Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Naumburger Airschfest

schien dauernd unbefriedigt bleiben zu sollen, weder gleichzeitige Chroniken
noch Urkunden hatten es für wichtig genug erachtet, sich über das Ereignis
auch nur in ihrer bekannten lakonischer Kürze auszusprechen.

Da trat ein falscher Prophet auf in Israel, der faud viel Lügeuschreibens
kein Ende. Und alles Volk fiel ihm zu, darum daß er klüglich handelte und
seiue Worte süßer machte denn Honig und Honigseim. Dieser Betrüger und
dreiste Geschichtsfälscher war ein heruntergekommener Schulmeister namens
Raub, der vor etwa einem Jahrhundert nach einem bewegten Leben die Sol¬
datenkinder des damals in Naumburg stehenden ersten Bataillons vom kur-
snchsischen Infanterieregiment "Prinz Xaver" unterrichtete. Raub machte sich
das Verlangen der Naumburger zu nutze. Er gab vor, durch einen glück¬
lichen Zufall in den Besitz einer alten Chronik gelangt zu sein, die der Bene¬
diktinermönch Taube im vormaligen Se. Georgenkloster vor Naumburg im
sechzehnten Jahrhundert verfaßt oder doch fortgesetzt und zu Ende geführt
habe, und diese Klosterchronik enthalte auch genaue Nachrichten über die An¬
wesenheit der Hussiten vor Naumburg und den Ursprung des Kirschfestes.
Im Jahre 1782 ließ dieser würdige Garnisonkinderlehrer ein Schriftchen drucken,
das dein Kommandanten der Garnison gewidmet war und den Titel führte:
"Die Schwachheit über die Stärke, oder gründliche Nachricht von dem 1432
vor Naumburg sich gelagerten Heere der Hussiten unter ihrem Heerführer
Proeopio, und dem daher entstandenen Naumburgischeu Schul- oder Kirschfeste,
alles aus sehr raren und seltenen Urkunden zusammen getragen von Johann
George'Rauben." Das war es, was gefehlt hatte, die Entstehungsgeschichte
des Festes nach sehr raren und seltenen Urkunden! Neuss Schriftchen fand
in Naumburg schnellen Absatz, ward gierig verschlungen und von der Bürger¬
schaft anstandslos geglaubt. Sachverständige vermochte der Betrüger freilich
uicht zu hintergehen, aber deren Zahl war verschwindend klein im Verhältnis
zu der Menge der Gläubigen. Der angebliche Mönch und Chronist Taube,
von dem weder vorher noch nachher jemand etwas erfahren hat, was nicht
aus Neuss Feder geflossen wäre, ist eine Erfindung des fabelnden Garnison¬
kinderlehrers. Gegen die Kürze und Dürftigkeit der mittelalterlichen Chroniken
sticht die umständliche Kleinmalerei der Firma Taube-Raub wunderlich ab.
Die Sprache ist weder die des Reformationszeitalters, wo Taube gelebt haben
soll, noch die des vorigen Jahrhunderts, sondern eine gekünstelt altertümliche,
die es niemals gegeben hat. In vielen groben Unrichtigkeiten sachlicher Art,
deren Widerlegung bloße Zeitverschwendung sein würde, guckt der Pferdefuß
unter dem mit gewissem Geschick umgelegten Lügenmantel hervor. Raub besaß
eine blühende Phantasie, durch die es ihm leicht wurde, allerhand Geschichtchen
auszusinnen und jeden wenn auch noch so nebensächlichen Umstand zu einem
lebhaften und anschaulichen Bildchen zu gestalten. Zugleich war er schlau
genug, aus der Geschichte Naumburgs, mit der er sich beschäftigt hatte, und


Das Naumburger Airschfest

schien dauernd unbefriedigt bleiben zu sollen, weder gleichzeitige Chroniken
noch Urkunden hatten es für wichtig genug erachtet, sich über das Ereignis
auch nur in ihrer bekannten lakonischer Kürze auszusprechen.

Da trat ein falscher Prophet auf in Israel, der faud viel Lügeuschreibens
kein Ende. Und alles Volk fiel ihm zu, darum daß er klüglich handelte und
seiue Worte süßer machte denn Honig und Honigseim. Dieser Betrüger und
dreiste Geschichtsfälscher war ein heruntergekommener Schulmeister namens
Raub, der vor etwa einem Jahrhundert nach einem bewegten Leben die Sol¬
datenkinder des damals in Naumburg stehenden ersten Bataillons vom kur-
snchsischen Infanterieregiment „Prinz Xaver" unterrichtete. Raub machte sich
das Verlangen der Naumburger zu nutze. Er gab vor, durch einen glück¬
lichen Zufall in den Besitz einer alten Chronik gelangt zu sein, die der Bene¬
diktinermönch Taube im vormaligen Se. Georgenkloster vor Naumburg im
sechzehnten Jahrhundert verfaßt oder doch fortgesetzt und zu Ende geführt
habe, und diese Klosterchronik enthalte auch genaue Nachrichten über die An¬
wesenheit der Hussiten vor Naumburg und den Ursprung des Kirschfestes.
Im Jahre 1782 ließ dieser würdige Garnisonkinderlehrer ein Schriftchen drucken,
das dein Kommandanten der Garnison gewidmet war und den Titel führte:
„Die Schwachheit über die Stärke, oder gründliche Nachricht von dem 1432
vor Naumburg sich gelagerten Heere der Hussiten unter ihrem Heerführer
Proeopio, und dem daher entstandenen Naumburgischeu Schul- oder Kirschfeste,
alles aus sehr raren und seltenen Urkunden zusammen getragen von Johann
George'Rauben." Das war es, was gefehlt hatte, die Entstehungsgeschichte
des Festes nach sehr raren und seltenen Urkunden! Neuss Schriftchen fand
in Naumburg schnellen Absatz, ward gierig verschlungen und von der Bürger¬
schaft anstandslos geglaubt. Sachverständige vermochte der Betrüger freilich
uicht zu hintergehen, aber deren Zahl war verschwindend klein im Verhältnis
zu der Menge der Gläubigen. Der angebliche Mönch und Chronist Taube,
von dem weder vorher noch nachher jemand etwas erfahren hat, was nicht
aus Neuss Feder geflossen wäre, ist eine Erfindung des fabelnden Garnison¬
kinderlehrers. Gegen die Kürze und Dürftigkeit der mittelalterlichen Chroniken
sticht die umständliche Kleinmalerei der Firma Taube-Raub wunderlich ab.
Die Sprache ist weder die des Reformationszeitalters, wo Taube gelebt haben
soll, noch die des vorigen Jahrhunderts, sondern eine gekünstelt altertümliche,
die es niemals gegeben hat. In vielen groben Unrichtigkeiten sachlicher Art,
deren Widerlegung bloße Zeitverschwendung sein würde, guckt der Pferdefuß
unter dem mit gewissem Geschick umgelegten Lügenmantel hervor. Raub besaß
eine blühende Phantasie, durch die es ihm leicht wurde, allerhand Geschichtchen
auszusinnen und jeden wenn auch noch so nebensächlichen Umstand zu einem
lebhaften und anschaulichen Bildchen zu gestalten. Zugleich war er schlau
genug, aus der Geschichte Naumburgs, mit der er sich beschäftigt hatte, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290150"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Naumburger Airschfest</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1082" prev="#ID_1081"> schien dauernd unbefriedigt bleiben zu sollen, weder gleichzeitige Chroniken<lb/>
noch Urkunden hatten es für wichtig genug erachtet, sich über das Ereignis<lb/>
auch nur in ihrer bekannten lakonischer Kürze auszusprechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1083" next="#ID_1084"> Da trat ein falscher Prophet auf in Israel, der faud viel Lügeuschreibens<lb/>
kein Ende. Und alles Volk fiel ihm zu, darum daß er klüglich handelte und<lb/>
seiue Worte süßer machte denn Honig und Honigseim. Dieser Betrüger und<lb/>
dreiste Geschichtsfälscher war ein heruntergekommener Schulmeister namens<lb/>
Raub, der vor etwa einem Jahrhundert nach einem bewegten Leben die Sol¬<lb/>
datenkinder des damals in Naumburg stehenden ersten Bataillons vom kur-<lb/>
snchsischen Infanterieregiment &#x201E;Prinz Xaver" unterrichtete. Raub machte sich<lb/>
das Verlangen der Naumburger zu nutze. Er gab vor, durch einen glück¬<lb/>
lichen Zufall in den Besitz einer alten Chronik gelangt zu sein, die der Bene¬<lb/>
diktinermönch Taube im vormaligen Se. Georgenkloster vor Naumburg im<lb/>
sechzehnten Jahrhundert verfaßt oder doch fortgesetzt und zu Ende geführt<lb/>
habe, und diese Klosterchronik enthalte auch genaue Nachrichten über die An¬<lb/>
wesenheit der Hussiten vor Naumburg und den Ursprung des Kirschfestes.<lb/>
Im Jahre 1782 ließ dieser würdige Garnisonkinderlehrer ein Schriftchen drucken,<lb/>
das dein Kommandanten der Garnison gewidmet war und den Titel führte:<lb/>
&#x201E;Die Schwachheit über die Stärke, oder gründliche Nachricht von dem 1432<lb/>
vor Naumburg sich gelagerten Heere der Hussiten unter ihrem Heerführer<lb/>
Proeopio, und dem daher entstandenen Naumburgischeu Schul- oder Kirschfeste,<lb/>
alles aus sehr raren und seltenen Urkunden zusammen getragen von Johann<lb/>
George'Rauben." Das war es, was gefehlt hatte, die Entstehungsgeschichte<lb/>
des Festes nach sehr raren und seltenen Urkunden! Neuss Schriftchen fand<lb/>
in Naumburg schnellen Absatz, ward gierig verschlungen und von der Bürger¬<lb/>
schaft anstandslos geglaubt. Sachverständige vermochte der Betrüger freilich<lb/>
uicht zu hintergehen, aber deren Zahl war verschwindend klein im Verhältnis<lb/>
zu der Menge der Gläubigen. Der angebliche Mönch und Chronist Taube,<lb/>
von dem weder vorher noch nachher jemand etwas erfahren hat, was nicht<lb/>
aus Neuss Feder geflossen wäre, ist eine Erfindung des fabelnden Garnison¬<lb/>
kinderlehrers. Gegen die Kürze und Dürftigkeit der mittelalterlichen Chroniken<lb/>
sticht die umständliche Kleinmalerei der Firma Taube-Raub wunderlich ab.<lb/>
Die Sprache ist weder die des Reformationszeitalters, wo Taube gelebt haben<lb/>
soll, noch die des vorigen Jahrhunderts, sondern eine gekünstelt altertümliche,<lb/>
die es niemals gegeben hat. In vielen groben Unrichtigkeiten sachlicher Art,<lb/>
deren Widerlegung bloße Zeitverschwendung sein würde, guckt der Pferdefuß<lb/>
unter dem mit gewissem Geschick umgelegten Lügenmantel hervor. Raub besaß<lb/>
eine blühende Phantasie, durch die es ihm leicht wurde, allerhand Geschichtchen<lb/>
auszusinnen und jeden wenn auch noch so nebensächlichen Umstand zu einem<lb/>
lebhaften und anschaulichen Bildchen zu gestalten. Zugleich war er schlau<lb/>
genug, aus der Geschichte Naumburgs, mit der er sich beschäftigt hatte, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] Das Naumburger Airschfest schien dauernd unbefriedigt bleiben zu sollen, weder gleichzeitige Chroniken noch Urkunden hatten es für wichtig genug erachtet, sich über das Ereignis auch nur in ihrer bekannten lakonischer Kürze auszusprechen. Da trat ein falscher Prophet auf in Israel, der faud viel Lügeuschreibens kein Ende. Und alles Volk fiel ihm zu, darum daß er klüglich handelte und seiue Worte süßer machte denn Honig und Honigseim. Dieser Betrüger und dreiste Geschichtsfälscher war ein heruntergekommener Schulmeister namens Raub, der vor etwa einem Jahrhundert nach einem bewegten Leben die Sol¬ datenkinder des damals in Naumburg stehenden ersten Bataillons vom kur- snchsischen Infanterieregiment „Prinz Xaver" unterrichtete. Raub machte sich das Verlangen der Naumburger zu nutze. Er gab vor, durch einen glück¬ lichen Zufall in den Besitz einer alten Chronik gelangt zu sein, die der Bene¬ diktinermönch Taube im vormaligen Se. Georgenkloster vor Naumburg im sechzehnten Jahrhundert verfaßt oder doch fortgesetzt und zu Ende geführt habe, und diese Klosterchronik enthalte auch genaue Nachrichten über die An¬ wesenheit der Hussiten vor Naumburg und den Ursprung des Kirschfestes. Im Jahre 1782 ließ dieser würdige Garnisonkinderlehrer ein Schriftchen drucken, das dein Kommandanten der Garnison gewidmet war und den Titel führte: „Die Schwachheit über die Stärke, oder gründliche Nachricht von dem 1432 vor Naumburg sich gelagerten Heere der Hussiten unter ihrem Heerführer Proeopio, und dem daher entstandenen Naumburgischeu Schul- oder Kirschfeste, alles aus sehr raren und seltenen Urkunden zusammen getragen von Johann George'Rauben." Das war es, was gefehlt hatte, die Entstehungsgeschichte des Festes nach sehr raren und seltenen Urkunden! Neuss Schriftchen fand in Naumburg schnellen Absatz, ward gierig verschlungen und von der Bürger¬ schaft anstandslos geglaubt. Sachverständige vermochte der Betrüger freilich uicht zu hintergehen, aber deren Zahl war verschwindend klein im Verhältnis zu der Menge der Gläubigen. Der angebliche Mönch und Chronist Taube, von dem weder vorher noch nachher jemand etwas erfahren hat, was nicht aus Neuss Feder geflossen wäre, ist eine Erfindung des fabelnden Garnison¬ kinderlehrers. Gegen die Kürze und Dürftigkeit der mittelalterlichen Chroniken sticht die umständliche Kleinmalerei der Firma Taube-Raub wunderlich ab. Die Sprache ist weder die des Reformationszeitalters, wo Taube gelebt haben soll, noch die des vorigen Jahrhunderts, sondern eine gekünstelt altertümliche, die es niemals gegeben hat. In vielen groben Unrichtigkeiten sachlicher Art, deren Widerlegung bloße Zeitverschwendung sein würde, guckt der Pferdefuß unter dem mit gewissem Geschick umgelegten Lügenmantel hervor. Raub besaß eine blühende Phantasie, durch die es ihm leicht wurde, allerhand Geschichtchen auszusinnen und jeden wenn auch noch so nebensächlichen Umstand zu einem lebhaften und anschaulichen Bildchen zu gestalten. Zugleich war er schlau genug, aus der Geschichte Naumburgs, mit der er sich beschäftigt hatte, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/381>, abgerufen am 26.08.2024.