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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Lhre und der Strafrichter

spräche zu sagen errötete, konnte er nun mit gutem Gewissen hinschreiben.
Zu Reservationen, Halbheiten und Lügen ist es eine treffliche Sprache: sie ist
eine perfide Sprache! ich finde, Gott sei Dank! kein deutsches Wort, um
perfid in seinem ganzen Umfange auszudrücken." Dann wieder die sonder¬
baren Wandlungen, die ein echt beleidigendes Fremdwort zu einer Lobes¬
erhebung umgestaltet haben. Der "famose Kerl" ist aus dem Iioirio tamosus,
dem berüchtigten Abenteurer, ein reizender, liebenswürdiger Gesellschafter ge¬
worden. Wie komisch endlich, wenn das Fremdwort vom Sprechenden gar
nicht oder mißverstanden wird, sei es, daß er mit der fremdländischen Be¬
schimpfung eine Artigkeit zu sagen glaubt ("Oui bon^i-k! schreit der Bauers¬
mann, wie gut, wenn man Französisch kann"), sei es, daß er, um dem Gegner
recht gründlich seine Verachtung zu bezeigen, zu einem echten sxitustvQ orimus
seine Zuflucht nimmt, etwa ihn einen "Gentleman" nennt, weil ihm dabei
etwas von Schande vorschwebt.

Die größten Schwierigkeiten für die juristische Beurteilung Pflegen die
witzigen, spottenden, namentlich die ironischen Redewendungen zu bieten. Daß
sie an und für sich betrachtet keine Beleidigungen sind, gehört ja gerade zum
Wesen der Ironie, die durch den Gegensatz zwischen dem gesprochenen oder
geschriebenen lobenden Wort und dem damit verbundenen tadelnden Sinn
(oder umgekehrt) zu wirken sucht. Und doch vermag auch hier die beleidigende
Absicht allein nicht, die Beleidigung zu stände zu bringen. So kann
der Spötter zu vorsichtig gewesen und deshalb überhaupt uicht verstanden
worden sein. Es muß deshalb ein zweites hinzukommen, wodurch dem Hörer
oder Leser die ironische Bedeutung erkennbar gemacht wird. Bei dem ge¬
sprochenen Wort bietet die unendliche Mannigfaltigkeit des Mienenspiels, der
Augen- und Geberdensprache, des Tonfalles hierzu das geeignete Mittel. Der
schreibende Ironiker wird stärker auftragen oder durch den sonstigen Inhalt,
den Zusammenhang zu wirken suchen müssen. Seine feinsten Karten kann er
erst ausspielen, wenn er des Einverständnisses mit dem Leser bereits sicher ist.
Dieser geistige Rapport kann zwar von Anfang an gegeben sein, so z. B.
zwischen dem Kladderadatsch und seineu Lesern. Findet sich doch der ernste
Dichter des Titelblattes gewöhnlich veranlaßt, ein ?g,v6w UnZms, oarming,
non priu8 auclitg. canto vorauszuschicken. Aber meist besteht gerade darin die
Kunst des Redners oder Schriftstellers, sein Publikum erst allmählich zum
Verständnis seiner Ironie hinüberzuleiten. Für immer unerreichbar bleibt,
wie Antonius den Bürgern an Cäsars Leiche fein: "Denn Brutus ist ein
ehrenwerter Mann, das sind sie alle, alle ehrenwert" in kunstvollster Steige¬
rung deutlich zu machen weiß. Es ist gewiß, daß die Ironie in der Hand
des Meisters, je feiner gebildet, je reizbarer der Gegner ist, die wirksamste
und schärfste Waffe bildet. Ist sie erkennbar gegen seinen sittlichen Wert ge¬
richtet, so ist sie Beleidigung, deren Schwere freilich erst gewogen werden kann,


Die Lhre und der Strafrichter

spräche zu sagen errötete, konnte er nun mit gutem Gewissen hinschreiben.
Zu Reservationen, Halbheiten und Lügen ist es eine treffliche Sprache: sie ist
eine perfide Sprache! ich finde, Gott sei Dank! kein deutsches Wort, um
perfid in seinem ganzen Umfange auszudrücken." Dann wieder die sonder¬
baren Wandlungen, die ein echt beleidigendes Fremdwort zu einer Lobes¬
erhebung umgestaltet haben. Der „famose Kerl" ist aus dem Iioirio tamosus,
dem berüchtigten Abenteurer, ein reizender, liebenswürdiger Gesellschafter ge¬
worden. Wie komisch endlich, wenn das Fremdwort vom Sprechenden gar
nicht oder mißverstanden wird, sei es, daß er mit der fremdländischen Be¬
schimpfung eine Artigkeit zu sagen glaubt („Oui bon^i-k! schreit der Bauers¬
mann, wie gut, wenn man Französisch kann"), sei es, daß er, um dem Gegner
recht gründlich seine Verachtung zu bezeigen, zu einem echten sxitustvQ orimus
seine Zuflucht nimmt, etwa ihn einen „Gentleman" nennt, weil ihm dabei
etwas von Schande vorschwebt.

Die größten Schwierigkeiten für die juristische Beurteilung Pflegen die
witzigen, spottenden, namentlich die ironischen Redewendungen zu bieten. Daß
sie an und für sich betrachtet keine Beleidigungen sind, gehört ja gerade zum
Wesen der Ironie, die durch den Gegensatz zwischen dem gesprochenen oder
geschriebenen lobenden Wort und dem damit verbundenen tadelnden Sinn
(oder umgekehrt) zu wirken sucht. Und doch vermag auch hier die beleidigende
Absicht allein nicht, die Beleidigung zu stände zu bringen. So kann
der Spötter zu vorsichtig gewesen und deshalb überhaupt uicht verstanden
worden sein. Es muß deshalb ein zweites hinzukommen, wodurch dem Hörer
oder Leser die ironische Bedeutung erkennbar gemacht wird. Bei dem ge¬
sprochenen Wort bietet die unendliche Mannigfaltigkeit des Mienenspiels, der
Augen- und Geberdensprache, des Tonfalles hierzu das geeignete Mittel. Der
schreibende Ironiker wird stärker auftragen oder durch den sonstigen Inhalt,
den Zusammenhang zu wirken suchen müssen. Seine feinsten Karten kann er
erst ausspielen, wenn er des Einverständnisses mit dem Leser bereits sicher ist.
Dieser geistige Rapport kann zwar von Anfang an gegeben sein, so z. B.
zwischen dem Kladderadatsch und seineu Lesern. Findet sich doch der ernste
Dichter des Titelblattes gewöhnlich veranlaßt, ein ?g,v6w UnZms, oarming,
non priu8 auclitg. canto vorauszuschicken. Aber meist besteht gerade darin die
Kunst des Redners oder Schriftstellers, sein Publikum erst allmählich zum
Verständnis seiner Ironie hinüberzuleiten. Für immer unerreichbar bleibt,
wie Antonius den Bürgern an Cäsars Leiche fein: „Denn Brutus ist ein
ehrenwerter Mann, das sind sie alle, alle ehrenwert" in kunstvollster Steige¬
rung deutlich zu machen weiß. Es ist gewiß, daß die Ironie in der Hand
des Meisters, je feiner gebildet, je reizbarer der Gegner ist, die wirksamste
und schärfste Waffe bildet. Ist sie erkennbar gegen seinen sittlichen Wert ge¬
richtet, so ist sie Beleidigung, deren Schwere freilich erst gewogen werden kann,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/355>, abgerufen am 26.08.2024.