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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Jahrhundert, zogen fromme Kaiser die römische Klerisei ans einem Sumpfe
heidnischer Laster heraus, worin sie beinahe untergegangen wäre, reformirten
sie und verhalfen ihr wieder zu Ansehen und Macht. Die Hierarchie milderte
die Sitten, indem sie die milden Grundsätze des Evangeliums verkündigte,
wenn sie selbst ihnen auch oft genug durch barbarische Behandlung ihrer
Gegner ins Gesicht schlug, und das Kaisertum hielt mitten unter wilden
Partei- und Dhnastenknmpfen die Ideen des Rechtsstaats und der bürgerlichen
Ordnung aufrecht, wenn es anch in der Wirklichkeit oft genng nur die Un¬
ordnung beförderte. Der christliche Missionsgeist wirkte als mächtiger Sporn
zur Germanisirung des slawischen Ostens mit, leistete bei dem großartigen
Kvlonisativnswerke unsrer Väter die wichtigsten Dienste und hat zuletzt noch
im hohen Nordosten dem spätern preußischen Königtnme, also auch unserm
heutigen deutschen Reiche die Grundlage bereitet. Und hat die große Bewegung
der Kreuzzüge, in die sich die europäischen Völker von der Hierarchie hinein¬
locken ließen, den großen Zweck nicht erreicht, für den sie klar sehende Politiker,
wenn es welche gegeben hätte, verwendet haben würden, nämlich der vor¬
dringenden Türkeumacht einen Riegel vorzuschieben, so hat sie doch das euro¬
päische Leben in mannigfacher Weise befruchtet.

Eben um das Jahr 1300 aber ward es offenbar, daß die Völker dieser
Vormundschaft entwachsen waren. Ihr Gewerbe, ihre Politik, ihre Kunst,
ihre Wissenschaft begannen sich jedes auf seine eignen Füße zu stellen. Auch
die Nationnlgeister, obwohl noch unfertig, regten sich schon. Der Gegensatz
zwischen Papsttum und Kaisertum trat zurück hinter dem Gegensatze beider
idealen Gewalten gegen die aufstrebenden realen und partikularen Interessen
der mannigfachsten Art. Ihre Obergewalt vermochten jene beiden um so
weniger zu behaupten, als sie nach dem Tode des siebenten Heinrich ihrer
Idee gerade in dem wesentlichsten Stücke, in der Universalität, untreu wurden.
Der Papst ward zuerst zu einem Werkzeuge der französischen Politik und dann
zum Fürsten eines italienischen Kleinstaats erniedrigt, und das Kaisertum ver¬
schwand hinter der habsburgischen Monarchie, die in den letzten Jahrhunderten
allein noch seinem Schattendasein einen körperlichen Inhalt lieh. Nichts war
natürlicher, als daß sich von da ab Kaisertum und Papsttum im allgemeinen
besser vertrugen als vordem; sie hatten die ganze Welt zu Feinden und waren
einander gegenseitig nur wenig mehr im Wege. Es ist wahr, daß die Habs¬
burger in der Zeit der Religionskriege noch ihre besondern, ganz und gar
uicht idealen Gründe hatten, sich die Päpste als schützenswerte Bundesgenossen
zu Freunden zu erhalten; aber eben aus diesen besondern Verhältnissen, daß
der Kaiser das Haupt des spanisch-habsburgischen Hauses und der Papst ein
italienischer Fürst war, entsprangen auch die gelegentlichen Konflikte zwischen
beiden, nicht wie früher aus dem unlöslichen Widerspruche zwischen den päpst¬
lichen und kaiserlichen Ansprüchen. Als kurz vor den: Erlöschen des ehr-


Greuzbotm 111 18SI 27

Jahrhundert, zogen fromme Kaiser die römische Klerisei ans einem Sumpfe
heidnischer Laster heraus, worin sie beinahe untergegangen wäre, reformirten
sie und verhalfen ihr wieder zu Ansehen und Macht. Die Hierarchie milderte
die Sitten, indem sie die milden Grundsätze des Evangeliums verkündigte,
wenn sie selbst ihnen auch oft genug durch barbarische Behandlung ihrer
Gegner ins Gesicht schlug, und das Kaisertum hielt mitten unter wilden
Partei- und Dhnastenknmpfen die Ideen des Rechtsstaats und der bürgerlichen
Ordnung aufrecht, wenn es anch in der Wirklichkeit oft genng nur die Un¬
ordnung beförderte. Der christliche Missionsgeist wirkte als mächtiger Sporn
zur Germanisirung des slawischen Ostens mit, leistete bei dem großartigen
Kvlonisativnswerke unsrer Väter die wichtigsten Dienste und hat zuletzt noch
im hohen Nordosten dem spätern preußischen Königtnme, also auch unserm
heutigen deutschen Reiche die Grundlage bereitet. Und hat die große Bewegung
der Kreuzzüge, in die sich die europäischen Völker von der Hierarchie hinein¬
locken ließen, den großen Zweck nicht erreicht, für den sie klar sehende Politiker,
wenn es welche gegeben hätte, verwendet haben würden, nämlich der vor¬
dringenden Türkeumacht einen Riegel vorzuschieben, so hat sie doch das euro¬
päische Leben in mannigfacher Weise befruchtet.

Eben um das Jahr 1300 aber ward es offenbar, daß die Völker dieser
Vormundschaft entwachsen waren. Ihr Gewerbe, ihre Politik, ihre Kunst,
ihre Wissenschaft begannen sich jedes auf seine eignen Füße zu stellen. Auch
die Nationnlgeister, obwohl noch unfertig, regten sich schon. Der Gegensatz
zwischen Papsttum und Kaisertum trat zurück hinter dem Gegensatze beider
idealen Gewalten gegen die aufstrebenden realen und partikularen Interessen
der mannigfachsten Art. Ihre Obergewalt vermochten jene beiden um so
weniger zu behaupten, als sie nach dem Tode des siebenten Heinrich ihrer
Idee gerade in dem wesentlichsten Stücke, in der Universalität, untreu wurden.
Der Papst ward zuerst zu einem Werkzeuge der französischen Politik und dann
zum Fürsten eines italienischen Kleinstaats erniedrigt, und das Kaisertum ver¬
schwand hinter der habsburgischen Monarchie, die in den letzten Jahrhunderten
allein noch seinem Schattendasein einen körperlichen Inhalt lieh. Nichts war
natürlicher, als daß sich von da ab Kaisertum und Papsttum im allgemeinen
besser vertrugen als vordem; sie hatten die ganze Welt zu Feinden und waren
einander gegenseitig nur wenig mehr im Wege. Es ist wahr, daß die Habs¬
burger in der Zeit der Religionskriege noch ihre besondern, ganz und gar
uicht idealen Gründe hatten, sich die Päpste als schützenswerte Bundesgenossen
zu Freunden zu erhalten; aber eben aus diesen besondern Verhältnissen, daß
der Kaiser das Haupt des spanisch-habsburgischen Hauses und der Papst ein
italienischer Fürst war, entsprangen auch die gelegentlichen Konflikte zwischen
beiden, nicht wie früher aus dem unlöslichen Widerspruche zwischen den päpst¬
lichen und kaiserlichen Ansprüchen. Als kurz vor den: Erlöschen des ehr-


Greuzbotm 111 18SI 27
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[0217] Jahrhundert, zogen fromme Kaiser die römische Klerisei ans einem Sumpfe heidnischer Laster heraus, worin sie beinahe untergegangen wäre, reformirten sie und verhalfen ihr wieder zu Ansehen und Macht. Die Hierarchie milderte die Sitten, indem sie die milden Grundsätze des Evangeliums verkündigte, wenn sie selbst ihnen auch oft genug durch barbarische Behandlung ihrer Gegner ins Gesicht schlug, und das Kaisertum hielt mitten unter wilden Partei- und Dhnastenknmpfen die Ideen des Rechtsstaats und der bürgerlichen Ordnung aufrecht, wenn es anch in der Wirklichkeit oft genng nur die Un¬ ordnung beförderte. Der christliche Missionsgeist wirkte als mächtiger Sporn zur Germanisirung des slawischen Ostens mit, leistete bei dem großartigen Kvlonisativnswerke unsrer Väter die wichtigsten Dienste und hat zuletzt noch im hohen Nordosten dem spätern preußischen Königtnme, also auch unserm heutigen deutschen Reiche die Grundlage bereitet. Und hat die große Bewegung der Kreuzzüge, in die sich die europäischen Völker von der Hierarchie hinein¬ locken ließen, den großen Zweck nicht erreicht, für den sie klar sehende Politiker, wenn es welche gegeben hätte, verwendet haben würden, nämlich der vor¬ dringenden Türkeumacht einen Riegel vorzuschieben, so hat sie doch das euro¬ päische Leben in mannigfacher Weise befruchtet. Eben um das Jahr 1300 aber ward es offenbar, daß die Völker dieser Vormundschaft entwachsen waren. Ihr Gewerbe, ihre Politik, ihre Kunst, ihre Wissenschaft begannen sich jedes auf seine eignen Füße zu stellen. Auch die Nationnlgeister, obwohl noch unfertig, regten sich schon. Der Gegensatz zwischen Papsttum und Kaisertum trat zurück hinter dem Gegensatze beider idealen Gewalten gegen die aufstrebenden realen und partikularen Interessen der mannigfachsten Art. Ihre Obergewalt vermochten jene beiden um so weniger zu behaupten, als sie nach dem Tode des siebenten Heinrich ihrer Idee gerade in dem wesentlichsten Stücke, in der Universalität, untreu wurden. Der Papst ward zuerst zu einem Werkzeuge der französischen Politik und dann zum Fürsten eines italienischen Kleinstaats erniedrigt, und das Kaisertum ver¬ schwand hinter der habsburgischen Monarchie, die in den letzten Jahrhunderten allein noch seinem Schattendasein einen körperlichen Inhalt lieh. Nichts war natürlicher, als daß sich von da ab Kaisertum und Papsttum im allgemeinen besser vertrugen als vordem; sie hatten die ganze Welt zu Feinden und waren einander gegenseitig nur wenig mehr im Wege. Es ist wahr, daß die Habs¬ burger in der Zeit der Religionskriege noch ihre besondern, ganz und gar uicht idealen Gründe hatten, sich die Päpste als schützenswerte Bundesgenossen zu Freunden zu erhalten; aber eben aus diesen besondern Verhältnissen, daß der Kaiser das Haupt des spanisch-habsburgischen Hauses und der Papst ein italienischer Fürst war, entsprangen auch die gelegentlichen Konflikte zwischen beiden, nicht wie früher aus dem unlöslichen Widerspruche zwischen den päpst¬ lichen und kaiserlichen Ansprüchen. Als kurz vor den: Erlöschen des ehr- Greuzbotm 111 18SI 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/217>, abgerufen am 26.08.2024.