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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

Lehrschriften zur Vermeidung der gebräuchlichsten Sprachfehler. Weniger be¬
kannt dürfte -- wenigstens in Deutschland -- sein, daß man auch die loth¬
ringische Sprache im Wortgebranch und Satzbau, von der Aussprache ganz
abgesehen, in Frankreich stets bemängelt hat. Graf Boulainvilliers sagt in
seinem Mg,t as ig. I'ranoe: I/hö l^rrains sont trss ^rossisrs, se oft ssprit
qui, so kön vonnvitrs xg.r un 1anZll"Ao trof ÄssgAröMs, est repMÄu für 1s.
noblssss, soinins v^rini 1s siinxls psnxls. Die Lothringer sprachen eben ihr
eignes Französisch, das den durch Sorbonne und Akademie gebildeten Fran¬
zosen gründlich mißfiel. Im Jahre 1785 gab ein Abbs Dubois, um solchem
Ärgernis abzuhelfen, eine Schrift heraus, betitelt: l^hö loeutions vieisusss,
usitsss su I^rraws, und auf Anregung der Akademie in Metz veröffentlichte
ein Schulmann, I. F. Michel, 1807 eine erweiterte und dringende Mahnung
an seine Landsleute unter dein Titel: vistisnimiro ass sxxrs88jhn.8 visiousss,
usitsos notÄMnient 6^N8 1a si-äsvWt vrovines as Il0rrg.ins.

Welche Nutzanwendung haben wir nun aus solche" Erfahrungen zu ziehe",
wenn wir diese verwerten wollen zur Erkenntnis der deutschen nationalen Auf¬
gaben im Lande bezüglich der Sprache? Vor allem müssen wir den Gleich¬
mut bewundern, womit Frankreich die Sprachenfrage in älterer und neuerer
Zeit behandelt hat. Ludwig XIV. und seine Nachfolger überließen Elsaß,
Lothringen und die Bistümer ganz und gar dem Handelsverkehr mit dem
Reiche, mit den Niederlanden und der Schweiz, und zwar mit der bestimmten
Absicht, die fremden Nachbarstaaten zunächst mit diesem Vorlande in geschäft¬
liche Verbindung zu bringen und auf diese Weise den Einfluß der französischen
Oberhoheit zu erweitern. Wie richtig sie dabei gerechnet hatten, beweist die
Leichtigkeit, womit sich das ganze linke Rheinufer in sein Schicksal fand, als
es unter französische Herrschaft geriet. Nachdem Frankreich die Zollgrenze
mit der Staatsgrenze abgeschlossen hatte, ging es wieder nicht daran, die
deutsche Sprache im Elsaß und im Westrich auszurotten. Reichlicher Ersatz
für das durch staatlichen Zwang erreichbare bot die Zentralisirung. Durch
die großen Prinzipien" von 1789, die man in Deutschland verkehrterweise so
gern für hohle Phrasen erklärt, war den deutschsprechenden und den prote¬
stantischen Elsüssern die Gleichberechtigung mit allen Vollblutfranzosen gesichert;
Frankreich überließ aber keineswegs Elsaß und Lothringen sich selbst. Wer
eine Laufbahn im Staatsdienste, in Handel, in Kunst und Wissenschaft u. s. w.
anstrebte, der war auf Paris angewiesen. Diese Anziehungskraft Frankreichs,
die sich noch heute geltend macht, überhob den Staat der Sorge um die Ver¬
breitung der französischen Sprache. Die völlige geistige und materielle Ab¬
hängigkeit der Provinz war schon durch die Zentralisation gesichert; und heute,
nach der politischen Abtrennung des Landes von Frankreich, ist dieser unge¬
schwächt fortbestehende Wanderzug nach Frankreich völlig ausreichend, uns
den noch auf lange Zeit gesicherten Einfluß Frankreichs auf das Reichsland


Die Sprachgrenze in Lothringen

Lehrschriften zur Vermeidung der gebräuchlichsten Sprachfehler. Weniger be¬
kannt dürfte — wenigstens in Deutschland — sein, daß man auch die loth¬
ringische Sprache im Wortgebranch und Satzbau, von der Aussprache ganz
abgesehen, in Frankreich stets bemängelt hat. Graf Boulainvilliers sagt in
seinem Mg,t as ig. I'ranoe: I/hö l^rrains sont trss ^rossisrs, se oft ssprit
qui, so kön vonnvitrs xg.r un 1anZll»Ao trof ÄssgAröMs, est repMÄu für 1s.
noblssss, soinins v^rini 1s siinxls psnxls. Die Lothringer sprachen eben ihr
eignes Französisch, das den durch Sorbonne und Akademie gebildeten Fran¬
zosen gründlich mißfiel. Im Jahre 1785 gab ein Abbs Dubois, um solchem
Ärgernis abzuhelfen, eine Schrift heraus, betitelt: l^hö loeutions vieisusss,
usitsss su I^rraws, und auf Anregung der Akademie in Metz veröffentlichte
ein Schulmann, I. F. Michel, 1807 eine erweiterte und dringende Mahnung
an seine Landsleute unter dein Titel: vistisnimiro ass sxxrs88jhn.8 visiousss,
usitsos notÄMnient 6^N8 1a si-äsvWt vrovines as Il0rrg.ins.

Welche Nutzanwendung haben wir nun aus solche» Erfahrungen zu ziehe»,
wenn wir diese verwerten wollen zur Erkenntnis der deutschen nationalen Auf¬
gaben im Lande bezüglich der Sprache? Vor allem müssen wir den Gleich¬
mut bewundern, womit Frankreich die Sprachenfrage in älterer und neuerer
Zeit behandelt hat. Ludwig XIV. und seine Nachfolger überließen Elsaß,
Lothringen und die Bistümer ganz und gar dem Handelsverkehr mit dem
Reiche, mit den Niederlanden und der Schweiz, und zwar mit der bestimmten
Absicht, die fremden Nachbarstaaten zunächst mit diesem Vorlande in geschäft¬
liche Verbindung zu bringen und auf diese Weise den Einfluß der französischen
Oberhoheit zu erweitern. Wie richtig sie dabei gerechnet hatten, beweist die
Leichtigkeit, womit sich das ganze linke Rheinufer in sein Schicksal fand, als
es unter französische Herrschaft geriet. Nachdem Frankreich die Zollgrenze
mit der Staatsgrenze abgeschlossen hatte, ging es wieder nicht daran, die
deutsche Sprache im Elsaß und im Westrich auszurotten. Reichlicher Ersatz
für das durch staatlichen Zwang erreichbare bot die Zentralisirung. Durch
die großen Prinzipien" von 1789, die man in Deutschland verkehrterweise so
gern für hohle Phrasen erklärt, war den deutschsprechenden und den prote¬
stantischen Elsüssern die Gleichberechtigung mit allen Vollblutfranzosen gesichert;
Frankreich überließ aber keineswegs Elsaß und Lothringen sich selbst. Wer
eine Laufbahn im Staatsdienste, in Handel, in Kunst und Wissenschaft u. s. w.
anstrebte, der war auf Paris angewiesen. Diese Anziehungskraft Frankreichs,
die sich noch heute geltend macht, überhob den Staat der Sorge um die Ver¬
breitung der französischen Sprache. Die völlige geistige und materielle Ab¬
hängigkeit der Provinz war schon durch die Zentralisation gesichert; und heute,
nach der politischen Abtrennung des Landes von Frankreich, ist dieser unge¬
schwächt fortbestehende Wanderzug nach Frankreich völlig ausreichend, uns
den noch auf lange Zeit gesicherten Einfluß Frankreichs auf das Reichsland


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[0404] Die Sprachgrenze in Lothringen Lehrschriften zur Vermeidung der gebräuchlichsten Sprachfehler. Weniger be¬ kannt dürfte — wenigstens in Deutschland — sein, daß man auch die loth¬ ringische Sprache im Wortgebranch und Satzbau, von der Aussprache ganz abgesehen, in Frankreich stets bemängelt hat. Graf Boulainvilliers sagt in seinem Mg,t as ig. I'ranoe: I/hö l^rrains sont trss ^rossisrs, se oft ssprit qui, so kön vonnvitrs xg.r un 1anZll»Ao trof ÄssgAröMs, est repMÄu für 1s. noblssss, soinins v^rini 1s siinxls psnxls. Die Lothringer sprachen eben ihr eignes Französisch, das den durch Sorbonne und Akademie gebildeten Fran¬ zosen gründlich mißfiel. Im Jahre 1785 gab ein Abbs Dubois, um solchem Ärgernis abzuhelfen, eine Schrift heraus, betitelt: l^hö loeutions vieisusss, usitsss su I^rraws, und auf Anregung der Akademie in Metz veröffentlichte ein Schulmann, I. F. Michel, 1807 eine erweiterte und dringende Mahnung an seine Landsleute unter dein Titel: vistisnimiro ass sxxrs88jhn.8 visiousss, usitsos notÄMnient 6^N8 1a si-äsvWt vrovines as Il0rrg.ins. Welche Nutzanwendung haben wir nun aus solche» Erfahrungen zu ziehe», wenn wir diese verwerten wollen zur Erkenntnis der deutschen nationalen Auf¬ gaben im Lande bezüglich der Sprache? Vor allem müssen wir den Gleich¬ mut bewundern, womit Frankreich die Sprachenfrage in älterer und neuerer Zeit behandelt hat. Ludwig XIV. und seine Nachfolger überließen Elsaß, Lothringen und die Bistümer ganz und gar dem Handelsverkehr mit dem Reiche, mit den Niederlanden und der Schweiz, und zwar mit der bestimmten Absicht, die fremden Nachbarstaaten zunächst mit diesem Vorlande in geschäft¬ liche Verbindung zu bringen und auf diese Weise den Einfluß der französischen Oberhoheit zu erweitern. Wie richtig sie dabei gerechnet hatten, beweist die Leichtigkeit, womit sich das ganze linke Rheinufer in sein Schicksal fand, als es unter französische Herrschaft geriet. Nachdem Frankreich die Zollgrenze mit der Staatsgrenze abgeschlossen hatte, ging es wieder nicht daran, die deutsche Sprache im Elsaß und im Westrich auszurotten. Reichlicher Ersatz für das durch staatlichen Zwang erreichbare bot die Zentralisirung. Durch die großen Prinzipien" von 1789, die man in Deutschland verkehrterweise so gern für hohle Phrasen erklärt, war den deutschsprechenden und den prote¬ stantischen Elsüssern die Gleichberechtigung mit allen Vollblutfranzosen gesichert; Frankreich überließ aber keineswegs Elsaß und Lothringen sich selbst. Wer eine Laufbahn im Staatsdienste, in Handel, in Kunst und Wissenschaft u. s. w. anstrebte, der war auf Paris angewiesen. Diese Anziehungskraft Frankreichs, die sich noch heute geltend macht, überhob den Staat der Sorge um die Ver¬ breitung der französischen Sprache. Die völlige geistige und materielle Ab¬ hängigkeit der Provinz war schon durch die Zentralisation gesichert; und heute, nach der politischen Abtrennung des Landes von Frankreich, ist dieser unge¬ schwächt fortbestehende Wanderzug nach Frankreich völlig ausreichend, uns den noch auf lange Zeit gesicherten Einfluß Frankreichs auf das Reichsland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/404>, abgerufen am 26.08.2024.