Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.kommt gar jemand und nimmt ihm seine berühmtesten Werke weg, NIN sie seinem Also in Kürze: M. Lautner hat entdeckt, daß das auf einem Gemälde in kommt gar jemand und nimmt ihm seine berühmtesten Werke weg, NIN sie seinem Also in Kürze: M. Lautner hat entdeckt, daß das auf einem Gemälde in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290111"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_978" prev="#ID_977"> kommt gar jemand und nimmt ihm seine berühmtesten Werke weg, NIN sie seinem<lb/> Schüler Ferdinand Bol einzuhändigen! Ähnlich ist freilich einem andern Großen<lb/> jener großen Zeit, Shakespeare, schon mehr als einmal der Prozeß gemacht worden.<lb/> Und als wir die erste Ankündigung des Buches von Max Lautner: Wer ist<lb/> Rembrandt? lasen, vermuteten wir darin eine Satire, vielleicht eine verspätete<lb/> auf die kritischen Dilettanten, die nicht zugeben wollen, daß ein Schauspieler der<lb/> größte Dramatiker der neuern Zeit sein könne, oder auf den Erfinder des neuen<lb/> I>lin)<z<zxto!' Oorm-miao, vielleicht auf gewisse Kunsthistoriker, die des Täufers und<lb/> Umtanfeus von Bildern kein Ende finden können. Bald verlautete aber, es sei<lb/> ganz ernsthaft gemeint. Zugleich erschien ein bedenkliches Zeichen: nicht das, daß<lb/> die Kunstgelehrten sich wenig anerkennend nussprachen — sie mußten ja ihre Mei¬<lb/> nung, wenn man will ihr Vorurteil verteidigen —, sondern daß sich Dilettanten<lb/> in der Kunstwissenschaft mit Begeisterung Herrn Lentner anschlössen und ans<lb/> jedem Rembrandt zugeschriebenen Gemälde Hieroglyphen ermittelten, die „unver¬<lb/> kennbar" F. Bol bedeuteten. Jede „Rettung" kann ja vor allem auf die Zu¬<lb/> stimmung von Personen rechnen, die sich bisher mit der Sache nicht befaßt haben;<lb/> noch sichrer ist in solchen Kreisen der Erfolg einem Kritiker, der eine geschichtliche<lb/> Gestalt ihres bisherigen Ruhmes zu entkleiden unternimmt; und kann sofort ein<lb/> Neuer ans den erledigten Thron gehoben werden, so ist das Vergnügen doppelt<lb/> groß. Nun braucht man jn glücklicherweise nicht jedes dicke Buch zu lesen, das<lb/> auf den Büchermarkt kommt, allein die Neugier ist doch rege gemacht. Und nach<lb/> Kenntnisnahme von dem Beweisverfahren hätten wir am liebsten geschwiegen.<lb/> Doch Verfasser und Verleger haben das Recht, ein Urteil zu verlangen, und in<lb/> noch höherm Grade der Leser einer Zeitschrift, die sich zur Aufgabe gemacht hat,<lb/> die Ereignisse in der Welt der Politik, der Litteratur und Kunst referirend und<lb/> kritisirend zu verfolgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_979" next="#ID_980"> Also in Kürze: M. Lautner hat entdeckt, daß das auf einem Gemälde in<lb/> Privatbesitz, Salomos Opfer, als F. N. gelesene und nicht zu deutende Monogramm<lb/> ursprünglich F Bl geheißen, daß aber jemand „aus leicht erklärlichen Gründen"<lb/> das l weggewaschen und das B in R verwandelt habe. Für Bol hatte er sich<lb/> schon interessirt, und nun kam er zu dem Schlüsse, daß von dem Meister, der<lb/> dieses Opfer Salomos und Jakobs Trumm in der Dresdner Galerie geschaffen habe,<lb/> wohl eine größere Anzahl von bedeutenden Gemälden vorhanden sein müsse, als<lb/> ihm beigemessen werden. Er suchte und fand, wie jeder, der finden will. Er<lb/> fand auf Bildern, die als Werke Bois anerkannt werden, ans solchen, die G. Funck<lb/> oder Koningk Angeschrieben werden, endlich auf eiuer Reihe der berühmteste» Rem-<lb/> brandts die Nameuszeichnung Bois, oft sogar zwei-, dreimal auf derselben Tafel.<lb/> Um auch den Leser zu überzeugen, hat er auf fünf Blättern in Heliogravüre solche<lb/> Namenszüge wiedergeben lassen von Salomos Opfer, von einem Bol oder Funck<lb/> in München, von Jakobs Traum in Dresden, von einem Kommet in Schwerin<lb/> und von folgenden Rembrandts: Proserpina in Berlin, Federschneider in Kassel,<lb/> Selbstbildnis im Palazzo Pitti, Anbetung der Könige und heiligen Magdalene im<lb/> Bnckinghampalast, heilige Familie und Bildnis einer jungen Frau in der Eremi¬<lb/> tage, Nachtwache, Staalmcester, Ganymed, Anatomie. Zu seinen Entdeckungen<lb/> kam er in den meisten Fällen — was gewiß bezeichnend ist — nicht vor Origi¬<lb/> nalen, sondern vor Photographien nach diesen; und zwar fügt er den Nachbildungen<lb/> von photographischen Aufnahmen solche bei, die nach einem von ihm selbst er¬<lb/> fundenen Verfahren „verstärkt" oder „retouchirt" (beide Ausdrücke werden neben<lb/> einander gebraucht) sind. Nach genauer und mehrmals wiederholter Betrachtung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0342]
kommt gar jemand und nimmt ihm seine berühmtesten Werke weg, NIN sie seinem
Schüler Ferdinand Bol einzuhändigen! Ähnlich ist freilich einem andern Großen
jener großen Zeit, Shakespeare, schon mehr als einmal der Prozeß gemacht worden.
Und als wir die erste Ankündigung des Buches von Max Lautner: Wer ist
Rembrandt? lasen, vermuteten wir darin eine Satire, vielleicht eine verspätete
auf die kritischen Dilettanten, die nicht zugeben wollen, daß ein Schauspieler der
größte Dramatiker der neuern Zeit sein könne, oder auf den Erfinder des neuen
I>lin)<z<zxto!' Oorm-miao, vielleicht auf gewisse Kunsthistoriker, die des Täufers und
Umtanfeus von Bildern kein Ende finden können. Bald verlautete aber, es sei
ganz ernsthaft gemeint. Zugleich erschien ein bedenkliches Zeichen: nicht das, daß
die Kunstgelehrten sich wenig anerkennend nussprachen — sie mußten ja ihre Mei¬
nung, wenn man will ihr Vorurteil verteidigen —, sondern daß sich Dilettanten
in der Kunstwissenschaft mit Begeisterung Herrn Lentner anschlössen und ans
jedem Rembrandt zugeschriebenen Gemälde Hieroglyphen ermittelten, die „unver¬
kennbar" F. Bol bedeuteten. Jede „Rettung" kann ja vor allem auf die Zu¬
stimmung von Personen rechnen, die sich bisher mit der Sache nicht befaßt haben;
noch sichrer ist in solchen Kreisen der Erfolg einem Kritiker, der eine geschichtliche
Gestalt ihres bisherigen Ruhmes zu entkleiden unternimmt; und kann sofort ein
Neuer ans den erledigten Thron gehoben werden, so ist das Vergnügen doppelt
groß. Nun braucht man jn glücklicherweise nicht jedes dicke Buch zu lesen, das
auf den Büchermarkt kommt, allein die Neugier ist doch rege gemacht. Und nach
Kenntnisnahme von dem Beweisverfahren hätten wir am liebsten geschwiegen.
Doch Verfasser und Verleger haben das Recht, ein Urteil zu verlangen, und in
noch höherm Grade der Leser einer Zeitschrift, die sich zur Aufgabe gemacht hat,
die Ereignisse in der Welt der Politik, der Litteratur und Kunst referirend und
kritisirend zu verfolgen.
Also in Kürze: M. Lautner hat entdeckt, daß das auf einem Gemälde in
Privatbesitz, Salomos Opfer, als F. N. gelesene und nicht zu deutende Monogramm
ursprünglich F Bl geheißen, daß aber jemand „aus leicht erklärlichen Gründen"
das l weggewaschen und das B in R verwandelt habe. Für Bol hatte er sich
schon interessirt, und nun kam er zu dem Schlüsse, daß von dem Meister, der
dieses Opfer Salomos und Jakobs Trumm in der Dresdner Galerie geschaffen habe,
wohl eine größere Anzahl von bedeutenden Gemälden vorhanden sein müsse, als
ihm beigemessen werden. Er suchte und fand, wie jeder, der finden will. Er
fand auf Bildern, die als Werke Bois anerkannt werden, ans solchen, die G. Funck
oder Koningk Angeschrieben werden, endlich auf eiuer Reihe der berühmteste» Rem-
brandts die Nameuszeichnung Bois, oft sogar zwei-, dreimal auf derselben Tafel.
Um auch den Leser zu überzeugen, hat er auf fünf Blättern in Heliogravüre solche
Namenszüge wiedergeben lassen von Salomos Opfer, von einem Bol oder Funck
in München, von Jakobs Traum in Dresden, von einem Kommet in Schwerin
und von folgenden Rembrandts: Proserpina in Berlin, Federschneider in Kassel,
Selbstbildnis im Palazzo Pitti, Anbetung der Könige und heiligen Magdalene im
Bnckinghampalast, heilige Familie und Bildnis einer jungen Frau in der Eremi¬
tage, Nachtwache, Staalmcester, Ganymed, Anatomie. Zu seinen Entdeckungen
kam er in den meisten Fällen — was gewiß bezeichnend ist — nicht vor Origi¬
nalen, sondern vor Photographien nach diesen; und zwar fügt er den Nachbildungen
von photographischen Aufnahmen solche bei, die nach einem von ihm selbst er¬
fundenen Verfahren „verstärkt" oder „retouchirt" (beide Ausdrücke werden neben
einander gebraucht) sind. Nach genauer und mehrmals wiederholter Betrachtung
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