Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dänischer Zeit

leichte Bearbeitung, aber ich stöhnte entsetzlich über der "letzten Rose," die ich
im Diskant zu üben hatte. Jürgen spielte immer den Baß, weil er da so
schön Spektakel machen konnte. Wenn wir zusammen unsre Kunstfertigkeit der
Öffentlichkeit zeigten, dann behaupteten die Zuhörer, der Baß sei stets die
Hauptsache. Dies beleidigte meine Eitelkeit, und nun übte ich den Diskant
im Fortisstmv allein, obgleich Flotow überflüssigerweise überall piano nud
8in,or2g,nao angebracht hatte, wodurch er nach meiner Ansicht der "letzten Rose"
sehr schadete. Mein einziges Publikum bildete unsre Nähten". Sie besserte
unsre Wäsche aus und kam zu diesem Zweck aller vier Wochen ins Hans.
Eine stattliche junge Witwe mit gutmütigen, aber uicht gerade klugem Gesicht,
war sie uns Kindern eine willkommne Abwechslung in dem Einerlei des Lebens.
Heute spielte ich ihr die "letzte Rose" mit dem dringenden Wunsche nach Be¬
wunderung vor, und sie that mir denn auch sofort deu Gefallen. "Ah, was
spielt das Kind hübsch!" sagte sie mit aufrichtigem Staunen. "Du liebe Zeit,
mau sollte es gar nicht für möglich halten! So'n hübschen Galopp!"

In diesem Augenblick kam der Stadtmusikus ins Zimmer. Riemen und
Jürgens vereinten Bemühungen gelang es sehr häufig, das alte Klavier aus
der Stimmung zu bringen, und er war bestellt worden, um einige Saiten,
die zu unserm großen Vergnügen abgesprungen waren, wieder aufzuziehen.
Als er Frau Harding, unsre Nühterin, erblickte, wollte er eigentlich wieder
zurückgehen; sie nickte ihm aber freundlich zu. "Kommen Sie man herein,
Herr Steinberg! Ich mag gern Musik hören! Oha, da haben Sie ja ein
Knopf verloren; den will ich Ihnen man gleich wieder annähen! Ja ja, wenn
da kein Frauensperson ins Haus ist, das merkt man gleich, und was Ihre
Tochter waren, die hätten auch bei ihrem alten Vater bleiben können!"
Steinberg stand im Zimmer und sah sich nachdenklich um. Dann fuhr er
mit der Hand über seine weißen Haare.

"So alt bin ich noch gar nicht!" sagte er. "Nächsten Monat werde ich
dreiundfünfzig!"

"Oha, erst so alt, und doch alle die großen Kinder?" Frau Harding hatte
ihre Arbeit in den Schoß sinken lassen und sah zu dem Stadtmusikus herüber.
Er saß jetzt am Klavier und spielte in seiner vorsichtigen, leisen Weise. "Als
ich mich verheiratete, war ich neunzehn Jahre alt. Meine Frau war erst
siebzehn!"

Die Nühterin schüttelte den Kopf. "O, was füm Kinderkram!" sagte sie
mißbilligend. "Denn kann man sich nicht wundern, wenn später allens ver¬
kehrt geht!"

Steinberg antwortete nichts. Er war am Klavier beschäftigt. Als ich
ihm anbot, den Diskant der "letzten Rose" auch ihm vorzutragen, schüttelte
er den Kopf. Schon wollte ich ihm diesen Mangel an gutem Geschmack übel¬
nehmen, da fing er seine kleine, zarte Melodie um zu- spielen, und seine Augen


Aus dänischer Zeit

leichte Bearbeitung, aber ich stöhnte entsetzlich über der „letzten Rose," die ich
im Diskant zu üben hatte. Jürgen spielte immer den Baß, weil er da so
schön Spektakel machen konnte. Wenn wir zusammen unsre Kunstfertigkeit der
Öffentlichkeit zeigten, dann behaupteten die Zuhörer, der Baß sei stets die
Hauptsache. Dies beleidigte meine Eitelkeit, und nun übte ich den Diskant
im Fortisstmv allein, obgleich Flotow überflüssigerweise überall piano nud
8in,or2g,nao angebracht hatte, wodurch er nach meiner Ansicht der „letzten Rose"
sehr schadete. Mein einziges Publikum bildete unsre Nähten». Sie besserte
unsre Wäsche aus und kam zu diesem Zweck aller vier Wochen ins Hans.
Eine stattliche junge Witwe mit gutmütigen, aber uicht gerade klugem Gesicht,
war sie uns Kindern eine willkommne Abwechslung in dem Einerlei des Lebens.
Heute spielte ich ihr die „letzte Rose" mit dem dringenden Wunsche nach Be¬
wunderung vor, und sie that mir denn auch sofort deu Gefallen. „Ah, was
spielt das Kind hübsch!" sagte sie mit aufrichtigem Staunen. „Du liebe Zeit,
mau sollte es gar nicht für möglich halten! So'n hübschen Galopp!"

In diesem Augenblick kam der Stadtmusikus ins Zimmer. Riemen und
Jürgens vereinten Bemühungen gelang es sehr häufig, das alte Klavier aus
der Stimmung zu bringen, und er war bestellt worden, um einige Saiten,
die zu unserm großen Vergnügen abgesprungen waren, wieder aufzuziehen.
Als er Frau Harding, unsre Nühterin, erblickte, wollte er eigentlich wieder
zurückgehen; sie nickte ihm aber freundlich zu. „Kommen Sie man herein,
Herr Steinberg! Ich mag gern Musik hören! Oha, da haben Sie ja ein
Knopf verloren; den will ich Ihnen man gleich wieder annähen! Ja ja, wenn
da kein Frauensperson ins Haus ist, das merkt man gleich, und was Ihre
Tochter waren, die hätten auch bei ihrem alten Vater bleiben können!"
Steinberg stand im Zimmer und sah sich nachdenklich um. Dann fuhr er
mit der Hand über seine weißen Haare.

„So alt bin ich noch gar nicht!" sagte er. „Nächsten Monat werde ich
dreiundfünfzig!"

„Oha, erst so alt, und doch alle die großen Kinder?" Frau Harding hatte
ihre Arbeit in den Schoß sinken lassen und sah zu dem Stadtmusikus herüber.
Er saß jetzt am Klavier und spielte in seiner vorsichtigen, leisen Weise. „Als
ich mich verheiratete, war ich neunzehn Jahre alt. Meine Frau war erst
siebzehn!"

Die Nühterin schüttelte den Kopf. „O, was füm Kinderkram!" sagte sie
mißbilligend. „Denn kann man sich nicht wundern, wenn später allens ver¬
kehrt geht!"

Steinberg antwortete nichts. Er war am Klavier beschäftigt. Als ich
ihm anbot, den Diskant der „letzten Rose" auch ihm vorzutragen, schüttelte
er den Kopf. Schon wollte ich ihm diesen Mangel an gutem Geschmack übel¬
nehmen, da fing er seine kleine, zarte Melodie um zu- spielen, und seine Augen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290062"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dänischer Zeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_808" prev="#ID_807"> leichte Bearbeitung, aber ich stöhnte entsetzlich über der &#x201E;letzten Rose," die ich<lb/>
im Diskant zu üben hatte. Jürgen spielte immer den Baß, weil er da so<lb/>
schön Spektakel machen konnte. Wenn wir zusammen unsre Kunstfertigkeit der<lb/>
Öffentlichkeit zeigten, dann behaupteten die Zuhörer, der Baß sei stets die<lb/>
Hauptsache. Dies beleidigte meine Eitelkeit, und nun übte ich den Diskant<lb/>
im Fortisstmv allein, obgleich Flotow überflüssigerweise überall piano nud<lb/>
8in,or2g,nao angebracht hatte, wodurch er nach meiner Ansicht der &#x201E;letzten Rose"<lb/>
sehr schadete. Mein einziges Publikum bildete unsre Nähten». Sie besserte<lb/>
unsre Wäsche aus und kam zu diesem Zweck aller vier Wochen ins Hans.<lb/>
Eine stattliche junge Witwe mit gutmütigen, aber uicht gerade klugem Gesicht,<lb/>
war sie uns Kindern eine willkommne Abwechslung in dem Einerlei des Lebens.<lb/>
Heute spielte ich ihr die &#x201E;letzte Rose" mit dem dringenden Wunsche nach Be¬<lb/>
wunderung vor, und sie that mir denn auch sofort deu Gefallen. &#x201E;Ah, was<lb/>
spielt das Kind hübsch!" sagte sie mit aufrichtigem Staunen. &#x201E;Du liebe Zeit,<lb/>
mau sollte es gar nicht für möglich halten!  So'n hübschen Galopp!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_809"> In diesem Augenblick kam der Stadtmusikus ins Zimmer. Riemen und<lb/>
Jürgens vereinten Bemühungen gelang es sehr häufig, das alte Klavier aus<lb/>
der Stimmung zu bringen, und er war bestellt worden, um einige Saiten,<lb/>
die zu unserm großen Vergnügen abgesprungen waren, wieder aufzuziehen.<lb/>
Als er Frau Harding, unsre Nühterin, erblickte, wollte er eigentlich wieder<lb/>
zurückgehen; sie nickte ihm aber freundlich zu. &#x201E;Kommen Sie man herein,<lb/>
Herr Steinberg! Ich mag gern Musik hören! Oha, da haben Sie ja ein<lb/>
Knopf verloren; den will ich Ihnen man gleich wieder annähen! Ja ja, wenn<lb/>
da kein Frauensperson ins Haus ist, das merkt man gleich, und was Ihre<lb/>
Tochter waren, die hätten auch bei ihrem alten Vater bleiben können!"<lb/>
Steinberg stand im Zimmer und sah sich nachdenklich um. Dann fuhr er<lb/>
mit der Hand über seine weißen Haare.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_810"> &#x201E;So alt bin ich noch gar nicht!" sagte er. &#x201E;Nächsten Monat werde ich<lb/>
dreiundfünfzig!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_811"> &#x201E;Oha, erst so alt, und doch alle die großen Kinder?" Frau Harding hatte<lb/>
ihre Arbeit in den Schoß sinken lassen und sah zu dem Stadtmusikus herüber.<lb/>
Er saß jetzt am Klavier und spielte in seiner vorsichtigen, leisen Weise. &#x201E;Als<lb/>
ich mich verheiratete, war ich neunzehn Jahre alt. Meine Frau war erst<lb/>
siebzehn!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_812"> Die Nühterin schüttelte den Kopf. &#x201E;O, was füm Kinderkram!" sagte sie<lb/>
mißbilligend. &#x201E;Denn kann man sich nicht wundern, wenn später allens ver¬<lb/>
kehrt geht!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_813" next="#ID_814"> Steinberg antwortete nichts. Er war am Klavier beschäftigt. Als ich<lb/>
ihm anbot, den Diskant der &#x201E;letzten Rose" auch ihm vorzutragen, schüttelte<lb/>
er den Kopf. Schon wollte ich ihm diesen Mangel an gutem Geschmack übel¬<lb/>
nehmen, da fing er seine kleine, zarte Melodie um zu- spielen, und seine Augen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Aus dänischer Zeit leichte Bearbeitung, aber ich stöhnte entsetzlich über der „letzten Rose," die ich im Diskant zu üben hatte. Jürgen spielte immer den Baß, weil er da so schön Spektakel machen konnte. Wenn wir zusammen unsre Kunstfertigkeit der Öffentlichkeit zeigten, dann behaupteten die Zuhörer, der Baß sei stets die Hauptsache. Dies beleidigte meine Eitelkeit, und nun übte ich den Diskant im Fortisstmv allein, obgleich Flotow überflüssigerweise überall piano nud 8in,or2g,nao angebracht hatte, wodurch er nach meiner Ansicht der „letzten Rose" sehr schadete. Mein einziges Publikum bildete unsre Nähten». Sie besserte unsre Wäsche aus und kam zu diesem Zweck aller vier Wochen ins Hans. Eine stattliche junge Witwe mit gutmütigen, aber uicht gerade klugem Gesicht, war sie uns Kindern eine willkommne Abwechslung in dem Einerlei des Lebens. Heute spielte ich ihr die „letzte Rose" mit dem dringenden Wunsche nach Be¬ wunderung vor, und sie that mir denn auch sofort deu Gefallen. „Ah, was spielt das Kind hübsch!" sagte sie mit aufrichtigem Staunen. „Du liebe Zeit, mau sollte es gar nicht für möglich halten! So'n hübschen Galopp!" In diesem Augenblick kam der Stadtmusikus ins Zimmer. Riemen und Jürgens vereinten Bemühungen gelang es sehr häufig, das alte Klavier aus der Stimmung zu bringen, und er war bestellt worden, um einige Saiten, die zu unserm großen Vergnügen abgesprungen waren, wieder aufzuziehen. Als er Frau Harding, unsre Nühterin, erblickte, wollte er eigentlich wieder zurückgehen; sie nickte ihm aber freundlich zu. „Kommen Sie man herein, Herr Steinberg! Ich mag gern Musik hören! Oha, da haben Sie ja ein Knopf verloren; den will ich Ihnen man gleich wieder annähen! Ja ja, wenn da kein Frauensperson ins Haus ist, das merkt man gleich, und was Ihre Tochter waren, die hätten auch bei ihrem alten Vater bleiben können!" Steinberg stand im Zimmer und sah sich nachdenklich um. Dann fuhr er mit der Hand über seine weißen Haare. „So alt bin ich noch gar nicht!" sagte er. „Nächsten Monat werde ich dreiundfünfzig!" „Oha, erst so alt, und doch alle die großen Kinder?" Frau Harding hatte ihre Arbeit in den Schoß sinken lassen und sah zu dem Stadtmusikus herüber. Er saß jetzt am Klavier und spielte in seiner vorsichtigen, leisen Weise. „Als ich mich verheiratete, war ich neunzehn Jahre alt. Meine Frau war erst siebzehn!" Die Nühterin schüttelte den Kopf. „O, was füm Kinderkram!" sagte sie mißbilligend. „Denn kann man sich nicht wundern, wenn später allens ver¬ kehrt geht!" Steinberg antwortete nichts. Er war am Klavier beschäftigt. Als ich ihm anbot, den Diskant der „letzten Rose" auch ihm vorzutragen, schüttelte er den Kopf. Schon wollte ich ihm diesen Mangel an gutem Geschmack übel¬ nehmen, da fing er seine kleine, zarte Melodie um zu- spielen, und seine Augen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/293>, abgerufen am 26.08.2024.