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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Jenson

in dieser Beziehung sind Leute mit Titeln, wie Hofgerichts-, Geheimer Kabinetts-
vder (das sind seine Sonntagsbraten) Oberkousistorialrat; gäbe es um über
Personen, die sich mir ein Drittel so albern in der Welt betrügen, wie die
Inhaber dieser Titel bei Imsen, so müßten sie sich ohne weiteres an jedem
Orte und dauernd unmöglich machen oder würden am Ende ins Narren¬
haus geleitet. Was Imsen mit unserm Professorentnm auf dem gleichen
Kerbhvlze stehen hat, die Brille, den Doktrinarismus, was er ihm sonst noch
hätte aufmutzen können, die häufige verschrobene Einseitigkeit, die schiefen Über-
schätznngen u. s. w., alles das bleibt bei ihm aus dem Spiele; seine Professoren
vertreten immer nur den auf hohlem Grunde erwachsenen bodenlosen Dünkel --
jn dafür hätten doch die allerjüngsten "modernsten" Dichter und "Physio¬
logischen" Ästhetiker viel besser in Jensens Kasperletheater gepaßt. Und so
iiberall. Gewiß giebt es thörichte Herrlein nnter den jungen Offizieren, aber
wie gesund sind diese Leute uoch gegenüber der schlaffen Blasirtheit eines
großen Teiles unsrer großstädtischen Jugend ans den "bessern" Kreisen und
leider auch der studentische,, Mine""" ein>r<^; gewiß giebt es noch immer un¬
verbesserliche Adliche, aber zur Zeichnung des Protzentums eignet sich, wie
jedem Sozialdemokraten bekannt ist, sehr viel besser der neue Bankiersadel.
Auch Zopf und gedankenlose Phrase findet man in unsern Tagen beispielsweise
weit, mehr bei der Knappschaft der freisinnigen Blätter, als bei der Beamten-
Welt, einen so guten Posten diese immerhin noch davon mit sich herumtragen
mag. Auch die Interessen und Umgangsformen der Gesellschaft und die
Gesellschaften selbst, sogar die Wvhlthätigteitssitzuugen der eidlichen Damen
sind nicht so fade, wie sie Imsen unter allen Umständen schildert. Kurz
und gut, er ereifert sich gegen etwas, was man sich vielmehr nur vor ein,
zwei Menschenaltern, in der Krantzen des Liberalismus auf feiten junger
Leute, die in jenen Kreisen keinen Zutritt hatten, so vorgestellt und zurecht-
gemalt hat. Fast macht es den Eindruck, als führe Imsen diesen Kampf
eigentlich nur darum, weil Männer, die er verehrt, ihn einst begonnen und
"unentwegt" fortgetrieben haben. Und er führt ihn schärfer, wuchtiger und ein¬
seitiger, als diese es je gethan haben, wahrscheinlich infolge davon, daß er die
stärkere und in ihrem guten Glauben aufrichtigere, rücksichtslosere Natur ist.
Es sind heftige schlüge ins Wasser. Er bildet keine Partei damit und kann
auch keiner vorhandnen Partei damit genügen; nur einzelne sind es, die ihr
Vergnügen daran haben: die paar Guten, die uoch meinen, dies seien wirklich
die Gegensätze des Lebens und der Gesellschaft, und dann die Hämischen, die
wissen, was sie für sich wollen, und schadenfroh ins Fäustchen lachen. Übrigens
gehört heutzutage kein so besondrer Mut mehr zu der Opposition, zu der
Umher zu stehen meint: er ist keineswegs der Recke, der mit offner Brust
gegen gepanzerte Reihen ficht. Im Gegenteil: Liberalismus und Atheismus
beherrschen die Presse und die öffentliche Meinung; es gehört -- was freilich


Grenzboten III 1891 ^
Wilhelm Jenson

in dieser Beziehung sind Leute mit Titeln, wie Hofgerichts-, Geheimer Kabinetts-
vder (das sind seine Sonntagsbraten) Oberkousistorialrat; gäbe es um über
Personen, die sich mir ein Drittel so albern in der Welt betrügen, wie die
Inhaber dieser Titel bei Imsen, so müßten sie sich ohne weiteres an jedem
Orte und dauernd unmöglich machen oder würden am Ende ins Narren¬
haus geleitet. Was Imsen mit unserm Professorentnm auf dem gleichen
Kerbhvlze stehen hat, die Brille, den Doktrinarismus, was er ihm sonst noch
hätte aufmutzen können, die häufige verschrobene Einseitigkeit, die schiefen Über-
schätznngen u. s. w., alles das bleibt bei ihm aus dem Spiele; seine Professoren
vertreten immer nur den auf hohlem Grunde erwachsenen bodenlosen Dünkel —
jn dafür hätten doch die allerjüngsten „modernsten" Dichter und „Physio¬
logischen" Ästhetiker viel besser in Jensens Kasperletheater gepaßt. Und so
iiberall. Gewiß giebt es thörichte Herrlein nnter den jungen Offizieren, aber
wie gesund sind diese Leute uoch gegenüber der schlaffen Blasirtheit eines
großen Teiles unsrer großstädtischen Jugend ans den „bessern" Kreisen und
leider auch der studentische,, Mine««« ein>r<^; gewiß giebt es noch immer un¬
verbesserliche Adliche, aber zur Zeichnung des Protzentums eignet sich, wie
jedem Sozialdemokraten bekannt ist, sehr viel besser der neue Bankiersadel.
Auch Zopf und gedankenlose Phrase findet man in unsern Tagen beispielsweise
weit, mehr bei der Knappschaft der freisinnigen Blätter, als bei der Beamten-
Welt, einen so guten Posten diese immerhin noch davon mit sich herumtragen
mag. Auch die Interessen und Umgangsformen der Gesellschaft und die
Gesellschaften selbst, sogar die Wvhlthätigteitssitzuugen der eidlichen Damen
sind nicht so fade, wie sie Imsen unter allen Umständen schildert. Kurz
und gut, er ereifert sich gegen etwas, was man sich vielmehr nur vor ein,
zwei Menschenaltern, in der Krantzen des Liberalismus auf feiten junger
Leute, die in jenen Kreisen keinen Zutritt hatten, so vorgestellt und zurecht-
gemalt hat. Fast macht es den Eindruck, als führe Imsen diesen Kampf
eigentlich nur darum, weil Männer, die er verehrt, ihn einst begonnen und
»unentwegt" fortgetrieben haben. Und er führt ihn schärfer, wuchtiger und ein¬
seitiger, als diese es je gethan haben, wahrscheinlich infolge davon, daß er die
stärkere und in ihrem guten Glauben aufrichtigere, rücksichtslosere Natur ist.
Es sind heftige schlüge ins Wasser. Er bildet keine Partei damit und kann
auch keiner vorhandnen Partei damit genügen; nur einzelne sind es, die ihr
Vergnügen daran haben: die paar Guten, die uoch meinen, dies seien wirklich
die Gegensätze des Lebens und der Gesellschaft, und dann die Hämischen, die
wissen, was sie für sich wollen, und schadenfroh ins Fäustchen lachen. Übrigens
gehört heutzutage kein so besondrer Mut mehr zu der Opposition, zu der
Umher zu stehen meint: er ist keineswegs der Recke, der mit offner Brust
gegen gepanzerte Reihen ficht. Im Gegenteil: Liberalismus und Atheismus
beherrschen die Presse und die öffentliche Meinung; es gehört — was freilich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/305>, abgerufen am 26.08.2024.