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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Aörners Braut

Da präludirte Kattinger Schuberts "Ave Maria," und in heiliger Scheu und
Ehrfurcht sang ich besser als je zuvor und inniger als jemals nachher dieses
herrliche Lied. Was sage ich Lied? Diesen Hymnus, diesen Sphürengesang,
dieses Tongebet, das später nie erreicht worden ist. Ich war so ergriffen,
daß mir Thränen über die Wangen liefen und manchen Ton verschlangen;
mein Schwager jder Bruder ihres Gatten war Prälat des Stiftes^ hatte es
von mir verlangt, sonst hätte ich es nie gewagt. Es war das erste und letzte¬
mal, daß ich ganz allein und zu solcher Zeit in der Kirche sang. Als ich
vom Chöre zurückkam, sagte mir Grillparzer, der begeisterte Dichter, der liebe,
brave, melancholische Mensch: "Das ist ein schöner Tag." Wie beglückte mich
dieses Wort, wie tief drang es in mein Herz! Was haben doch so hoch¬
begabte Menschen für einen Reichtum in ihrer Macht. Kein Kaiser hätte mir
eine solche Freude bereiten können. Er, der seltene Dichter, dem so viele
Menschen so herrliche Stunden des Entzückens verdankten, er hatte einen
schönen Tag gehabt, und ich hatte ihm diesen Tag verschönert; fürwahr ein
Gedanke, der mich mit tiefster und reinster Freude erfüllte!"

Doch genug der wörtlichen Mitteilungen; es hätte uns Überwindung
gekostet, auf sie zu verzichten, denn diese herrliche Frau charakterisirt sich am
besten mit ihren eignen Worten. Sie war auch ein Wesen, das jeder lieb
hatte, so wie sie selbst neidlos, hilfreich, unendlich gütig, ohne weich und
sentimental zu werden, gegen jedermann war, sie hatte immer eine Schar von
Freundinnen, im Theater stand sie mit allen Kollegen auf bestem Fuße, man
schätzte ihren gesunden, frischen Sinn so sehr, daß man sie sogar in Streit¬
fällen als Schiedsrichterin benutzte. Als sie zu Anfang 1812 Körner kennen
lernte -- es geschah ans einer Probe im Theater --, da stand sie in der vollen
Blüte ihres Talentes und ihrer Jugend. Der erste Blick, den sie mit dem
Dichter tauschte, entschied über das Schicksal beider; ihr späterer Gatte fühlte
sich im Anblick der Sixtinischen Madonna zu Dresden wegen der großen ver¬
wunderten Augen der Jungfrau an Toni erinnert. Näheres über ihren Ver¬
kehr mit Körner erfahren wir nicht. Frau Arueth bewahrte Zeit ihres Lebens
das strengste Schweigen über diese Episode ihres Lebens, durch die sie zu
einer untioualeu Berühmtheit geworden war; ein edles Gefühl scheint ihr dies
auferlegt zu haben, sie ließ sich durch kein Zureden und Bitten zu Mitteilungen
über Körner bewegen. Sicher ist, daß sie seine Leidenschaft nicht minder warm
erwiderte und von seinem Tode furchtbar erschüttert war. An der Trauer¬
feier für Körner, die im Burgtheater abgehalten wurde, wirkte sie, den Jammer
im Herzen, mit. Erst nach vier Jahren gelang es dem Kustos Arneth, sie zu
gewinnen. Arneth hatte auch als Freiwilliger beim deutsch - österreichische"
Korps die Freiheitskriege mitgemacht und war bis uach Südfrankreich gekommen;
dann nahm er seine ruhige Stellung im Antikenkabinet wieder ein. Toni
lernte er im Salon der Karoline Pichler kennen, die ihn denn auch bei seinen


Theodor Aörners Braut

Da präludirte Kattinger Schuberts »Ave Maria,« und in heiliger Scheu und
Ehrfurcht sang ich besser als je zuvor und inniger als jemals nachher dieses
herrliche Lied. Was sage ich Lied? Diesen Hymnus, diesen Sphürengesang,
dieses Tongebet, das später nie erreicht worden ist. Ich war so ergriffen,
daß mir Thränen über die Wangen liefen und manchen Ton verschlangen;
mein Schwager jder Bruder ihres Gatten war Prälat des Stiftes^ hatte es
von mir verlangt, sonst hätte ich es nie gewagt. Es war das erste und letzte¬
mal, daß ich ganz allein und zu solcher Zeit in der Kirche sang. Als ich
vom Chöre zurückkam, sagte mir Grillparzer, der begeisterte Dichter, der liebe,
brave, melancholische Mensch: »Das ist ein schöner Tag.« Wie beglückte mich
dieses Wort, wie tief drang es in mein Herz! Was haben doch so hoch¬
begabte Menschen für einen Reichtum in ihrer Macht. Kein Kaiser hätte mir
eine solche Freude bereiten können. Er, der seltene Dichter, dem so viele
Menschen so herrliche Stunden des Entzückens verdankten, er hatte einen
schönen Tag gehabt, und ich hatte ihm diesen Tag verschönert; fürwahr ein
Gedanke, der mich mit tiefster und reinster Freude erfüllte!"

Doch genug der wörtlichen Mitteilungen; es hätte uns Überwindung
gekostet, auf sie zu verzichten, denn diese herrliche Frau charakterisirt sich am
besten mit ihren eignen Worten. Sie war auch ein Wesen, das jeder lieb
hatte, so wie sie selbst neidlos, hilfreich, unendlich gütig, ohne weich und
sentimental zu werden, gegen jedermann war, sie hatte immer eine Schar von
Freundinnen, im Theater stand sie mit allen Kollegen auf bestem Fuße, man
schätzte ihren gesunden, frischen Sinn so sehr, daß man sie sogar in Streit¬
fällen als Schiedsrichterin benutzte. Als sie zu Anfang 1812 Körner kennen
lernte — es geschah ans einer Probe im Theater —, da stand sie in der vollen
Blüte ihres Talentes und ihrer Jugend. Der erste Blick, den sie mit dem
Dichter tauschte, entschied über das Schicksal beider; ihr späterer Gatte fühlte
sich im Anblick der Sixtinischen Madonna zu Dresden wegen der großen ver¬
wunderten Augen der Jungfrau an Toni erinnert. Näheres über ihren Ver¬
kehr mit Körner erfahren wir nicht. Frau Arueth bewahrte Zeit ihres Lebens
das strengste Schweigen über diese Episode ihres Lebens, durch die sie zu
einer untioualeu Berühmtheit geworden war; ein edles Gefühl scheint ihr dies
auferlegt zu haben, sie ließ sich durch kein Zureden und Bitten zu Mitteilungen
über Körner bewegen. Sicher ist, daß sie seine Leidenschaft nicht minder warm
erwiderte und von seinem Tode furchtbar erschüttert war. An der Trauer¬
feier für Körner, die im Burgtheater abgehalten wurde, wirkte sie, den Jammer
im Herzen, mit. Erst nach vier Jahren gelang es dem Kustos Arneth, sie zu
gewinnen. Arneth hatte auch als Freiwilliger beim deutsch - österreichische«
Korps die Freiheitskriege mitgemacht und war bis uach Südfrankreich gekommen;
dann nahm er seine ruhige Stellung im Antikenkabinet wieder ein. Toni
lernte er im Salon der Karoline Pichler kennen, die ihn denn auch bei seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/290>, abgerufen am 23.07.2024.