Politischen Verhältnisse des Abendlandes als höchst verderblich aufs tiefste be¬
sagt, gesteht doch andrerseits zu, daß jenes Hemmnis echter Menschlichkeit
allein durch die Kirche überwunden worden sei. "Ursprünglich -- sagt er -- sind
die Unfreien gar nicht zum Volke gehörig; sie sind Sachen, wie die Haustiere,
des Volksrechts nicht fähig -- eben weil nicht zum Volke gehörig, und andres
Recht giebt es, wenigstens im Anfang dieses Zeitraumes, noch nicht. All¬
mühlich bildet sich für sie ein besondres Standesrecht, das Hoferecht; vorher
schützt sie nur etwa das Kirchenverbot mit geistlichen Strafen wider gewisse
äußerste Folgerungen des Grundsatzes, daß sie nur Sachen, nicht Personen
sind. Sehr langsam werden im Eherechte zuerst die Rechte, dann im Straf¬
rechte die Pflichten der Unfreien als berechtigter und verantwortlicher Rechts-
subjekte, als Personen gewürdigt: die Ehe auch des Unfreien ist der Kirche
ein Sakrament, nicht durch die Willkür des Herrn ohne weiteres zu zerreißen;
andrerseits wird der christliche Knecht, der ein Verbrechen, eine Sünde begeht,


Grenzboten III 1891 61
Geschichtsphilosophische Gedanken

Von Wotan eingehauchte Arglist nur dnrch ihre furchtbare Großartigkeit ge¬
adelt und als äußerste.Notwehr eines auf den Tod bedrohten Volkstums ent¬
schuldbar wird. Um Verrat und Gewalt zu mischen, brauchten diese mit der
ganzen Arglist und zugleich mit der maßlosen wilden Kraft des Barbaren
ausgerüsteten Söhne des Urwaldes nicht erst bei den Römern in die Schule
zu gehe». Es ist daher wohl auch allzu patriotisch, wenn man Chlodovech
um seiner Ruchlosigkeiten willen einen „französischen," nicht einen deutschen
(soll heißen: germanischen) .König nennen will; es fehlt wahrlich auch nicht
an germanischen Fürsten mit solchen Thaten und Eigenschaften (z. B. Genserich)."

Dann ist nicht zu vergessen, daß die genannten beiden Eigenschaften zu
den Tugenden einfacher Kulturzustände gehören, und daß sie selbst bei einem
Volke, in dem sie die Natur so tief gegründet hat wie in dem unsern, den
Versuchungen nicht Stand zu halten Pflegen, die ans einer höhern Kultur, aus
verwickelten Verhältnissen und aus dem Zusammenwohnen vieler auf einem
kleinen Raume entspringen. Jene Stämme, die sich auf die Wanderschaft be¬
gaben, mußten notwendigerweise schon in dem jahrelangen Lagerleben noch vor
aller Berührung mit den Römern die Reinheit des Familienlebens einbüßen,
die in dem einsamen Frieden eines abgeschlossnen Gehöftes zu bewahren nicht
eben schwierig gewesen war. Die Langobarden zeichneten sich wahrlich weder
dnrch besondre Neigung zum Christentum noch durch Freundschaft für die
römische Kirche aus; aber ihre Gesetze bezeugen deutlich einen hohen Grad
jener Roheit, die, wie wir annehmen wollen, ihnen nicht ursprünglich eigen,
sondern eine Folge der auf ihrer Wanderschaft eiugerisfnen Verwilderung war.

Endlich war der Begriff der Sklaverei, den wir Heutigen für ganz un¬
verträglich mit höherer, ja mit wahrer Gesittung ansehen, bei den Germanen
nicht weniger scharf ausgebildet als bei den Griechen und Römern, und der¬
selbe Bahn, der den Einfluß des heiligen Augustin auf die Gestaltung der
Politischen Verhältnisse des Abendlandes als höchst verderblich aufs tiefste be¬
sagt, gesteht doch andrerseits zu, daß jenes Hemmnis echter Menschlichkeit
allein durch die Kirche überwunden worden sei. „Ursprünglich — sagt er — sind
die Unfreien gar nicht zum Volke gehörig; sie sind Sachen, wie die Haustiere,
des Volksrechts nicht fähig — eben weil nicht zum Volke gehörig, und andres
Recht giebt es, wenigstens im Anfang dieses Zeitraumes, noch nicht. All¬
mühlich bildet sich für sie ein besondres Standesrecht, das Hoferecht; vorher
schützt sie nur etwa das Kirchenverbot mit geistlichen Strafen wider gewisse
äußerste Folgerungen des Grundsatzes, daß sie nur Sachen, nicht Personen
sind. Sehr langsam werden im Eherechte zuerst die Rechte, dann im Straf¬
rechte die Pflichten der Unfreien als berechtigter und verantwortlicher Rechts-
subjekte, als Personen gewürdigt: die Ehe auch des Unfreien ist der Kirche
ein Sakrament, nicht durch die Willkür des Herrn ohne weiteres zu zerreißen;
andrerseits wird der christliche Knecht, der ein Verbrechen, eine Sünde begeht,


Grenzboten III 1891 61
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[0409] Geschichtsphilosophische Gedanken Von Wotan eingehauchte Arglist nur dnrch ihre furchtbare Großartigkeit ge¬ adelt und als äußerste.Notwehr eines auf den Tod bedrohten Volkstums ent¬ schuldbar wird. Um Verrat und Gewalt zu mischen, brauchten diese mit der ganzen Arglist und zugleich mit der maßlosen wilden Kraft des Barbaren ausgerüsteten Söhne des Urwaldes nicht erst bei den Römern in die Schule zu gehe». Es ist daher wohl auch allzu patriotisch, wenn man Chlodovech um seiner Ruchlosigkeiten willen einen „französischen," nicht einen deutschen (soll heißen: germanischen) .König nennen will; es fehlt wahrlich auch nicht an germanischen Fürsten mit solchen Thaten und Eigenschaften (z. B. Genserich)." Dann ist nicht zu vergessen, daß die genannten beiden Eigenschaften zu den Tugenden einfacher Kulturzustände gehören, und daß sie selbst bei einem Volke, in dem sie die Natur so tief gegründet hat wie in dem unsern, den Versuchungen nicht Stand zu halten Pflegen, die ans einer höhern Kultur, aus verwickelten Verhältnissen und aus dem Zusammenwohnen vieler auf einem kleinen Raume entspringen. Jene Stämme, die sich auf die Wanderschaft be¬ gaben, mußten notwendigerweise schon in dem jahrelangen Lagerleben noch vor aller Berührung mit den Römern die Reinheit des Familienlebens einbüßen, die in dem einsamen Frieden eines abgeschlossnen Gehöftes zu bewahren nicht eben schwierig gewesen war. Die Langobarden zeichneten sich wahrlich weder dnrch besondre Neigung zum Christentum noch durch Freundschaft für die römische Kirche aus; aber ihre Gesetze bezeugen deutlich einen hohen Grad jener Roheit, die, wie wir annehmen wollen, ihnen nicht ursprünglich eigen, sondern eine Folge der auf ihrer Wanderschaft eiugerisfnen Verwilderung war. Endlich war der Begriff der Sklaverei, den wir Heutigen für ganz un¬ verträglich mit höherer, ja mit wahrer Gesittung ansehen, bei den Germanen nicht weniger scharf ausgebildet als bei den Griechen und Römern, und der¬ selbe Bahn, der den Einfluß des heiligen Augustin auf die Gestaltung der Politischen Verhältnisse des Abendlandes als höchst verderblich aufs tiefste be¬ sagt, gesteht doch andrerseits zu, daß jenes Hemmnis echter Menschlichkeit allein durch die Kirche überwunden worden sei. „Ursprünglich — sagt er — sind die Unfreien gar nicht zum Volke gehörig; sie sind Sachen, wie die Haustiere, des Volksrechts nicht fähig — eben weil nicht zum Volke gehörig, und andres Recht giebt es, wenigstens im Anfang dieses Zeitraumes, noch nicht. All¬ mühlich bildet sich für sie ein besondres Standesrecht, das Hoferecht; vorher schützt sie nur etwa das Kirchenverbot mit geistlichen Strafen wider gewisse äußerste Folgerungen des Grundsatzes, daß sie nur Sachen, nicht Personen sind. Sehr langsam werden im Eherechte zuerst die Rechte, dann im Straf¬ rechte die Pflichten der Unfreien als berechtigter und verantwortlicher Rechts- subjekte, als Personen gewürdigt: die Ehe auch des Unfreien ist der Kirche ein Sakrament, nicht durch die Willkür des Herrn ohne weiteres zu zerreißen; andrerseits wird der christliche Knecht, der ein Verbrechen, eine Sünde begeht, Grenzboten III 1891 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/409>, abgerufen am 23.07.2024.