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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Strafrichter

rührigen Ausdruck gekommen ist, wird die Sitte ihre eignen Wege gehen und
sich auf die juristischen Feinheiten des Versuches mit dem untauglichen Mittel
nicht einlassen. Man denke an geflissentlich fortgesetzte, vielleicht schon einmal
verbetene Unhöflichkeitc", ja selbst unterlassene Höflichkeitsliezeiguugeu. Darauf,
daß, wie schon der Begriff der Beleidigung, so auch der der UnHöflichkeit
bis zur Frivolität übertrieben werden kann, etwa von händelsüchtigen, der
feinen Lebensart meist sehr fern stehenden Raufbolden, gehen wir nicht
näher ein.

Immerhin wird die große Masse der eigentlichen Beleidigungen von
Recht und Sitte übereinstimmend beurteilt und verurteilt. Woher trotzdem die
Sehen, den Richter um Sühne einzugehen, sodaß es unter deu Gliedern der
sogenannten guten Gesellschaft fast für anstößig gilt, Klage zu erheben, statt
sich selbst Genugthuung zu verschaffen? Ich mag, so sagen die einen, dem
Richter die Entscheidung über mein Hab und Gut, meine Freiheit und
selbst mein Leben, nicht aber über meine Ehre anvertrauen. Ich mag nicht
Gefahr laufen, vor einen Richter zu kommen, der mit seinem ganzen Sittlich-
keits- und deshalb auch mit seinem''Ehrbegriff ans ganz anderm, vielleicht
uicht einmal auf nationalem Boden steht. Dieser Einwand hat schon längst
zu der Forderung geführt, daß im christlich-deutscheu Staate mir Christen
und Deutsche Trüger der obrigkeitlichen Gewalt sein sollen. Andre schrecken
vor dem Strafantrag zurück, weil sie nicht Denunzianten heißen wollen. Sie
haben zwar das Bedürfnis, ihre Ehre, ihren gute" Namen vor dem Richter
wieder hergestellt zu sehen, würden sich aber daran mich genügen lassen. Sei
es, daß sie ihren Beleidiger noch zu hoch achten, oder daß sie ihn zu tief
verachten, um über die Auferlegung einer Freiheits- oder Vermögensstrafe eine
besondre Befriedigung zu empfinden, oder auch, daß sie zur Erhabenheit des
christlichen Standpunktes: Bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen,
hindurchgedrungen sind. Diesem oft gehörten edelmütigen Bedenken wäre ab¬
zuhelfen, wenn unser Strafverfahren, dessen Reform ohnedies gefordert wird,
für die Beleidigung eine Art Ehrenerklärung durch den Richter, ein gewisser¬
maßen nur aus Gründen bestehendes Urteil, je nach dem Antrage des Klägers
und an Stelle der öffentlichen Strafe zulassen wollte. Noch andre endlich
scheuen die Weitläufigkeiten des gerichtlichen Verfahrens und die Erörterungen
über die eigne Achtungswürdigkeit, der sich der Richter ja nicht entziehen darf,
wenn er den Angeklagten nicht in der Verteidigung beschränken soll. Um
keinen Preis aber wollen sie in öffentlicher Verhandlung und demnächst in
der Skandalpresfe Dinge breit getreten sehen, die nach dem strengen Gebote
der Sitte die allerdiskreteste Behandlung erheischen. Und in der That ist es
eine Ausartung des Grundsatzes von der Öffentlichkeit des Strafverfahrens,
wenn man die Parteien des Jnjurienprozesses, nußer denen kein Mensch, auch
der Staat nicht am Verfahren interessirt ist, zur öffentlichen Erörterung ihrer


Die Ehre und der Strafrichter

rührigen Ausdruck gekommen ist, wird die Sitte ihre eignen Wege gehen und
sich auf die juristischen Feinheiten des Versuches mit dem untauglichen Mittel
nicht einlassen. Man denke an geflissentlich fortgesetzte, vielleicht schon einmal
verbetene Unhöflichkeitc», ja selbst unterlassene Höflichkeitsliezeiguugeu. Darauf,
daß, wie schon der Begriff der Beleidigung, so auch der der UnHöflichkeit
bis zur Frivolität übertrieben werden kann, etwa von händelsüchtigen, der
feinen Lebensart meist sehr fern stehenden Raufbolden, gehen wir nicht
näher ein.

Immerhin wird die große Masse der eigentlichen Beleidigungen von
Recht und Sitte übereinstimmend beurteilt und verurteilt. Woher trotzdem die
Sehen, den Richter um Sühne einzugehen, sodaß es unter deu Gliedern der
sogenannten guten Gesellschaft fast für anstößig gilt, Klage zu erheben, statt
sich selbst Genugthuung zu verschaffen? Ich mag, so sagen die einen, dem
Richter die Entscheidung über mein Hab und Gut, meine Freiheit und
selbst mein Leben, nicht aber über meine Ehre anvertrauen. Ich mag nicht
Gefahr laufen, vor einen Richter zu kommen, der mit seinem ganzen Sittlich-
keits- und deshalb auch mit seinem''Ehrbegriff ans ganz anderm, vielleicht
uicht einmal auf nationalem Boden steht. Dieser Einwand hat schon längst
zu der Forderung geführt, daß im christlich-deutscheu Staate mir Christen
und Deutsche Trüger der obrigkeitlichen Gewalt sein sollen. Andre schrecken
vor dem Strafantrag zurück, weil sie nicht Denunzianten heißen wollen. Sie
haben zwar das Bedürfnis, ihre Ehre, ihren gute» Namen vor dem Richter
wieder hergestellt zu sehen, würden sich aber daran mich genügen lassen. Sei
es, daß sie ihren Beleidiger noch zu hoch achten, oder daß sie ihn zu tief
verachten, um über die Auferlegung einer Freiheits- oder Vermögensstrafe eine
besondre Befriedigung zu empfinden, oder auch, daß sie zur Erhabenheit des
christlichen Standpunktes: Bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen,
hindurchgedrungen sind. Diesem oft gehörten edelmütigen Bedenken wäre ab¬
zuhelfen, wenn unser Strafverfahren, dessen Reform ohnedies gefordert wird,
für die Beleidigung eine Art Ehrenerklärung durch den Richter, ein gewisser¬
maßen nur aus Gründen bestehendes Urteil, je nach dem Antrage des Klägers
und an Stelle der öffentlichen Strafe zulassen wollte. Noch andre endlich
scheuen die Weitläufigkeiten des gerichtlichen Verfahrens und die Erörterungen
über die eigne Achtungswürdigkeit, der sich der Richter ja nicht entziehen darf,
wenn er den Angeklagten nicht in der Verteidigung beschränken soll. Um
keinen Preis aber wollen sie in öffentlicher Verhandlung und demnächst in
der Skandalpresfe Dinge breit getreten sehen, die nach dem strengen Gebote
der Sitte die allerdiskreteste Behandlung erheischen. Und in der That ist es
eine Ausartung des Grundsatzes von der Öffentlichkeit des Strafverfahrens,
wenn man die Parteien des Jnjurienprozesses, nußer denen kein Mensch, auch
der Staat nicht am Verfahren interessirt ist, zur öffentlichen Erörterung ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/360>, abgerufen am 26.08.2024.