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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Lhre und der Strafrichter

Es ist das Verdienst Vindings, *) dem wir in vorstehendem, wenn auch
bei weitem nicht erschöpfend gefolgt sind, diese grundlegenden Begriffe neuer¬
dings geklärt und festgestellt zu haben. Seinen geistvollen Ausführungen wäre
überall, wo Sinn für Ehre herrscht, namentlich aber in den zur Mitwirkung
an der Strafrechtspflege berufenen Kreisen die weiteste Verbreitung zu wünschen.
Denn es ist nur zu wahr, wenn Binding über "die hochbedauerliche Straf¬
sucht des modernen Staates" und darüber klagt, daß "leider auch unsre Recht¬
sprechung in hohem Maße unter der ungesunden Verfälschung der Begriffe
von Ehre und Beleidigung krankt."

Eine der wertvollsten Errungenschaften des heutigen Strafrechts ist die
strenge Unterscheidung zwischen dem sogenannten objektiven und dem subjek¬
tiven Thatbestande des Verbrechens. Das heißt: ehe ein Angeklagter schuldig
gesprochen werden darf, muß zweierlei gegen ihn bewiesen sein. Erstens, daß
er die That, die das Gesetz als eine strafbare Handlung bezeichnet, mit allen
im Gesetz angegebenen Merkmalen dieser Strafbarkeit begangen habe. Zweitens,
daß auch sein Wille auf Begehung der That in dem ganzen Umfange ihrer
Strafbarkeit gerichtet gewesen sei. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er die
einzelnen Merkmale der That erkannt und doch die That gewollt hat. Fehlt
diese Erkenntnis, so ist der Wille, strafbar zu handeln und damit die strafbare
Verschuldung ausgeschlossen. So gehört zum Vergehen der Sachbeschädigung,
daß jemand vorsätzlich und rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zer¬
stört. Das Gewehr, das er auf den Hund des Nachbars abdrückt, muß ge¬
laden sein, wenn das Vergehen soll vollendet werden können. Es ist nur
Versuch der Sachbeschädigung, wenn das nicht der Fall ist. Hat er den Hund
wirklich erschossen, wird aber bewiesen, daß er sich zur Tötung für berechtigt
gehalten hatte, weil er ihn, wenn auch irrig, auf seinem Jagdgebiet revierend
glaubte, so ist er freizusprechen, weil ihm das (subjektive) Bewußtsein vou der
(objektiven) Rechtswidrigkeit seiner That fehlte.

Wenden wir diese Sätze auf das vom Gesetz freilich uicht näher definirte
Vergehen der Beleidigung an. Darnach muß, ehe auch uur von der Möglich¬
keit einer Beleidigung gesprochen werden kann, vor allen Dingen feststehen,
daß der gegen die Ehre des Nächsten gerichtete Angriff auch wirklich geeignet
gewesen sei, dessen Ehre zu treffen. Um bei unserm Bilde zu bleiben: das
auf die fremde Ehre abgedrückte Gewehr muß auch wirklich mit Unehre geladen
gewesen fein. Sonst handelt es sich nur um den Versuch der Beleidigung, und
dieser ist nach dem Gesetze straflos. Dieser Mangel kann auch durch die ge¬
hässigste Feindseligkeit des Beleidigungswillens nicht ersetzt werden, selbst wenn



") Die Ehre im Rechtssinn und ihre Berletzbarkeit. Rektoratsrede, gehalten
am Reformationsfeste am 31. Oktober 1890 von Dr. Karl Binding. Leipzig, Alexander
Edelmann, 1890.
Die Lhre und der Strafrichter

Es ist das Verdienst Vindings, *) dem wir in vorstehendem, wenn auch
bei weitem nicht erschöpfend gefolgt sind, diese grundlegenden Begriffe neuer¬
dings geklärt und festgestellt zu haben. Seinen geistvollen Ausführungen wäre
überall, wo Sinn für Ehre herrscht, namentlich aber in den zur Mitwirkung
an der Strafrechtspflege berufenen Kreisen die weiteste Verbreitung zu wünschen.
Denn es ist nur zu wahr, wenn Binding über „die hochbedauerliche Straf¬
sucht des modernen Staates" und darüber klagt, daß „leider auch unsre Recht¬
sprechung in hohem Maße unter der ungesunden Verfälschung der Begriffe
von Ehre und Beleidigung krankt."

Eine der wertvollsten Errungenschaften des heutigen Strafrechts ist die
strenge Unterscheidung zwischen dem sogenannten objektiven und dem subjek¬
tiven Thatbestande des Verbrechens. Das heißt: ehe ein Angeklagter schuldig
gesprochen werden darf, muß zweierlei gegen ihn bewiesen sein. Erstens, daß
er die That, die das Gesetz als eine strafbare Handlung bezeichnet, mit allen
im Gesetz angegebenen Merkmalen dieser Strafbarkeit begangen habe. Zweitens,
daß auch sein Wille auf Begehung der That in dem ganzen Umfange ihrer
Strafbarkeit gerichtet gewesen sei. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er die
einzelnen Merkmale der That erkannt und doch die That gewollt hat. Fehlt
diese Erkenntnis, so ist der Wille, strafbar zu handeln und damit die strafbare
Verschuldung ausgeschlossen. So gehört zum Vergehen der Sachbeschädigung,
daß jemand vorsätzlich und rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zer¬
stört. Das Gewehr, das er auf den Hund des Nachbars abdrückt, muß ge¬
laden sein, wenn das Vergehen soll vollendet werden können. Es ist nur
Versuch der Sachbeschädigung, wenn das nicht der Fall ist. Hat er den Hund
wirklich erschossen, wird aber bewiesen, daß er sich zur Tötung für berechtigt
gehalten hatte, weil er ihn, wenn auch irrig, auf seinem Jagdgebiet revierend
glaubte, so ist er freizusprechen, weil ihm das (subjektive) Bewußtsein vou der
(objektiven) Rechtswidrigkeit seiner That fehlte.

Wenden wir diese Sätze auf das vom Gesetz freilich uicht näher definirte
Vergehen der Beleidigung an. Darnach muß, ehe auch uur von der Möglich¬
keit einer Beleidigung gesprochen werden kann, vor allen Dingen feststehen,
daß der gegen die Ehre des Nächsten gerichtete Angriff auch wirklich geeignet
gewesen sei, dessen Ehre zu treffen. Um bei unserm Bilde zu bleiben: das
auf die fremde Ehre abgedrückte Gewehr muß auch wirklich mit Unehre geladen
gewesen fein. Sonst handelt es sich nur um den Versuch der Beleidigung, und
dieser ist nach dem Gesetze straflos. Dieser Mangel kann auch durch die ge¬
hässigste Feindseligkeit des Beleidigungswillens nicht ersetzt werden, selbst wenn



") Die Ehre im Rechtssinn und ihre Berletzbarkeit. Rektoratsrede, gehalten
am Reformationsfeste am 31. Oktober 1890 von Dr. Karl Binding. Leipzig, Alexander
Edelmann, 1890.
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[0351] Die Lhre und der Strafrichter Es ist das Verdienst Vindings, *) dem wir in vorstehendem, wenn auch bei weitem nicht erschöpfend gefolgt sind, diese grundlegenden Begriffe neuer¬ dings geklärt und festgestellt zu haben. Seinen geistvollen Ausführungen wäre überall, wo Sinn für Ehre herrscht, namentlich aber in den zur Mitwirkung an der Strafrechtspflege berufenen Kreisen die weiteste Verbreitung zu wünschen. Denn es ist nur zu wahr, wenn Binding über „die hochbedauerliche Straf¬ sucht des modernen Staates" und darüber klagt, daß „leider auch unsre Recht¬ sprechung in hohem Maße unter der ungesunden Verfälschung der Begriffe von Ehre und Beleidigung krankt." Eine der wertvollsten Errungenschaften des heutigen Strafrechts ist die strenge Unterscheidung zwischen dem sogenannten objektiven und dem subjek¬ tiven Thatbestande des Verbrechens. Das heißt: ehe ein Angeklagter schuldig gesprochen werden darf, muß zweierlei gegen ihn bewiesen sein. Erstens, daß er die That, die das Gesetz als eine strafbare Handlung bezeichnet, mit allen im Gesetz angegebenen Merkmalen dieser Strafbarkeit begangen habe. Zweitens, daß auch sein Wille auf Begehung der That in dem ganzen Umfange ihrer Strafbarkeit gerichtet gewesen sei. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er die einzelnen Merkmale der That erkannt und doch die That gewollt hat. Fehlt diese Erkenntnis, so ist der Wille, strafbar zu handeln und damit die strafbare Verschuldung ausgeschlossen. So gehört zum Vergehen der Sachbeschädigung, daß jemand vorsätzlich und rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zer¬ stört. Das Gewehr, das er auf den Hund des Nachbars abdrückt, muß ge¬ laden sein, wenn das Vergehen soll vollendet werden können. Es ist nur Versuch der Sachbeschädigung, wenn das nicht der Fall ist. Hat er den Hund wirklich erschossen, wird aber bewiesen, daß er sich zur Tötung für berechtigt gehalten hatte, weil er ihn, wenn auch irrig, auf seinem Jagdgebiet revierend glaubte, so ist er freizusprechen, weil ihm das (subjektive) Bewußtsein vou der (objektiven) Rechtswidrigkeit seiner That fehlte. Wenden wir diese Sätze auf das vom Gesetz freilich uicht näher definirte Vergehen der Beleidigung an. Darnach muß, ehe auch uur von der Möglich¬ keit einer Beleidigung gesprochen werden kann, vor allen Dingen feststehen, daß der gegen die Ehre des Nächsten gerichtete Angriff auch wirklich geeignet gewesen sei, dessen Ehre zu treffen. Um bei unserm Bilde zu bleiben: das auf die fremde Ehre abgedrückte Gewehr muß auch wirklich mit Unehre geladen gewesen fein. Sonst handelt es sich nur um den Versuch der Beleidigung, und dieser ist nach dem Gesetze straflos. Dieser Mangel kann auch durch die ge¬ hässigste Feindseligkeit des Beleidigungswillens nicht ersetzt werden, selbst wenn ") Die Ehre im Rechtssinn und ihre Berletzbarkeit. Rektoratsrede, gehalten am Reformationsfeste am 31. Oktober 1890 von Dr. Karl Binding. Leipzig, Alexander Edelmann, 1890.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/351>, abgerufen am 26.08.2024.