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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Strafrichter

Privatzwistigkeit zwingen will. Warum soll nicht auf Antrag des Privat¬
klägers und mit Zustimmung des Angeklagten, der meist sehr gern einverstanden
sein wird, die Öffentlichkeit ausgeschlossen und den sonst anwesenden Personell
Geheimhaltung zur Pflicht gemacht werden dürfen? Im übrigen ist dem
Beleidigten, der nur den Splitter in des Bruders Auge sieht, des Balkens
im eignen Auge aber uicht gewahr wird, nur dringend zu raten, still in seinein
Glashause wohnen zu bleiben.

Ob unser Volksleben, wie manche meinen, einer neuen genossenschaftlichen
Gliederung entgegengeht, und ob sich an diese auch eine besondre Ehrengerichts-
barkeit anschließen lassen wird, muß die künftige Entwicklung lehren. Die
ausgezeichneten Erfahrungen, die mit den Ehrengerichten des Offizierskorps
gegenüber eigner und fremder Verunehrung gemacht worden sind, sollten dazu
ermutigen, diese Einrichtung möglichst zu verallgemeinern. Inzwischen wäre
schon viel gewonnen, wenn bei der Wahl der staatlich bestellten Schiedsmänner
oder Friedensrichter das Augenmerk nicht bloß ans tüchtige und ehrenwerte"
sondern zugleich auch auf gesellschaftlich möglichst hochstehende Männer gerichtet
würde. Auch den Angehörigen der höhern Gesellschaftsklassen wäre damit ein
Vertrauensmann bezeichnet, dem sie sich gewöhnen könnten ihre Ehrenhändel
zur Entscheidung vorzulegen. Und so demokratisch, daß der um seine Ehre
bekümmerte Bürger sich nicht gern der Autorität eines alten erfahrnen Edel¬
mannes anvertraute, sind wir noch lange nicht.

Über den Zweikampf als Mittel zur Wiederherstellung der geschädigten Ehre
mag man denken, wie man will, und wir sind die letzten, die darüber spotten
wollten, er ist doch das Überbleibsel eines recht- und friedlosen Zeitalters,
das in unsern Tagen eigentlich überwunden sein sollte. Könnte die Sitte nur
erst erreiche", daß die Genugthuung mit der Waffe für gleichwertig erachtet
würde dem Spruch des staatlich oder ständisch bestellten Ehrenrichters, so wäre
schon dies ein gewaltiger Fortschritt. Denn mittelbar leistet gerade die Mei¬
nung, nur der Zweikampf biete das Mittel zur Erlangung standesgemäßer
Genugthuung, der vielbeklagteu Überspannung des Ehrbegriffes Vorschub.
Habe ich den schimpflichsten aller Vorwürfe, den der Feigheit, auch unausge¬
sprochen von achtungswerten Standesgenossen zu besorge", wenn ich zu einer
Unbill, einer Kränkung schweige, die gar keine Ehrenkränkung ist, oder eine
Herausforderung anzunehmen zögere, die auf eine schändliche Frivolität hinaus¬
läuft, wer will den Stab über mich brechen, wenn ich lieber mein Leben in
die Schanze schlage? Füllt jene Besorgnis weg, so ist von vornherein schon
einer ruhigern Prüfung der Boden geebnet. Es ist bezeichnend, daß in den
auf Satisfaktionsfühigkeit gar nicht Anspruch erhebenden Kreisen unsers ehren¬
fester Bürgerstandes bis herab zum sogenannten gemeinen Mann oft ein über¬
raschend sichres und gesundes Urteil in Ehrenangelegenheiten anzutreffen ist.
Ein Urteil, das mit dem der höchsten Gesellschaftsklassen, innerhalb deren der


Grenzboten III 1891 4S
Die Ehre und der Strafrichter

Privatzwistigkeit zwingen will. Warum soll nicht auf Antrag des Privat¬
klägers und mit Zustimmung des Angeklagten, der meist sehr gern einverstanden
sein wird, die Öffentlichkeit ausgeschlossen und den sonst anwesenden Personell
Geheimhaltung zur Pflicht gemacht werden dürfen? Im übrigen ist dem
Beleidigten, der nur den Splitter in des Bruders Auge sieht, des Balkens
im eignen Auge aber uicht gewahr wird, nur dringend zu raten, still in seinein
Glashause wohnen zu bleiben.

Ob unser Volksleben, wie manche meinen, einer neuen genossenschaftlichen
Gliederung entgegengeht, und ob sich an diese auch eine besondre Ehrengerichts-
barkeit anschließen lassen wird, muß die künftige Entwicklung lehren. Die
ausgezeichneten Erfahrungen, die mit den Ehrengerichten des Offizierskorps
gegenüber eigner und fremder Verunehrung gemacht worden sind, sollten dazu
ermutigen, diese Einrichtung möglichst zu verallgemeinern. Inzwischen wäre
schon viel gewonnen, wenn bei der Wahl der staatlich bestellten Schiedsmänner
oder Friedensrichter das Augenmerk nicht bloß ans tüchtige und ehrenwerte»
sondern zugleich auch auf gesellschaftlich möglichst hochstehende Männer gerichtet
würde. Auch den Angehörigen der höhern Gesellschaftsklassen wäre damit ein
Vertrauensmann bezeichnet, dem sie sich gewöhnen könnten ihre Ehrenhändel
zur Entscheidung vorzulegen. Und so demokratisch, daß der um seine Ehre
bekümmerte Bürger sich nicht gern der Autorität eines alten erfahrnen Edel¬
mannes anvertraute, sind wir noch lange nicht.

Über den Zweikampf als Mittel zur Wiederherstellung der geschädigten Ehre
mag man denken, wie man will, und wir sind die letzten, die darüber spotten
wollten, er ist doch das Überbleibsel eines recht- und friedlosen Zeitalters,
das in unsern Tagen eigentlich überwunden sein sollte. Könnte die Sitte nur
erst erreiche», daß die Genugthuung mit der Waffe für gleichwertig erachtet
würde dem Spruch des staatlich oder ständisch bestellten Ehrenrichters, so wäre
schon dies ein gewaltiger Fortschritt. Denn mittelbar leistet gerade die Mei¬
nung, nur der Zweikampf biete das Mittel zur Erlangung standesgemäßer
Genugthuung, der vielbeklagteu Überspannung des Ehrbegriffes Vorschub.
Habe ich den schimpflichsten aller Vorwürfe, den der Feigheit, auch unausge¬
sprochen von achtungswerten Standesgenossen zu besorge», wenn ich zu einer
Unbill, einer Kränkung schweige, die gar keine Ehrenkränkung ist, oder eine
Herausforderung anzunehmen zögere, die auf eine schändliche Frivolität hinaus¬
läuft, wer will den Stab über mich brechen, wenn ich lieber mein Leben in
die Schanze schlage? Füllt jene Besorgnis weg, so ist von vornherein schon
einer ruhigern Prüfung der Boden geebnet. Es ist bezeichnend, daß in den
auf Satisfaktionsfühigkeit gar nicht Anspruch erhebenden Kreisen unsers ehren¬
fester Bürgerstandes bis herab zum sogenannten gemeinen Mann oft ein über¬
raschend sichres und gesundes Urteil in Ehrenangelegenheiten anzutreffen ist.
Ein Urteil, das mit dem der höchsten Gesellschaftsklassen, innerhalb deren der


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[0361] Die Ehre und der Strafrichter Privatzwistigkeit zwingen will. Warum soll nicht auf Antrag des Privat¬ klägers und mit Zustimmung des Angeklagten, der meist sehr gern einverstanden sein wird, die Öffentlichkeit ausgeschlossen und den sonst anwesenden Personell Geheimhaltung zur Pflicht gemacht werden dürfen? Im übrigen ist dem Beleidigten, der nur den Splitter in des Bruders Auge sieht, des Balkens im eignen Auge aber uicht gewahr wird, nur dringend zu raten, still in seinein Glashause wohnen zu bleiben. Ob unser Volksleben, wie manche meinen, einer neuen genossenschaftlichen Gliederung entgegengeht, und ob sich an diese auch eine besondre Ehrengerichts- barkeit anschließen lassen wird, muß die künftige Entwicklung lehren. Die ausgezeichneten Erfahrungen, die mit den Ehrengerichten des Offizierskorps gegenüber eigner und fremder Verunehrung gemacht worden sind, sollten dazu ermutigen, diese Einrichtung möglichst zu verallgemeinern. Inzwischen wäre schon viel gewonnen, wenn bei der Wahl der staatlich bestellten Schiedsmänner oder Friedensrichter das Augenmerk nicht bloß ans tüchtige und ehrenwerte» sondern zugleich auch auf gesellschaftlich möglichst hochstehende Männer gerichtet würde. Auch den Angehörigen der höhern Gesellschaftsklassen wäre damit ein Vertrauensmann bezeichnet, dem sie sich gewöhnen könnten ihre Ehrenhändel zur Entscheidung vorzulegen. Und so demokratisch, daß der um seine Ehre bekümmerte Bürger sich nicht gern der Autorität eines alten erfahrnen Edel¬ mannes anvertraute, sind wir noch lange nicht. Über den Zweikampf als Mittel zur Wiederherstellung der geschädigten Ehre mag man denken, wie man will, und wir sind die letzten, die darüber spotten wollten, er ist doch das Überbleibsel eines recht- und friedlosen Zeitalters, das in unsern Tagen eigentlich überwunden sein sollte. Könnte die Sitte nur erst erreiche», daß die Genugthuung mit der Waffe für gleichwertig erachtet würde dem Spruch des staatlich oder ständisch bestellten Ehrenrichters, so wäre schon dies ein gewaltiger Fortschritt. Denn mittelbar leistet gerade die Mei¬ nung, nur der Zweikampf biete das Mittel zur Erlangung standesgemäßer Genugthuung, der vielbeklagteu Überspannung des Ehrbegriffes Vorschub. Habe ich den schimpflichsten aller Vorwürfe, den der Feigheit, auch unausge¬ sprochen von achtungswerten Standesgenossen zu besorge», wenn ich zu einer Unbill, einer Kränkung schweige, die gar keine Ehrenkränkung ist, oder eine Herausforderung anzunehmen zögere, die auf eine schändliche Frivolität hinaus¬ läuft, wer will den Stab über mich brechen, wenn ich lieber mein Leben in die Schanze schlage? Füllt jene Besorgnis weg, so ist von vornherein schon einer ruhigern Prüfung der Boden geebnet. Es ist bezeichnend, daß in den auf Satisfaktionsfühigkeit gar nicht Anspruch erhebenden Kreisen unsers ehren¬ fester Bürgerstandes bis herab zum sogenannten gemeinen Mann oft ein über¬ raschend sichres und gesundes Urteil in Ehrenangelegenheiten anzutreffen ist. Ein Urteil, das mit dem der höchsten Gesellschaftsklassen, innerhalb deren der Grenzboten III 1891 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/361>, abgerufen am 23.07.2024.