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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Jenseit

lichkeiten anscheinend nicht verändcrungsfühigen Individualität dar. So ist
es denn natürlich, wenn bei dein Erscheinen jedes neuen Jensenschen Buches
zwar die ans Vollständigkeit ihrer litterarischen Negistrirnngen haltenden
Wochen- und MvuatSblätter dem Dichter oder vielmehr dem Verleger die
Empfangsbescheinigung mit ein paar Redewendungen sine ira. et "tuäio er¬
teilen, wenn ferner die Lesevereine und Leihgeschäfte ihre Bestellung machen,
der einzelne Litteraturfrcuud aber sich eigentlich niemals schlüssig wird, durch
welches Werk er in seiner Sammlung Imsen am besten vertreten sein lassen
könnte, und deswegen überhaupt nicht zu einer solchen Einverleibung gelangt,
und wenn infolge von dem allen dein Autor zwar Leser -- besonders solche
auf dem Kanapee nach dem Mittagessen -- und Leserinnen nicht mangeln,
desto seltner aber ein ernsthafterer Mensch zu eingehender Beschäftigung mit
dieser dichterischen Persönlichkeit angeregt wird. Das ist aber thatsächlich sehr
zu bedauern, denn gerade dieser Dichter verträgt, ja braucht ein prüfendes
Eingehen, er gewinnt noch ganz bedeutend, je mehr man in seine tiefere
Gedankenwelt eindringt, die in der breiten Oberfläche des Gebotenen nicht
ohne weiteres und nicht für jedermann klar zu Tage liegt, je mehr man also
wir möchten sagen Imsen hinter seiner eignen Außenseite entdeckt.

Aus dem Erze seiner Erzählungen allein ist das goldhell deutliche, richtige
Bild in der That nur sehr schwer zu gewinnen. Wo er in diesen Erzählungen
positiv schafft, wir meinen Gestalten als Vertreter seines Sinnes und seiner
eignen Empfindung schafft und formt, da erhalten diese keine andre Mitgift
als nur den schönsten, besten, tüchtigsten Inhalt, da kann ihr Verfasser nur
sympathisch, nur lichens- und bewundernswürdig sein. Wie rein und erhebend
ist in der Wirkung auf den Leser sein schöner Roman "Jahreszeiten," eine
versöhnend endende Umkehrung des Goethischen Wahlverwandtschaftenthemas,
die neben den edeln, einander nur durch Umstände anfänglich entfremdeten und
durcheinandergewirrten Hauptpersonen auch so überaus köstliche humoristische
Nebenfiguren enthält. Aber Imsen ist nicht bloß Schilderer, Erfinder, uno^v;,
er ist auch Kämpfer und will gerade dies vor allem sein. Und in dieser
Eigenschaft kehrt er freilich oft genug Schroffheiten und Übertreibungen heraus,
die einen Teil der Leser notwendig mißmutig machen müssen. Das würde
nun durchaus nichts zu bedeuten haben, wenn Imsen in diesen Fällen im
Grunde immer Recht hätte. Wir haben ganz gewiß nichts gegen einen frischen,
fröhlichen Angriff, gegen einen kräftigen, selbst verstärkten und überkräftigen
Schattenstrich, er muß nur an der richtigen Stelle sitzen. Und man mag um
ans einem religiösen, politischen oder sozialen Parteistandpunkte stehen, wie man
will: man wird bei genaueren Zusehen nicht anders können als sagen,
Imsen kämpfe -- wir sehen hier ganz ab von seiner allgemeinen Gegner¬
schaft gegen die Kirche -- in vielen breitspurigen Einzelheiten und mit zahlreichen
Statistenfignren gegen eine Welt, die so gar nicht besteht. Seine Lieblinge


Wilhelm Jenseit

lichkeiten anscheinend nicht verändcrungsfühigen Individualität dar. So ist
es denn natürlich, wenn bei dein Erscheinen jedes neuen Jensenschen Buches
zwar die ans Vollständigkeit ihrer litterarischen Negistrirnngen haltenden
Wochen- und MvuatSblätter dem Dichter oder vielmehr dem Verleger die
Empfangsbescheinigung mit ein paar Redewendungen sine ira. et »tuäio er¬
teilen, wenn ferner die Lesevereine und Leihgeschäfte ihre Bestellung machen,
der einzelne Litteraturfrcuud aber sich eigentlich niemals schlüssig wird, durch
welches Werk er in seiner Sammlung Imsen am besten vertreten sein lassen
könnte, und deswegen überhaupt nicht zu einer solchen Einverleibung gelangt,
und wenn infolge von dem allen dein Autor zwar Leser — besonders solche
auf dem Kanapee nach dem Mittagessen — und Leserinnen nicht mangeln,
desto seltner aber ein ernsthafterer Mensch zu eingehender Beschäftigung mit
dieser dichterischen Persönlichkeit angeregt wird. Das ist aber thatsächlich sehr
zu bedauern, denn gerade dieser Dichter verträgt, ja braucht ein prüfendes
Eingehen, er gewinnt noch ganz bedeutend, je mehr man in seine tiefere
Gedankenwelt eindringt, die in der breiten Oberfläche des Gebotenen nicht
ohne weiteres und nicht für jedermann klar zu Tage liegt, je mehr man also
wir möchten sagen Imsen hinter seiner eignen Außenseite entdeckt.

Aus dem Erze seiner Erzählungen allein ist das goldhell deutliche, richtige
Bild in der That nur sehr schwer zu gewinnen. Wo er in diesen Erzählungen
positiv schafft, wir meinen Gestalten als Vertreter seines Sinnes und seiner
eignen Empfindung schafft und formt, da erhalten diese keine andre Mitgift
als nur den schönsten, besten, tüchtigsten Inhalt, da kann ihr Verfasser nur
sympathisch, nur lichens- und bewundernswürdig sein. Wie rein und erhebend
ist in der Wirkung auf den Leser sein schöner Roman „Jahreszeiten," eine
versöhnend endende Umkehrung des Goethischen Wahlverwandtschaftenthemas,
die neben den edeln, einander nur durch Umstände anfänglich entfremdeten und
durcheinandergewirrten Hauptpersonen auch so überaus köstliche humoristische
Nebenfiguren enthält. Aber Imsen ist nicht bloß Schilderer, Erfinder, uno^v;,
er ist auch Kämpfer und will gerade dies vor allem sein. Und in dieser
Eigenschaft kehrt er freilich oft genug Schroffheiten und Übertreibungen heraus,
die einen Teil der Leser notwendig mißmutig machen müssen. Das würde
nun durchaus nichts zu bedeuten haben, wenn Imsen in diesen Fällen im
Grunde immer Recht hätte. Wir haben ganz gewiß nichts gegen einen frischen,
fröhlichen Angriff, gegen einen kräftigen, selbst verstärkten und überkräftigen
Schattenstrich, er muß nur an der richtigen Stelle sitzen. Und man mag um
ans einem religiösen, politischen oder sozialen Parteistandpunkte stehen, wie man
will: man wird bei genaueren Zusehen nicht anders können als sagen,
Imsen kämpfe — wir sehen hier ganz ab von seiner allgemeinen Gegner¬
schaft gegen die Kirche — in vielen breitspurigen Einzelheiten und mit zahlreichen
Statistenfignren gegen eine Welt, die so gar nicht besteht. Seine Lieblinge


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[0304] Wilhelm Jenseit lichkeiten anscheinend nicht verändcrungsfühigen Individualität dar. So ist es denn natürlich, wenn bei dein Erscheinen jedes neuen Jensenschen Buches zwar die ans Vollständigkeit ihrer litterarischen Negistrirnngen haltenden Wochen- und MvuatSblätter dem Dichter oder vielmehr dem Verleger die Empfangsbescheinigung mit ein paar Redewendungen sine ira. et »tuäio er¬ teilen, wenn ferner die Lesevereine und Leihgeschäfte ihre Bestellung machen, der einzelne Litteraturfrcuud aber sich eigentlich niemals schlüssig wird, durch welches Werk er in seiner Sammlung Imsen am besten vertreten sein lassen könnte, und deswegen überhaupt nicht zu einer solchen Einverleibung gelangt, und wenn infolge von dem allen dein Autor zwar Leser — besonders solche auf dem Kanapee nach dem Mittagessen — und Leserinnen nicht mangeln, desto seltner aber ein ernsthafterer Mensch zu eingehender Beschäftigung mit dieser dichterischen Persönlichkeit angeregt wird. Das ist aber thatsächlich sehr zu bedauern, denn gerade dieser Dichter verträgt, ja braucht ein prüfendes Eingehen, er gewinnt noch ganz bedeutend, je mehr man in seine tiefere Gedankenwelt eindringt, die in der breiten Oberfläche des Gebotenen nicht ohne weiteres und nicht für jedermann klar zu Tage liegt, je mehr man also wir möchten sagen Imsen hinter seiner eignen Außenseite entdeckt. Aus dem Erze seiner Erzählungen allein ist das goldhell deutliche, richtige Bild in der That nur sehr schwer zu gewinnen. Wo er in diesen Erzählungen positiv schafft, wir meinen Gestalten als Vertreter seines Sinnes und seiner eignen Empfindung schafft und formt, da erhalten diese keine andre Mitgift als nur den schönsten, besten, tüchtigsten Inhalt, da kann ihr Verfasser nur sympathisch, nur lichens- und bewundernswürdig sein. Wie rein und erhebend ist in der Wirkung auf den Leser sein schöner Roman „Jahreszeiten," eine versöhnend endende Umkehrung des Goethischen Wahlverwandtschaftenthemas, die neben den edeln, einander nur durch Umstände anfänglich entfremdeten und durcheinandergewirrten Hauptpersonen auch so überaus köstliche humoristische Nebenfiguren enthält. Aber Imsen ist nicht bloß Schilderer, Erfinder, uno^v;, er ist auch Kämpfer und will gerade dies vor allem sein. Und in dieser Eigenschaft kehrt er freilich oft genug Schroffheiten und Übertreibungen heraus, die einen Teil der Leser notwendig mißmutig machen müssen. Das würde nun durchaus nichts zu bedeuten haben, wenn Imsen in diesen Fällen im Grunde immer Recht hätte. Wir haben ganz gewiß nichts gegen einen frischen, fröhlichen Angriff, gegen einen kräftigen, selbst verstärkten und überkräftigen Schattenstrich, er muß nur an der richtigen Stelle sitzen. Und man mag um ans einem religiösen, politischen oder sozialen Parteistandpunkte stehen, wie man will: man wird bei genaueren Zusehen nicht anders können als sagen, Imsen kämpfe — wir sehen hier ganz ab von seiner allgemeinen Gegner¬ schaft gegen die Kirche — in vielen breitspurigen Einzelheiten und mit zahlreichen Statistenfignren gegen eine Welt, die so gar nicht besteht. Seine Lieblinge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/304>, abgerufen am 23.07.2024.