Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mo soll das hinaus?

sich mit Schuhen und einer Mütze und geht in eine Wirtschaft, wo er einen
Teil des geraubten Geldes vertrinkt.

Was wir hier erzählen, ist nicht eine Episode aus einem Kriminalrvman,
nicht das Ereignis dichtender Phantasie, es beruht Satz für Satz auf akten-
müßigen Unterlagen. Traugott K. wurde in der öffentlichen Sitzung des
Landgerichts zu Gera um 26. Mai 1891 wegen Mordes zu fünfzehn Jahren
Gefängnis verurteilt, sein Genosse N. wegen Versuchs der Mitthätcrschaft zu
einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und G. wegen unterlassener Anzeige
eines geplanten Mordes (Z 139 des Strafgesetzbuches) zu sechs Monaten Ge¬
fängnis. K. stellte den Mord lange Zeit hartnäckig in Abrede, indem er deu
G. als Mörder bezeichnete. Die starke Belastung, die die aufgefundnen Schuhe
und der Hut boten, suchte er dadurch zu beseitigen, daß er behauptete, G.
habe Sachen von ihm geborgt, um die Entdeckung zu erschweren. G. saß
deshalb längere Zeit in Untersuchungshaft, bis einige dem K. abgenommene
Kassiber und das Geständnis des N. den K. in eine Lage brachten, wo er
mit dem Eingestündnisse der That nicht länger zurückhalten konnte.

Die Bedeutung, die der Fall in Anspruch nimmt, liegt nicht in seiner
juristischen Seite, sondern in dem Umstände, daß die in dem blutigen Drama
handelnd auftretenden Teilnehmer lauter der Schule kaum entwachsene, teilweise
sogar noch schulpflichtige Jungen sind, Jungen, die in einem solchen Alter
das schwerste aller Verbrechen, die mit Vorbedacht und Überlegung vollzogene
Ermordung eines Menschen ausgeführt und zwar in einer Weise ausgeführt
haben, als ob sichs um ein jugendliches Spiel handelte. Sie handeln dabei mit
der planmäßigen Umsicht eines in einer langen Verbrccherlanfbahn ergrauten
Verbrechers. Sie gehen an die Ausführung mit dem kalten Blute eines gegen
alles menschliche Gefühl und alle Regungen des Herzens abgestumpften pro¬
fessionsmüßigen Mörders. Sie verraten eine genane Kenntnis der straf¬
gesetzlichen Bestimmungen und der deshalb zu beobachtenden Vorsichtsma߬
regeln. Sie verfolgen das einmal beschlvssne Ziel mit einer Zähigkeit, wie
sie sonst nur der in der Schule des Lebens gestählten Willenskraft zu eigen ist.

Der rohe Cynismus des Hauptthäters K. trat auch noch weiter bei seinem
Verhalten nach der That hervor. Auf die Frage seiner Schwester, was er
denn eigentlich gethan habe, daß ihn die Polizei verfolge, erwiderte er: Was
wirds denn weiter sein, ich habe eine alte Frau ermordet! und auf die in der
Verhandlung an ihn gerichtete Frage des Vorsitzenden, ob er einräume, die
Frau B. ermordet zu haben, antwortet er mit einem fast höhnisch klingenden
frechen: Jawohl! Rechnet man weiter hinzu die Niedrigkeit des Beweggrundes,
Habsucht im Bunde mit Vergnügungssucht -- man ermordet einen Menschen,
um einen Maskenball mitmachen zu können! --, so ergiebt sich hier eine Summe
menschlicher Lasterhaftigkeit, wie sie sich in solcher Häufung wohl selten zu¬
sammenfinden wird.


Mo soll das hinaus?

sich mit Schuhen und einer Mütze und geht in eine Wirtschaft, wo er einen
Teil des geraubten Geldes vertrinkt.

Was wir hier erzählen, ist nicht eine Episode aus einem Kriminalrvman,
nicht das Ereignis dichtender Phantasie, es beruht Satz für Satz auf akten-
müßigen Unterlagen. Traugott K. wurde in der öffentlichen Sitzung des
Landgerichts zu Gera um 26. Mai 1891 wegen Mordes zu fünfzehn Jahren
Gefängnis verurteilt, sein Genosse N. wegen Versuchs der Mitthätcrschaft zu
einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und G. wegen unterlassener Anzeige
eines geplanten Mordes (Z 139 des Strafgesetzbuches) zu sechs Monaten Ge¬
fängnis. K. stellte den Mord lange Zeit hartnäckig in Abrede, indem er deu
G. als Mörder bezeichnete. Die starke Belastung, die die aufgefundnen Schuhe
und der Hut boten, suchte er dadurch zu beseitigen, daß er behauptete, G.
habe Sachen von ihm geborgt, um die Entdeckung zu erschweren. G. saß
deshalb längere Zeit in Untersuchungshaft, bis einige dem K. abgenommene
Kassiber und das Geständnis des N. den K. in eine Lage brachten, wo er
mit dem Eingestündnisse der That nicht länger zurückhalten konnte.

Die Bedeutung, die der Fall in Anspruch nimmt, liegt nicht in seiner
juristischen Seite, sondern in dem Umstände, daß die in dem blutigen Drama
handelnd auftretenden Teilnehmer lauter der Schule kaum entwachsene, teilweise
sogar noch schulpflichtige Jungen sind, Jungen, die in einem solchen Alter
das schwerste aller Verbrechen, die mit Vorbedacht und Überlegung vollzogene
Ermordung eines Menschen ausgeführt und zwar in einer Weise ausgeführt
haben, als ob sichs um ein jugendliches Spiel handelte. Sie handeln dabei mit
der planmäßigen Umsicht eines in einer langen Verbrccherlanfbahn ergrauten
Verbrechers. Sie gehen an die Ausführung mit dem kalten Blute eines gegen
alles menschliche Gefühl und alle Regungen des Herzens abgestumpften pro¬
fessionsmüßigen Mörders. Sie verraten eine genane Kenntnis der straf¬
gesetzlichen Bestimmungen und der deshalb zu beobachtenden Vorsichtsma߬
regeln. Sie verfolgen das einmal beschlvssne Ziel mit einer Zähigkeit, wie
sie sonst nur der in der Schule des Lebens gestählten Willenskraft zu eigen ist.

Der rohe Cynismus des Hauptthäters K. trat auch noch weiter bei seinem
Verhalten nach der That hervor. Auf die Frage seiner Schwester, was er
denn eigentlich gethan habe, daß ihn die Polizei verfolge, erwiderte er: Was
wirds denn weiter sein, ich habe eine alte Frau ermordet! und auf die in der
Verhandlung an ihn gerichtete Frage des Vorsitzenden, ob er einräume, die
Frau B. ermordet zu haben, antwortet er mit einem fast höhnisch klingenden
frechen: Jawohl! Rechnet man weiter hinzu die Niedrigkeit des Beweggrundes,
Habsucht im Bunde mit Vergnügungssucht — man ermordet einen Menschen,
um einen Maskenball mitmachen zu können! —, so ergiebt sich hier eine Summe
menschlicher Lasterhaftigkeit, wie sie sich in solcher Häufung wohl selten zu¬
sammenfinden wird.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290004"/>
          <fw type="header" place="top"> Mo soll das hinaus?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_656" prev="#ID_655"> sich mit Schuhen und einer Mütze und geht in eine Wirtschaft, wo er einen<lb/>
Teil des geraubten Geldes vertrinkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_657"> Was wir hier erzählen, ist nicht eine Episode aus einem Kriminalrvman,<lb/>
nicht das Ereignis dichtender Phantasie, es beruht Satz für Satz auf akten-<lb/>
müßigen Unterlagen. Traugott K. wurde in der öffentlichen Sitzung des<lb/>
Landgerichts zu Gera um 26. Mai 1891 wegen Mordes zu fünfzehn Jahren<lb/>
Gefängnis verurteilt, sein Genosse N. wegen Versuchs der Mitthätcrschaft zu<lb/>
einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und G. wegen unterlassener Anzeige<lb/>
eines geplanten Mordes (Z 139 des Strafgesetzbuches) zu sechs Monaten Ge¬<lb/>
fängnis. K. stellte den Mord lange Zeit hartnäckig in Abrede, indem er deu<lb/>
G. als Mörder bezeichnete. Die starke Belastung, die die aufgefundnen Schuhe<lb/>
und der Hut boten, suchte er dadurch zu beseitigen, daß er behauptete, G.<lb/>
habe Sachen von ihm geborgt, um die Entdeckung zu erschweren. G. saß<lb/>
deshalb längere Zeit in Untersuchungshaft, bis einige dem K. abgenommene<lb/>
Kassiber und das Geständnis des N. den K. in eine Lage brachten, wo er<lb/>
mit dem Eingestündnisse der That nicht länger zurückhalten konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_658"> Die Bedeutung, die der Fall in Anspruch nimmt, liegt nicht in seiner<lb/>
juristischen Seite, sondern in dem Umstände, daß die in dem blutigen Drama<lb/>
handelnd auftretenden Teilnehmer lauter der Schule kaum entwachsene, teilweise<lb/>
sogar noch schulpflichtige Jungen sind, Jungen, die in einem solchen Alter<lb/>
das schwerste aller Verbrechen, die mit Vorbedacht und Überlegung vollzogene<lb/>
Ermordung eines Menschen ausgeführt und zwar in einer Weise ausgeführt<lb/>
haben, als ob sichs um ein jugendliches Spiel handelte. Sie handeln dabei mit<lb/>
der planmäßigen Umsicht eines in einer langen Verbrccherlanfbahn ergrauten<lb/>
Verbrechers. Sie gehen an die Ausführung mit dem kalten Blute eines gegen<lb/>
alles menschliche Gefühl und alle Regungen des Herzens abgestumpften pro¬<lb/>
fessionsmüßigen Mörders. Sie verraten eine genane Kenntnis der straf¬<lb/>
gesetzlichen Bestimmungen und der deshalb zu beobachtenden Vorsichtsma߬<lb/>
regeln. Sie verfolgen das einmal beschlvssne Ziel mit einer Zähigkeit, wie<lb/>
sie sonst nur der in der Schule des Lebens gestählten Willenskraft zu eigen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_659"> Der rohe Cynismus des Hauptthäters K. trat auch noch weiter bei seinem<lb/>
Verhalten nach der That hervor. Auf die Frage seiner Schwester, was er<lb/>
denn eigentlich gethan habe, daß ihn die Polizei verfolge, erwiderte er: Was<lb/>
wirds denn weiter sein, ich habe eine alte Frau ermordet! und auf die in der<lb/>
Verhandlung an ihn gerichtete Frage des Vorsitzenden, ob er einräume, die<lb/>
Frau B. ermordet zu haben, antwortet er mit einem fast höhnisch klingenden<lb/>
frechen: Jawohl! Rechnet man weiter hinzu die Niedrigkeit des Beweggrundes,<lb/>
Habsucht im Bunde mit Vergnügungssucht &#x2014; man ermordet einen Menschen,<lb/>
um einen Maskenball mitmachen zu können! &#x2014;, so ergiebt sich hier eine Summe<lb/>
menschlicher Lasterhaftigkeit, wie sie sich in solcher Häufung wohl selten zu¬<lb/>
sammenfinden wird.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] Mo soll das hinaus? sich mit Schuhen und einer Mütze und geht in eine Wirtschaft, wo er einen Teil des geraubten Geldes vertrinkt. Was wir hier erzählen, ist nicht eine Episode aus einem Kriminalrvman, nicht das Ereignis dichtender Phantasie, es beruht Satz für Satz auf akten- müßigen Unterlagen. Traugott K. wurde in der öffentlichen Sitzung des Landgerichts zu Gera um 26. Mai 1891 wegen Mordes zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt, sein Genosse N. wegen Versuchs der Mitthätcrschaft zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und G. wegen unterlassener Anzeige eines geplanten Mordes (Z 139 des Strafgesetzbuches) zu sechs Monaten Ge¬ fängnis. K. stellte den Mord lange Zeit hartnäckig in Abrede, indem er deu G. als Mörder bezeichnete. Die starke Belastung, die die aufgefundnen Schuhe und der Hut boten, suchte er dadurch zu beseitigen, daß er behauptete, G. habe Sachen von ihm geborgt, um die Entdeckung zu erschweren. G. saß deshalb längere Zeit in Untersuchungshaft, bis einige dem K. abgenommene Kassiber und das Geständnis des N. den K. in eine Lage brachten, wo er mit dem Eingestündnisse der That nicht länger zurückhalten konnte. Die Bedeutung, die der Fall in Anspruch nimmt, liegt nicht in seiner juristischen Seite, sondern in dem Umstände, daß die in dem blutigen Drama handelnd auftretenden Teilnehmer lauter der Schule kaum entwachsene, teilweise sogar noch schulpflichtige Jungen sind, Jungen, die in einem solchen Alter das schwerste aller Verbrechen, die mit Vorbedacht und Überlegung vollzogene Ermordung eines Menschen ausgeführt und zwar in einer Weise ausgeführt haben, als ob sichs um ein jugendliches Spiel handelte. Sie handeln dabei mit der planmäßigen Umsicht eines in einer langen Verbrccherlanfbahn ergrauten Verbrechers. Sie gehen an die Ausführung mit dem kalten Blute eines gegen alles menschliche Gefühl und alle Regungen des Herzens abgestumpften pro¬ fessionsmüßigen Mörders. Sie verraten eine genane Kenntnis der straf¬ gesetzlichen Bestimmungen und der deshalb zu beobachtenden Vorsichtsma߬ regeln. Sie verfolgen das einmal beschlvssne Ziel mit einer Zähigkeit, wie sie sonst nur der in der Schule des Lebens gestählten Willenskraft zu eigen ist. Der rohe Cynismus des Hauptthäters K. trat auch noch weiter bei seinem Verhalten nach der That hervor. Auf die Frage seiner Schwester, was er denn eigentlich gethan habe, daß ihn die Polizei verfolge, erwiderte er: Was wirds denn weiter sein, ich habe eine alte Frau ermordet! und auf die in der Verhandlung an ihn gerichtete Frage des Vorsitzenden, ob er einräume, die Frau B. ermordet zu haben, antwortet er mit einem fast höhnisch klingenden frechen: Jawohl! Rechnet man weiter hinzu die Niedrigkeit des Beweggrundes, Habsucht im Bunde mit Vergnügungssucht — man ermordet einen Menschen, um einen Maskenball mitmachen zu können! —, so ergiebt sich hier eine Summe menschlicher Lasterhaftigkeit, wie sie sich in solcher Häufung wohl selten zu¬ sammenfinden wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/236>, abgerufen am 26.08.2024.