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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur deutschen Wirtschaftsgeschichte

ständig, wurden erbliche Eigentümer der geliehenen und bewirtschafteten Gitter
und bildeten einen neuen niedern Adel. Besonders merkwürdig ist das Empor¬
steigen der Meier. Je mehr sich der Gutsherr ans einem Ökonomen in einen
Feldhauptmann und Landesherrn verwandelt, desto weniger kümmert er sich
um die Wirtschaft, desto selbständiger wird der Meier, der nur uoch insofern
von ihm abhängt, als er einen Teil des Ertrages an ihn abzuliefern hat.
Er rückt in die Stellung eines Pächters ein, und der Reinertrag des Gutes
spaltet sich in Bodenrenke und Unternehmergewinn. Schließlich vermag der
müßige Rentenempfänger das Eigentumsrecht an einem Besitz, der ihn sonst
weiter nichts angeht, nicht mehr zu behaupten, und der Unternehmer erwirbt
das Eigentum.

In dieser zuletzt angeführten Wandlung kommt ein allgemeines Gesetz
zum Vorschein, dessen Wirksamkeit mau auch heute uoch uicht bloß bei land¬
wirtschaftlichen, sondern überhaupt bei Unternehmen aller Art beobachten kann.
Aber anch die andern wirtschaftlichen Bildungen jener Zeit erinnern a" ähn¬
liche Borgänge in alten und neuen Zeiten und beweisen, daß auf diesem Ge¬
biete dieselben Ursachen fast regelmäßig dieselben Wirkungen erzeugen. So
findet z. V. ein Satz Bestätigung, auf den die verständige Überlegung schon
vor der Erfahrung führt: daß neben einem übermächtigen Gemeindegenossen
die Freiheit der übrigen nicht bestehen kann, ein Satz, der geeignet wäre, die
Schwärmerei der preußischen Liberalen für Einfügung der Gutsbezirke in die
Gemeinden zu dämpfen. Eine der stärksten unter den Kräften, die zur
Sprengung der alten Markgenossenschaften durch die aufkommenden großen
Herrschaften zusammengewirkt haben, war der Mitbesitz der Grundherrschaft
an der Almend, dein Gemeindelande. Da der Grundherr überschlissige Arbeiter
hatte, die den Bauern nicht zur Verfügung standen, so schickte er solche auf
die Atmend und riß von dieser an sich, so viel er bewirtschaften konnte.
Namentlich des gemeinsamen Waldes bemächtigte er sich, ließ darin Rodungen
vornehmen und legte den übrigen Teil in seinen Bann. Die Bauern, die
aus dem gebannten Teile noch die hergebrachten Nutzungen an Holz, Mast
und Weide ziehe" wollten, konnten dies nur, indem sie zum Grundherren in
ein Nntcrthanenverhältnis traten. In England hat dieser Raub am Gemcinde-
eigentnm weit später, im sechzehnten Jahrhundert, aufs neue begonnen und
ist mit jener Brutalität im Rauben, dnrch die sich die vornehmen Engländer
auszeichnen, zusammen mit der gänzlichen Vertreibung der Kleinbauern bis in
unser Jahrhundert fortgesetzt worden. In Deutschland ist bei der gesetzlichen
Ablösung ähnliches Unrecht begangen worden, in weit geringerem Umfange
freilich und zum Teil in guter Meinung; die angesessenen Tagelöhner Pom¬
merns z. B. klagen bitter darüber, daß ihnen durch die Einziehung der
Gemeindetest die Möglichkeit genommen worden sei, ein paar Stücke Vieh
zu halten.


Zur deutschen Wirtschaftsgeschichte

ständig, wurden erbliche Eigentümer der geliehenen und bewirtschafteten Gitter
und bildeten einen neuen niedern Adel. Besonders merkwürdig ist das Empor¬
steigen der Meier. Je mehr sich der Gutsherr ans einem Ökonomen in einen
Feldhauptmann und Landesherrn verwandelt, desto weniger kümmert er sich
um die Wirtschaft, desto selbständiger wird der Meier, der nur uoch insofern
von ihm abhängt, als er einen Teil des Ertrages an ihn abzuliefern hat.
Er rückt in die Stellung eines Pächters ein, und der Reinertrag des Gutes
spaltet sich in Bodenrenke und Unternehmergewinn. Schließlich vermag der
müßige Rentenempfänger das Eigentumsrecht an einem Besitz, der ihn sonst
weiter nichts angeht, nicht mehr zu behaupten, und der Unternehmer erwirbt
das Eigentum.

In dieser zuletzt angeführten Wandlung kommt ein allgemeines Gesetz
zum Vorschein, dessen Wirksamkeit mau auch heute uoch uicht bloß bei land¬
wirtschaftlichen, sondern überhaupt bei Unternehmen aller Art beobachten kann.
Aber anch die andern wirtschaftlichen Bildungen jener Zeit erinnern a» ähn¬
liche Borgänge in alten und neuen Zeiten und beweisen, daß auf diesem Ge¬
biete dieselben Ursachen fast regelmäßig dieselben Wirkungen erzeugen. So
findet z. V. ein Satz Bestätigung, auf den die verständige Überlegung schon
vor der Erfahrung führt: daß neben einem übermächtigen Gemeindegenossen
die Freiheit der übrigen nicht bestehen kann, ein Satz, der geeignet wäre, die
Schwärmerei der preußischen Liberalen für Einfügung der Gutsbezirke in die
Gemeinden zu dämpfen. Eine der stärksten unter den Kräften, die zur
Sprengung der alten Markgenossenschaften durch die aufkommenden großen
Herrschaften zusammengewirkt haben, war der Mitbesitz der Grundherrschaft
an der Almend, dein Gemeindelande. Da der Grundherr überschlissige Arbeiter
hatte, die den Bauern nicht zur Verfügung standen, so schickte er solche auf
die Atmend und riß von dieser an sich, so viel er bewirtschaften konnte.
Namentlich des gemeinsamen Waldes bemächtigte er sich, ließ darin Rodungen
vornehmen und legte den übrigen Teil in seinen Bann. Die Bauern, die
aus dem gebannten Teile noch die hergebrachten Nutzungen an Holz, Mast
und Weide ziehe» wollten, konnten dies nur, indem sie zum Grundherren in
ein Nntcrthanenverhältnis traten. In England hat dieser Raub am Gemcinde-
eigentnm weit später, im sechzehnten Jahrhundert, aufs neue begonnen und
ist mit jener Brutalität im Rauben, dnrch die sich die vornehmen Engländer
auszeichnen, zusammen mit der gänzlichen Vertreibung der Kleinbauern bis in
unser Jahrhundert fortgesetzt worden. In Deutschland ist bei der gesetzlichen
Ablösung ähnliches Unrecht begangen worden, in weit geringerem Umfange
freilich und zum Teil in guter Meinung; die angesessenen Tagelöhner Pom¬
merns z. B. klagen bitter darüber, daß ihnen durch die Einziehung der
Gemeindetest die Möglichkeit genommen worden sei, ein paar Stücke Vieh
zu halten.


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[0264] Zur deutschen Wirtschaftsgeschichte ständig, wurden erbliche Eigentümer der geliehenen und bewirtschafteten Gitter und bildeten einen neuen niedern Adel. Besonders merkwürdig ist das Empor¬ steigen der Meier. Je mehr sich der Gutsherr ans einem Ökonomen in einen Feldhauptmann und Landesherrn verwandelt, desto weniger kümmert er sich um die Wirtschaft, desto selbständiger wird der Meier, der nur uoch insofern von ihm abhängt, als er einen Teil des Ertrages an ihn abzuliefern hat. Er rückt in die Stellung eines Pächters ein, und der Reinertrag des Gutes spaltet sich in Bodenrenke und Unternehmergewinn. Schließlich vermag der müßige Rentenempfänger das Eigentumsrecht an einem Besitz, der ihn sonst weiter nichts angeht, nicht mehr zu behaupten, und der Unternehmer erwirbt das Eigentum. In dieser zuletzt angeführten Wandlung kommt ein allgemeines Gesetz zum Vorschein, dessen Wirksamkeit mau auch heute uoch uicht bloß bei land¬ wirtschaftlichen, sondern überhaupt bei Unternehmen aller Art beobachten kann. Aber anch die andern wirtschaftlichen Bildungen jener Zeit erinnern a» ähn¬ liche Borgänge in alten und neuen Zeiten und beweisen, daß auf diesem Ge¬ biete dieselben Ursachen fast regelmäßig dieselben Wirkungen erzeugen. So findet z. V. ein Satz Bestätigung, auf den die verständige Überlegung schon vor der Erfahrung führt: daß neben einem übermächtigen Gemeindegenossen die Freiheit der übrigen nicht bestehen kann, ein Satz, der geeignet wäre, die Schwärmerei der preußischen Liberalen für Einfügung der Gutsbezirke in die Gemeinden zu dämpfen. Eine der stärksten unter den Kräften, die zur Sprengung der alten Markgenossenschaften durch die aufkommenden großen Herrschaften zusammengewirkt haben, war der Mitbesitz der Grundherrschaft an der Almend, dein Gemeindelande. Da der Grundherr überschlissige Arbeiter hatte, die den Bauern nicht zur Verfügung standen, so schickte er solche auf die Atmend und riß von dieser an sich, so viel er bewirtschaften konnte. Namentlich des gemeinsamen Waldes bemächtigte er sich, ließ darin Rodungen vornehmen und legte den übrigen Teil in seinen Bann. Die Bauern, die aus dem gebannten Teile noch die hergebrachten Nutzungen an Holz, Mast und Weide ziehe» wollten, konnten dies nur, indem sie zum Grundherren in ein Nntcrthanenverhältnis traten. In England hat dieser Raub am Gemcinde- eigentnm weit später, im sechzehnten Jahrhundert, aufs neue begonnen und ist mit jener Brutalität im Rauben, dnrch die sich die vornehmen Engländer auszeichnen, zusammen mit der gänzlichen Vertreibung der Kleinbauern bis in unser Jahrhundert fortgesetzt worden. In Deutschland ist bei der gesetzlichen Ablösung ähnliches Unrecht begangen worden, in weit geringerem Umfange freilich und zum Teil in guter Meinung; die angesessenen Tagelöhner Pom¬ merns z. B. klagen bitter darüber, daß ihnen durch die Einziehung der Gemeindetest die Möglichkeit genommen worden sei, ein paar Stücke Vieh zu halten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/264>, abgerufen am 26.08.2024.