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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Imsen

iverde. Vergeblich. Mathieu Guörauds eiserne Stirn und nervige Fäuste ver¬
suchen immer noch, den gewaltigen Bau Wanken zu machen, der, wie Mathieu
gesehen hat, großartig erdacht und mächtig gefügt ist; sie thun es bloß, weil er
doch immer noch steht. Ja diese Richtung des Dichters hat eher uoch zu¬
genommen, er ist besonders gegen die geistlichen Kreise beider Konfessionen
nur noch schärfer geworden. Daß er schonungslos ist gegen pietistisches und
heuchlerisches Pharisäertum, wird ihm ja nur Zustimmung bringen; aber
er sollte doch nicht immerwährend den großen und unentbehrlichen Stand
des ehrenwerten, gottestrenen und nüchstenliebenden Pfarrers und dazu die
weite Gemeinde der einfach gläubigen und religiösen bürgerlichen Kreise mit
seinem kränkenden absoluten Zweifel daran, daß es überhaupt möglich sei,
ehrlich zu glauben und ein redlicher Christ zu sein, verfolgen; warum wendet
er seine Spitze nicht auch einmal gegen eine ebenfalls große Herde, die ihm
im Innersten doch noch weit unliebsamer als jene ist, wie geringe, aber
deutliche Spuren zeigen, nämlich gegen die, denen in ihrer trostlosen Leere
ihre Religionslosigkeit keine täglich erneuten Wunden schlägt? Und warum
stürzt er sich nicht auf die, deren Gemeinheit Mathieu Gnvrauds Gemeinde
vernichtete, warum wendet er der platten Niederträchtigkeit, der er die Mehr¬
heit zuspricht, nur verächtlich den Rücken?

Aber zu diesen im zweiten Teile von "Nirwana" betretenen Pfaden ge¬
langte er wohl deshalb nicht zurück, weil er immer und immer wieder mit
sich selber erst über die Rätsel Gottes und der Welt ins klare zu kommen
und aus dem Zweifel heraus ein unanfechtbares Höheres, Übersinnliches,
Göttliches zu formuliren weiter rang. Kein noch so eifriger Priester des
Wortes Gottes kann so unablässig über Leben und Seligkeit, Erde und Himmel,
Tod und Erlösung nachdenken, wie es Wilhelm Imsen im Suchen nach der
Wahrheit und dem erhabenen Besten thut. Er vermag in der That zu nichts
und zu niemand Stellung zu nehmen, ohne die ewigen Fragen mit einzuschließen,
ja allem voranzustellen. Vergeblich haben wir unter den Erinnerungen seines
Gedichtbuches ein Blatt mit der Überschrift: Emanuel Geibel gesucht. Er hat zu
dem großen Lübecker als Jüngerer in den engsten Beziehungen gestanden und
niemals seine dankbare Pietät verleugnet; er war auch vor zwei Jahren unter
den Gästen bei der Enthüllung des Lübecker Geibeldenkmals der, der des
Meisters Angedenken am nächsten stand. Aber eines schied ihn von Anbeginn
an von Geibel: dessen schlichter Glaube und ungetrübte Freude an der
Gotteswelt und ihrer vom Schöpfer gewollten Herrlichkeit. Und so versagt
es sich Jensens Ehrlichkeit, ihm einen rein ausklingenden dichterischen Nach¬
klang zu widmen. Daß er als der Berufenste der Allgemeinen Zeitung den
Nekrolog Geibels schrieb, war etwas andres. Nur ein Blatt haben wir im
"Vorherbst" gefunden, das wir in diesem Zusammenhange richtig zu verstehen
glauben, eine Erinnerung, die aber keinen Namen mitteilt:


Grenzboten III 1891 39
Wilhelm Imsen

iverde. Vergeblich. Mathieu Guörauds eiserne Stirn und nervige Fäuste ver¬
suchen immer noch, den gewaltigen Bau Wanken zu machen, der, wie Mathieu
gesehen hat, großartig erdacht und mächtig gefügt ist; sie thun es bloß, weil er
doch immer noch steht. Ja diese Richtung des Dichters hat eher uoch zu¬
genommen, er ist besonders gegen die geistlichen Kreise beider Konfessionen
nur noch schärfer geworden. Daß er schonungslos ist gegen pietistisches und
heuchlerisches Pharisäertum, wird ihm ja nur Zustimmung bringen; aber
er sollte doch nicht immerwährend den großen und unentbehrlichen Stand
des ehrenwerten, gottestrenen und nüchstenliebenden Pfarrers und dazu die
weite Gemeinde der einfach gläubigen und religiösen bürgerlichen Kreise mit
seinem kränkenden absoluten Zweifel daran, daß es überhaupt möglich sei,
ehrlich zu glauben und ein redlicher Christ zu sein, verfolgen; warum wendet
er seine Spitze nicht auch einmal gegen eine ebenfalls große Herde, die ihm
im Innersten doch noch weit unliebsamer als jene ist, wie geringe, aber
deutliche Spuren zeigen, nämlich gegen die, denen in ihrer trostlosen Leere
ihre Religionslosigkeit keine täglich erneuten Wunden schlägt? Und warum
stürzt er sich nicht auf die, deren Gemeinheit Mathieu Gnvrauds Gemeinde
vernichtete, warum wendet er der platten Niederträchtigkeit, der er die Mehr¬
heit zuspricht, nur verächtlich den Rücken?

Aber zu diesen im zweiten Teile von „Nirwana" betretenen Pfaden ge¬
langte er wohl deshalb nicht zurück, weil er immer und immer wieder mit
sich selber erst über die Rätsel Gottes und der Welt ins klare zu kommen
und aus dem Zweifel heraus ein unanfechtbares Höheres, Übersinnliches,
Göttliches zu formuliren weiter rang. Kein noch so eifriger Priester des
Wortes Gottes kann so unablässig über Leben und Seligkeit, Erde und Himmel,
Tod und Erlösung nachdenken, wie es Wilhelm Imsen im Suchen nach der
Wahrheit und dem erhabenen Besten thut. Er vermag in der That zu nichts
und zu niemand Stellung zu nehmen, ohne die ewigen Fragen mit einzuschließen,
ja allem voranzustellen. Vergeblich haben wir unter den Erinnerungen seines
Gedichtbuches ein Blatt mit der Überschrift: Emanuel Geibel gesucht. Er hat zu
dem großen Lübecker als Jüngerer in den engsten Beziehungen gestanden und
niemals seine dankbare Pietät verleugnet; er war auch vor zwei Jahren unter
den Gästen bei der Enthüllung des Lübecker Geibeldenkmals der, der des
Meisters Angedenken am nächsten stand. Aber eines schied ihn von Anbeginn
an von Geibel: dessen schlichter Glaube und ungetrübte Freude an der
Gotteswelt und ihrer vom Schöpfer gewollten Herrlichkeit. Und so versagt
es sich Jensens Ehrlichkeit, ihm einen rein ausklingenden dichterischen Nach¬
klang zu widmen. Daß er als der Berufenste der Allgemeinen Zeitung den
Nekrolog Geibels schrieb, war etwas andres. Nur ein Blatt haben wir im
„Vorherbst" gefunden, das wir in diesem Zusammenhange richtig zu verstehen
glauben, eine Erinnerung, die aber keinen Namen mitteilt:


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[0313] Wilhelm Imsen iverde. Vergeblich. Mathieu Guörauds eiserne Stirn und nervige Fäuste ver¬ suchen immer noch, den gewaltigen Bau Wanken zu machen, der, wie Mathieu gesehen hat, großartig erdacht und mächtig gefügt ist; sie thun es bloß, weil er doch immer noch steht. Ja diese Richtung des Dichters hat eher uoch zu¬ genommen, er ist besonders gegen die geistlichen Kreise beider Konfessionen nur noch schärfer geworden. Daß er schonungslos ist gegen pietistisches und heuchlerisches Pharisäertum, wird ihm ja nur Zustimmung bringen; aber er sollte doch nicht immerwährend den großen und unentbehrlichen Stand des ehrenwerten, gottestrenen und nüchstenliebenden Pfarrers und dazu die weite Gemeinde der einfach gläubigen und religiösen bürgerlichen Kreise mit seinem kränkenden absoluten Zweifel daran, daß es überhaupt möglich sei, ehrlich zu glauben und ein redlicher Christ zu sein, verfolgen; warum wendet er seine Spitze nicht auch einmal gegen eine ebenfalls große Herde, die ihm im Innersten doch noch weit unliebsamer als jene ist, wie geringe, aber deutliche Spuren zeigen, nämlich gegen die, denen in ihrer trostlosen Leere ihre Religionslosigkeit keine täglich erneuten Wunden schlägt? Und warum stürzt er sich nicht auf die, deren Gemeinheit Mathieu Gnvrauds Gemeinde vernichtete, warum wendet er der platten Niederträchtigkeit, der er die Mehr¬ heit zuspricht, nur verächtlich den Rücken? Aber zu diesen im zweiten Teile von „Nirwana" betretenen Pfaden ge¬ langte er wohl deshalb nicht zurück, weil er immer und immer wieder mit sich selber erst über die Rätsel Gottes und der Welt ins klare zu kommen und aus dem Zweifel heraus ein unanfechtbares Höheres, Übersinnliches, Göttliches zu formuliren weiter rang. Kein noch so eifriger Priester des Wortes Gottes kann so unablässig über Leben und Seligkeit, Erde und Himmel, Tod und Erlösung nachdenken, wie es Wilhelm Imsen im Suchen nach der Wahrheit und dem erhabenen Besten thut. Er vermag in der That zu nichts und zu niemand Stellung zu nehmen, ohne die ewigen Fragen mit einzuschließen, ja allem voranzustellen. Vergeblich haben wir unter den Erinnerungen seines Gedichtbuches ein Blatt mit der Überschrift: Emanuel Geibel gesucht. Er hat zu dem großen Lübecker als Jüngerer in den engsten Beziehungen gestanden und niemals seine dankbare Pietät verleugnet; er war auch vor zwei Jahren unter den Gästen bei der Enthüllung des Lübecker Geibeldenkmals der, der des Meisters Angedenken am nächsten stand. Aber eines schied ihn von Anbeginn an von Geibel: dessen schlichter Glaube und ungetrübte Freude an der Gotteswelt und ihrer vom Schöpfer gewollten Herrlichkeit. Und so versagt es sich Jensens Ehrlichkeit, ihm einen rein ausklingenden dichterischen Nach¬ klang zu widmen. Daß er als der Berufenste der Allgemeinen Zeitung den Nekrolog Geibels schrieb, war etwas andres. Nur ein Blatt haben wir im „Vorherbst" gefunden, das wir in diesem Zusammenhange richtig zu verstehen glauben, eine Erinnerung, die aber keinen Namen mitteilt: Grenzboten III 1891 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/313>, abgerufen am 23.07.2024.