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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Körners Braut

obenauf das allbekannte Rvndo mit Rezitativ aus "Romeo und Julia" von
Zingarelli. "Das singen Sie," rief er lachend heraus, daß es ihn schüttelte,
indem er sich zweifelnd zum Akkompngniren setzte. Ebenso harmlos, als ich
mit ihm schwatzte und lachte, sang ich meine Arie herunter. Da wurde sein
Auge sehr wohlwollend, er strich mir mit der Hand über die Stirne und
sagte: "Ja so, jetzt weiß ich es," kam nach drei Tagen wieder und sang mir
die Lieder einigemale vor. Als ich sie nach wenigen Tagen inne hatte, ging
er von mir mit den Worten: "So, jetzt ists recht. So, so ists recht, so singen
Sie, lassen Sie sich nichts einreden und machen mir nicht ein Mortere hinein."
Er ging, ich sah ihn auf meinem Zimmer nie mehr. Nur auf der Probe,
als er dirigirte, nickte er mir öfters freundlich wohlwollend zu. Daß ich seine
Lieder so schnell zur Zufriedenheit faßte und sang, um sie nie wieder zu ver¬
gessen, ist eine Gabe, die mir vom Himmel fiel, eine Erbschaft von meinem
Vater."

Das geschah 1810. Sechzehn Jahre später, nachdem sie längst Mutter
zweier Söhne geworden war und zum Theater keine Beziehungen mehr hatte,
sang Frau Arneth vor einem andern Großen aus der Geisteswelt, nicht mehr
das naive Mädchen, sondern die gemütreiche, schöne Frau von sechsunddreißig
Jahren. Der Bericht, deu sie uns über dieses Zusammentreffen mit Grill-
parzer in Sankt Florian, einem reichen alten Augustiuerstift in Oberösterreich,
hinterlassen hat, ist nicht minder schön, als der eben mitgeteilte. Grillparzer
befand sich gerade auf der Heimkehr von seinem Besuche bei Goethe in Weimar
und machte den Eindruck eines sehr schwermütigen Mannes. "Nachmittags
wurde Musik gemacht, und ich sang mit vielem Vergnügen Schubertsche Lieder.
Da Grillparzer gründlich musikalisch ist, so wußte er diesem nach meiner
Meinung ausgezeichnetsten Liederkomponisten aufs tiefste nachzuempfinden.
Nach den Müllerliedern, nach manchem heitern Liede brachte ich Wilhelm
Meister, und -- verzeiht mir die Eitelkeit -- nie werde ich den Augenblick
vergessen. Nachdem ich das Lied des Harfners: "Wer sich der Einsamkeit er¬
giebt" vollendet hatte und er ganz in sich gekehrt so dasaß und vor sich hin
blickte, sagte jemand: "Das ist ein herrliches Lied!" Da sah er mich ver¬
wundert an und sagte leise: "Ja, man weiß nicht, wo man genug hinhorchen
soll, auf diese Stimme, diese Komposition oder auf diese Worte." War das
Lob? Um keinen Preis hätte ich irgend ein Wort herausgebracht, so tief
erfreute mich seine Äußerung. Und um kam erst der Abend heran. Nach
einem kurzen Spaziergange kehrten wir bald zurück und verfügten uns in die
Kirche, die vortreffliche Orgel zu hören. Kattinger (der Organist) war eben¬
falls hocherfreut, vor einem so eminenten Musikkenuer und eifrigen Verehrer
Beethovens spielen zu dürfen. Wie ein Sturm brausten die Orgelklänge daher,
denn er verstand es wahrlich, diesen Wald von Tönen zu bemeistern. Die
Kirche war ganz dunkel geworden, tiefe Stille umgab uns, man hörte atmen.


Grenzboten III 1891 36
Theodor Körners Braut

obenauf das allbekannte Rvndo mit Rezitativ aus »Romeo und Julia« von
Zingarelli. »Das singen Sie,« rief er lachend heraus, daß es ihn schüttelte,
indem er sich zweifelnd zum Akkompngniren setzte. Ebenso harmlos, als ich
mit ihm schwatzte und lachte, sang ich meine Arie herunter. Da wurde sein
Auge sehr wohlwollend, er strich mir mit der Hand über die Stirne und
sagte: »Ja so, jetzt weiß ich es,« kam nach drei Tagen wieder und sang mir
die Lieder einigemale vor. Als ich sie nach wenigen Tagen inne hatte, ging
er von mir mit den Worten: »So, jetzt ists recht. So, so ists recht, so singen
Sie, lassen Sie sich nichts einreden und machen mir nicht ein Mortere hinein.«
Er ging, ich sah ihn auf meinem Zimmer nie mehr. Nur auf der Probe,
als er dirigirte, nickte er mir öfters freundlich wohlwollend zu. Daß ich seine
Lieder so schnell zur Zufriedenheit faßte und sang, um sie nie wieder zu ver¬
gessen, ist eine Gabe, die mir vom Himmel fiel, eine Erbschaft von meinem
Vater."

Das geschah 1810. Sechzehn Jahre später, nachdem sie längst Mutter
zweier Söhne geworden war und zum Theater keine Beziehungen mehr hatte,
sang Frau Arneth vor einem andern Großen aus der Geisteswelt, nicht mehr
das naive Mädchen, sondern die gemütreiche, schöne Frau von sechsunddreißig
Jahren. Der Bericht, deu sie uns über dieses Zusammentreffen mit Grill-
parzer in Sankt Florian, einem reichen alten Augustiuerstift in Oberösterreich,
hinterlassen hat, ist nicht minder schön, als der eben mitgeteilte. Grillparzer
befand sich gerade auf der Heimkehr von seinem Besuche bei Goethe in Weimar
und machte den Eindruck eines sehr schwermütigen Mannes. „Nachmittags
wurde Musik gemacht, und ich sang mit vielem Vergnügen Schubertsche Lieder.
Da Grillparzer gründlich musikalisch ist, so wußte er diesem nach meiner
Meinung ausgezeichnetsten Liederkomponisten aufs tiefste nachzuempfinden.
Nach den Müllerliedern, nach manchem heitern Liede brachte ich Wilhelm
Meister, und — verzeiht mir die Eitelkeit — nie werde ich den Augenblick
vergessen. Nachdem ich das Lied des Harfners: »Wer sich der Einsamkeit er¬
giebt« vollendet hatte und er ganz in sich gekehrt so dasaß und vor sich hin
blickte, sagte jemand: »Das ist ein herrliches Lied!« Da sah er mich ver¬
wundert an und sagte leise: »Ja, man weiß nicht, wo man genug hinhorchen
soll, auf diese Stimme, diese Komposition oder auf diese Worte.« War das
Lob? Um keinen Preis hätte ich irgend ein Wort herausgebracht, so tief
erfreute mich seine Äußerung. Und um kam erst der Abend heran. Nach
einem kurzen Spaziergange kehrten wir bald zurück und verfügten uns in die
Kirche, die vortreffliche Orgel zu hören. Kattinger (der Organist) war eben¬
falls hocherfreut, vor einem so eminenten Musikkenuer und eifrigen Verehrer
Beethovens spielen zu dürfen. Wie ein Sturm brausten die Orgelklänge daher,
denn er verstand es wahrlich, diesen Wald von Tönen zu bemeistern. Die
Kirche war ganz dunkel geworden, tiefe Stille umgab uns, man hörte atmen.


Grenzboten III 1891 36
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[0289] Theodor Körners Braut obenauf das allbekannte Rvndo mit Rezitativ aus »Romeo und Julia« von Zingarelli. »Das singen Sie,« rief er lachend heraus, daß es ihn schüttelte, indem er sich zweifelnd zum Akkompngniren setzte. Ebenso harmlos, als ich mit ihm schwatzte und lachte, sang ich meine Arie herunter. Da wurde sein Auge sehr wohlwollend, er strich mir mit der Hand über die Stirne und sagte: »Ja so, jetzt weiß ich es,« kam nach drei Tagen wieder und sang mir die Lieder einigemale vor. Als ich sie nach wenigen Tagen inne hatte, ging er von mir mit den Worten: »So, jetzt ists recht. So, so ists recht, so singen Sie, lassen Sie sich nichts einreden und machen mir nicht ein Mortere hinein.« Er ging, ich sah ihn auf meinem Zimmer nie mehr. Nur auf der Probe, als er dirigirte, nickte er mir öfters freundlich wohlwollend zu. Daß ich seine Lieder so schnell zur Zufriedenheit faßte und sang, um sie nie wieder zu ver¬ gessen, ist eine Gabe, die mir vom Himmel fiel, eine Erbschaft von meinem Vater." Das geschah 1810. Sechzehn Jahre später, nachdem sie längst Mutter zweier Söhne geworden war und zum Theater keine Beziehungen mehr hatte, sang Frau Arneth vor einem andern Großen aus der Geisteswelt, nicht mehr das naive Mädchen, sondern die gemütreiche, schöne Frau von sechsunddreißig Jahren. Der Bericht, deu sie uns über dieses Zusammentreffen mit Grill- parzer in Sankt Florian, einem reichen alten Augustiuerstift in Oberösterreich, hinterlassen hat, ist nicht minder schön, als der eben mitgeteilte. Grillparzer befand sich gerade auf der Heimkehr von seinem Besuche bei Goethe in Weimar und machte den Eindruck eines sehr schwermütigen Mannes. „Nachmittags wurde Musik gemacht, und ich sang mit vielem Vergnügen Schubertsche Lieder. Da Grillparzer gründlich musikalisch ist, so wußte er diesem nach meiner Meinung ausgezeichnetsten Liederkomponisten aufs tiefste nachzuempfinden. Nach den Müllerliedern, nach manchem heitern Liede brachte ich Wilhelm Meister, und — verzeiht mir die Eitelkeit — nie werde ich den Augenblick vergessen. Nachdem ich das Lied des Harfners: »Wer sich der Einsamkeit er¬ giebt« vollendet hatte und er ganz in sich gekehrt so dasaß und vor sich hin blickte, sagte jemand: »Das ist ein herrliches Lied!« Da sah er mich ver¬ wundert an und sagte leise: »Ja, man weiß nicht, wo man genug hinhorchen soll, auf diese Stimme, diese Komposition oder auf diese Worte.« War das Lob? Um keinen Preis hätte ich irgend ein Wort herausgebracht, so tief erfreute mich seine Äußerung. Und um kam erst der Abend heran. Nach einem kurzen Spaziergange kehrten wir bald zurück und verfügten uns in die Kirche, die vortreffliche Orgel zu hören. Kattinger (der Organist) war eben¬ falls hocherfreut, vor einem so eminenten Musikkenuer und eifrigen Verehrer Beethovens spielen zu dürfen. Wie ein Sturm brausten die Orgelklänge daher, denn er verstand es wahrlich, diesen Wald von Tönen zu bemeistern. Die Kirche war ganz dunkel geworden, tiefe Stille umgab uns, man hörte atmen. Grenzboten III 1891 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/289>, abgerufen am 26.08.2024.