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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die deutsch-soziale Bewegung und die konservative Partei

Erhaltung alles Bestehenden. Der Konservativismus wolle nur das wahrhaft
Lebendige und Lebensfähige erhalten, und um dies zu erhalten, könne er auch
unter Umstünden radikal fein. So sei die Gründung des deutschen Reiches,
trotz der radikalen Beseitigung vieles Bestehenden, eine wahrhaft konservative
That gewesen, die angeknüpft habe an lebendig fortwirkende Kräfte der Ver¬
gangenheit.

Wir fürchten, daß die heutige konservative Partei, angekränkelt von jener
unseligen Idee des Zusammenschlusses aller staatserhaltenden Elemente, wie
sie es ist, dieser Bedeutung des Konservativismus allzu wenig Rechnung trägt,
und daß sie deshalb den richtigen Standpunkt gegenüber der deutsch-sozialen
Bewegung noch immer nicht hat gewinnen können.

Welcher Quelle entspringt denn diese jugendlich ungestüme Bewegung?
Ist sie eine Ausgeburt religiöser Unduldsamkeit, wilden Rassenhasses oder
verwerflichen Neides? Wir leugnen nicht, daß alle diese Dinge einwirken,
und wir verkennen es nicht, daß eine wilde, aus der Tiefe hervorbrechende
Bewegung wie diese des Abstoßende,, gar manches enthält, daß viel Schmutz
vou ihr aufgewühlt wird, daß sie unklar in ihren Zielen, demagogisch in
ihren Mitteln ist, und daß sie mit ihrem tobenden Gebahren in dem denkbar
schärfsten Gegensatze zu der vornehmen Ruhe des heutigen Konservativismus
steht. Aber das alles darf uns doch nicht hindern, anzuerkennen, daß sie in
Wirklichkeit nichts andres als eine jugendliche Abart des Konservativismus ist,
die, wenn man ihr innerstes Wesen richtig erkennte, wohl geeignet wäre, dem
alternden Körper der konservativen Partei neues Blut und neue Kraft zuzu¬
führen, während diese, sich selbst überlassen, an ihrer Einseitigkeit und Plan¬
losigkeit zu Grunde gehen muß, nachdem sie, wie wir fürchten, dem konserva¬
tiven Gedanken und der Gesamtheit großen Schaden zugefügt hat.

Vou diesem Standpunkte aus halten wir es geradezu für verhängnisvoll,
daß die leitenden Kreise der konservativen Partei gegenüber der deutsch-sozialen
Bewegung noch immer mürrisch abseits stehen und in der wohlwollenden Teil¬
nahme, die die Blätter der äußersten Rechten der Bewegung schenken, nichts
weiter sehen, als eine Gefährdung der konservativen Partei. "Es ist uns
ein Rätsel gewesen," schreibt das Konservative Wochenblatt über die Kasseler
Wahl und den dortigen Erfolg des Antisemitismus, "wie man von der Arbeit,
die publizistische Hauptorgane der konservativen Partei in den letzten Jahren
leisteten, eine andre Frucht hat erwarten können als die, die jetzt in ihren
Anfängen vorliegt, wie man sie als eine Arbeit zur Befestigung, Vertiefung
und gesunden Weiterentwicklung unsrer alten konservativen Grundgedanken hat
auffassen können und nicht vielmehr als eine Arbeit zu ihrer Zerrüttung, zur
Veränderung des Wesens der konservativen Partei und zur Hinnberspielnng
ihrer Leitung in die Hände neuer und ungeeigneter Elemente, die ihr Lehren
und Methoden einimpfen, an denen die konservative Eigenart stirbt, und die,


Die deutsch-soziale Bewegung und die konservative Partei

Erhaltung alles Bestehenden. Der Konservativismus wolle nur das wahrhaft
Lebendige und Lebensfähige erhalten, und um dies zu erhalten, könne er auch
unter Umstünden radikal fein. So sei die Gründung des deutschen Reiches,
trotz der radikalen Beseitigung vieles Bestehenden, eine wahrhaft konservative
That gewesen, die angeknüpft habe an lebendig fortwirkende Kräfte der Ver¬
gangenheit.

Wir fürchten, daß die heutige konservative Partei, angekränkelt von jener
unseligen Idee des Zusammenschlusses aller staatserhaltenden Elemente, wie
sie es ist, dieser Bedeutung des Konservativismus allzu wenig Rechnung trägt,
und daß sie deshalb den richtigen Standpunkt gegenüber der deutsch-sozialen
Bewegung noch immer nicht hat gewinnen können.

Welcher Quelle entspringt denn diese jugendlich ungestüme Bewegung?
Ist sie eine Ausgeburt religiöser Unduldsamkeit, wilden Rassenhasses oder
verwerflichen Neides? Wir leugnen nicht, daß alle diese Dinge einwirken,
und wir verkennen es nicht, daß eine wilde, aus der Tiefe hervorbrechende
Bewegung wie diese des Abstoßende,, gar manches enthält, daß viel Schmutz
vou ihr aufgewühlt wird, daß sie unklar in ihren Zielen, demagogisch in
ihren Mitteln ist, und daß sie mit ihrem tobenden Gebahren in dem denkbar
schärfsten Gegensatze zu der vornehmen Ruhe des heutigen Konservativismus
steht. Aber das alles darf uns doch nicht hindern, anzuerkennen, daß sie in
Wirklichkeit nichts andres als eine jugendliche Abart des Konservativismus ist,
die, wenn man ihr innerstes Wesen richtig erkennte, wohl geeignet wäre, dem
alternden Körper der konservativen Partei neues Blut und neue Kraft zuzu¬
führen, während diese, sich selbst überlassen, an ihrer Einseitigkeit und Plan¬
losigkeit zu Grunde gehen muß, nachdem sie, wie wir fürchten, dem konserva¬
tiven Gedanken und der Gesamtheit großen Schaden zugefügt hat.

Vou diesem Standpunkte aus halten wir es geradezu für verhängnisvoll,
daß die leitenden Kreise der konservativen Partei gegenüber der deutsch-sozialen
Bewegung noch immer mürrisch abseits stehen und in der wohlwollenden Teil¬
nahme, die die Blätter der äußersten Rechten der Bewegung schenken, nichts
weiter sehen, als eine Gefährdung der konservativen Partei. „Es ist uns
ein Rätsel gewesen," schreibt das Konservative Wochenblatt über die Kasseler
Wahl und den dortigen Erfolg des Antisemitismus, „wie man von der Arbeit,
die publizistische Hauptorgane der konservativen Partei in den letzten Jahren
leisteten, eine andre Frucht hat erwarten können als die, die jetzt in ihren
Anfängen vorliegt, wie man sie als eine Arbeit zur Befestigung, Vertiefung
und gesunden Weiterentwicklung unsrer alten konservativen Grundgedanken hat
auffassen können und nicht vielmehr als eine Arbeit zu ihrer Zerrüttung, zur
Veränderung des Wesens der konservativen Partei und zur Hinnberspielnng
ihrer Leitung in die Hände neuer und ungeeigneter Elemente, die ihr Lehren
und Methoden einimpfen, an denen die konservative Eigenart stirbt, und die,


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[0347] Die deutsch-soziale Bewegung und die konservative Partei Erhaltung alles Bestehenden. Der Konservativismus wolle nur das wahrhaft Lebendige und Lebensfähige erhalten, und um dies zu erhalten, könne er auch unter Umstünden radikal fein. So sei die Gründung des deutschen Reiches, trotz der radikalen Beseitigung vieles Bestehenden, eine wahrhaft konservative That gewesen, die angeknüpft habe an lebendig fortwirkende Kräfte der Ver¬ gangenheit. Wir fürchten, daß die heutige konservative Partei, angekränkelt von jener unseligen Idee des Zusammenschlusses aller staatserhaltenden Elemente, wie sie es ist, dieser Bedeutung des Konservativismus allzu wenig Rechnung trägt, und daß sie deshalb den richtigen Standpunkt gegenüber der deutsch-sozialen Bewegung noch immer nicht hat gewinnen können. Welcher Quelle entspringt denn diese jugendlich ungestüme Bewegung? Ist sie eine Ausgeburt religiöser Unduldsamkeit, wilden Rassenhasses oder verwerflichen Neides? Wir leugnen nicht, daß alle diese Dinge einwirken, und wir verkennen es nicht, daß eine wilde, aus der Tiefe hervorbrechende Bewegung wie diese des Abstoßende,, gar manches enthält, daß viel Schmutz vou ihr aufgewühlt wird, daß sie unklar in ihren Zielen, demagogisch in ihren Mitteln ist, und daß sie mit ihrem tobenden Gebahren in dem denkbar schärfsten Gegensatze zu der vornehmen Ruhe des heutigen Konservativismus steht. Aber das alles darf uns doch nicht hindern, anzuerkennen, daß sie in Wirklichkeit nichts andres als eine jugendliche Abart des Konservativismus ist, die, wenn man ihr innerstes Wesen richtig erkennte, wohl geeignet wäre, dem alternden Körper der konservativen Partei neues Blut und neue Kraft zuzu¬ führen, während diese, sich selbst überlassen, an ihrer Einseitigkeit und Plan¬ losigkeit zu Grunde gehen muß, nachdem sie, wie wir fürchten, dem konserva¬ tiven Gedanken und der Gesamtheit großen Schaden zugefügt hat. Vou diesem Standpunkte aus halten wir es geradezu für verhängnisvoll, daß die leitenden Kreise der konservativen Partei gegenüber der deutsch-sozialen Bewegung noch immer mürrisch abseits stehen und in der wohlwollenden Teil¬ nahme, die die Blätter der äußersten Rechten der Bewegung schenken, nichts weiter sehen, als eine Gefährdung der konservativen Partei. „Es ist uns ein Rätsel gewesen," schreibt das Konservative Wochenblatt über die Kasseler Wahl und den dortigen Erfolg des Antisemitismus, „wie man von der Arbeit, die publizistische Hauptorgane der konservativen Partei in den letzten Jahren leisteten, eine andre Frucht hat erwarten können als die, die jetzt in ihren Anfängen vorliegt, wie man sie als eine Arbeit zur Befestigung, Vertiefung und gesunden Weiterentwicklung unsrer alten konservativen Grundgedanken hat auffassen können und nicht vielmehr als eine Arbeit zu ihrer Zerrüttung, zur Veränderung des Wesens der konservativen Partei und zur Hinnberspielnng ihrer Leitung in die Hände neuer und ungeeigneter Elemente, die ihr Lehren und Methoden einimpfen, an denen die konservative Eigenart stirbt, und die,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/347>, abgerufen am 26.08.2024.