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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

gehoben: "Sogar seiue Feinde werden sich seines Preises nicht enthalten
können" (l^rü-also XVII, 85). Aber immerhin! Man denke sich den tadel¬
losesten und ausgezeichnetsten aller Menschen als Eroberer in einem beliebigen
von Parteien zerrissenen Lande der Gegenwart und male sich aus, wie die
Zeitungsberichte, die Aufsatze in den Zeitschriften, die Urteile der mitlebenden
Geschichtschreiber ausfallen werden! Möchten solche, die an den stetigen Fort¬
schritt der Moral glauben, die zahlreichen Berichte von Gegnern Heinrichs
lesen und diese Haltung der damaligen Italiener unsern heutigen Gewohn¬
heiten vergleichen! Die Florentiner sind die einzigen, die ihn in ihren amtlichen
Schreiben einen grausamen Tyrannen nennen; aber eine Verleumdung, eine
Auschwürznng des Privatcharakters Heinrichs in Dingen, die nicht mit dem
Feldzuge zusammenhängen, kommt doch auch in ihren Schreiben nicht vor.
Ihr Mitbürger Villani, ein aufrichtiger Guelfe, ist gleich den übrigen Chro¬
nisten der Zeit voll des Preises für Heinrich.

Freilich sind die Menschen jener Zeit ohne Unterschied der Nationalität
überhaupt noch naiv und treuherzig. In den Chroniken ist noch nichts
Nationnlitalieuisches zu spüren; ein deutscher Mönch oder Stadtschreiber würde
sie um kein Haar anders geschrieben haben. Gewisse nationale Eigentümlich¬
keiten, und zwar gerade die unaugenehmeren, scheinen sich erst entwickelt zu
haben, nachdem die Kabinettspolitik künstliche Scheidewände zwischen den
Völkern aufgerichtet und jeder Fürst die ihm nicht zusagenden Elemente aus
seinem eignen Volke gewaltsam ausgetrieben hatte. Hartpole Leckh macht die
vollkommen richtige Bemerkung, daß manche Charaktereigenschaften, die der
Deutsche als spezifisch deutsch zu preisen gewohnt ist, wie Gedankentiefe und
Sittenstrenge, bei manchen Ausländern früherer Zeit, wie bei Dante und bei
den französischen Hugenotten, deutlicher ausgeprägt vorkommen als bei der
Masse des heutigen deutschen Volkes.

Der Universalkaiscr und die Uuiversalkirche waren in ihrer nur ausnahms¬
weise friedlichen Ehe der Selbsterziehung ihrer Kinder, der europäischen Völker,
mit gutem Erfolg zu Hilfe gekommen. Die Glaubensboten brachten den nor¬
dischen Völkern mit dem Evangelium allerlei weltliche Kunstfertigkeit, Über¬
reste alter Kultur, vor allem das Buchstabenwesen, diese unerläßliche Grund¬
lage höherer Bildung. Zuerst von den Benediktinerklöstern, dann von den
italienischen Städten aus brach sich auch im Norden die Anschauung Bahn,
daß die Arbeit den freien Mann nicht Schande, und daß Krieg, Jagd und
Würfelspiel beim Trinkgelage keineswegs die einzigen seiner würdigen Be¬
schäftigungen seien. Das Imperium kam dem Sacerdotium zu Hilfe, wo dieses
des weltlichen Armes bedürfte, um den Grundsätzen des Christentums, später
freilich zuweilen auch um den unchristlichen Ansprüchen einer übermütig ge¬
wordenen Hierarchie Geltung zu verschaffen. Zweimal, im zehnten und elften


Geschichtsphilosophische Gedanken

gehoben: „Sogar seiue Feinde werden sich seines Preises nicht enthalten
können" (l^rü-also XVII, 85). Aber immerhin! Man denke sich den tadel¬
losesten und ausgezeichnetsten aller Menschen als Eroberer in einem beliebigen
von Parteien zerrissenen Lande der Gegenwart und male sich aus, wie die
Zeitungsberichte, die Aufsatze in den Zeitschriften, die Urteile der mitlebenden
Geschichtschreiber ausfallen werden! Möchten solche, die an den stetigen Fort¬
schritt der Moral glauben, die zahlreichen Berichte von Gegnern Heinrichs
lesen und diese Haltung der damaligen Italiener unsern heutigen Gewohn¬
heiten vergleichen! Die Florentiner sind die einzigen, die ihn in ihren amtlichen
Schreiben einen grausamen Tyrannen nennen; aber eine Verleumdung, eine
Auschwürznng des Privatcharakters Heinrichs in Dingen, die nicht mit dem
Feldzuge zusammenhängen, kommt doch auch in ihren Schreiben nicht vor.
Ihr Mitbürger Villani, ein aufrichtiger Guelfe, ist gleich den übrigen Chro¬
nisten der Zeit voll des Preises für Heinrich.

Freilich sind die Menschen jener Zeit ohne Unterschied der Nationalität
überhaupt noch naiv und treuherzig. In den Chroniken ist noch nichts
Nationnlitalieuisches zu spüren; ein deutscher Mönch oder Stadtschreiber würde
sie um kein Haar anders geschrieben haben. Gewisse nationale Eigentümlich¬
keiten, und zwar gerade die unaugenehmeren, scheinen sich erst entwickelt zu
haben, nachdem die Kabinettspolitik künstliche Scheidewände zwischen den
Völkern aufgerichtet und jeder Fürst die ihm nicht zusagenden Elemente aus
seinem eignen Volke gewaltsam ausgetrieben hatte. Hartpole Leckh macht die
vollkommen richtige Bemerkung, daß manche Charaktereigenschaften, die der
Deutsche als spezifisch deutsch zu preisen gewohnt ist, wie Gedankentiefe und
Sittenstrenge, bei manchen Ausländern früherer Zeit, wie bei Dante und bei
den französischen Hugenotten, deutlicher ausgeprägt vorkommen als bei der
Masse des heutigen deutschen Volkes.

Der Universalkaiscr und die Uuiversalkirche waren in ihrer nur ausnahms¬
weise friedlichen Ehe der Selbsterziehung ihrer Kinder, der europäischen Völker,
mit gutem Erfolg zu Hilfe gekommen. Die Glaubensboten brachten den nor¬
dischen Völkern mit dem Evangelium allerlei weltliche Kunstfertigkeit, Über¬
reste alter Kultur, vor allem das Buchstabenwesen, diese unerläßliche Grund¬
lage höherer Bildung. Zuerst von den Benediktinerklöstern, dann von den
italienischen Städten aus brach sich auch im Norden die Anschauung Bahn,
daß die Arbeit den freien Mann nicht Schande, und daß Krieg, Jagd und
Würfelspiel beim Trinkgelage keineswegs die einzigen seiner würdigen Be¬
schäftigungen seien. Das Imperium kam dem Sacerdotium zu Hilfe, wo dieses
des weltlichen Armes bedürfte, um den Grundsätzen des Christentums, später
freilich zuweilen auch um den unchristlichen Ansprüchen einer übermütig ge¬
wordenen Hierarchie Geltung zu verschaffen. Zweimal, im zehnten und elften


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[0216] Geschichtsphilosophische Gedanken gehoben: „Sogar seiue Feinde werden sich seines Preises nicht enthalten können" (l^rü-also XVII, 85). Aber immerhin! Man denke sich den tadel¬ losesten und ausgezeichnetsten aller Menschen als Eroberer in einem beliebigen von Parteien zerrissenen Lande der Gegenwart und male sich aus, wie die Zeitungsberichte, die Aufsatze in den Zeitschriften, die Urteile der mitlebenden Geschichtschreiber ausfallen werden! Möchten solche, die an den stetigen Fort¬ schritt der Moral glauben, die zahlreichen Berichte von Gegnern Heinrichs lesen und diese Haltung der damaligen Italiener unsern heutigen Gewohn¬ heiten vergleichen! Die Florentiner sind die einzigen, die ihn in ihren amtlichen Schreiben einen grausamen Tyrannen nennen; aber eine Verleumdung, eine Auschwürznng des Privatcharakters Heinrichs in Dingen, die nicht mit dem Feldzuge zusammenhängen, kommt doch auch in ihren Schreiben nicht vor. Ihr Mitbürger Villani, ein aufrichtiger Guelfe, ist gleich den übrigen Chro¬ nisten der Zeit voll des Preises für Heinrich. Freilich sind die Menschen jener Zeit ohne Unterschied der Nationalität überhaupt noch naiv und treuherzig. In den Chroniken ist noch nichts Nationnlitalieuisches zu spüren; ein deutscher Mönch oder Stadtschreiber würde sie um kein Haar anders geschrieben haben. Gewisse nationale Eigentümlich¬ keiten, und zwar gerade die unaugenehmeren, scheinen sich erst entwickelt zu haben, nachdem die Kabinettspolitik künstliche Scheidewände zwischen den Völkern aufgerichtet und jeder Fürst die ihm nicht zusagenden Elemente aus seinem eignen Volke gewaltsam ausgetrieben hatte. Hartpole Leckh macht die vollkommen richtige Bemerkung, daß manche Charaktereigenschaften, die der Deutsche als spezifisch deutsch zu preisen gewohnt ist, wie Gedankentiefe und Sittenstrenge, bei manchen Ausländern früherer Zeit, wie bei Dante und bei den französischen Hugenotten, deutlicher ausgeprägt vorkommen als bei der Masse des heutigen deutschen Volkes. Der Universalkaiscr und die Uuiversalkirche waren in ihrer nur ausnahms¬ weise friedlichen Ehe der Selbsterziehung ihrer Kinder, der europäischen Völker, mit gutem Erfolg zu Hilfe gekommen. Die Glaubensboten brachten den nor¬ dischen Völkern mit dem Evangelium allerlei weltliche Kunstfertigkeit, Über¬ reste alter Kultur, vor allem das Buchstabenwesen, diese unerläßliche Grund¬ lage höherer Bildung. Zuerst von den Benediktinerklöstern, dann von den italienischen Städten aus brach sich auch im Norden die Anschauung Bahn, daß die Arbeit den freien Mann nicht Schande, und daß Krieg, Jagd und Würfelspiel beim Trinkgelage keineswegs die einzigen seiner würdigen Be¬ schäftigungen seien. Das Imperium kam dem Sacerdotium zu Hilfe, wo dieses des weltlichen Armes bedürfte, um den Grundsätzen des Christentums, später freilich zuweilen auch um den unchristlichen Ansprüchen einer übermütig ge¬ wordenen Hierarchie Geltung zu verschaffen. Zweimal, im zehnten und elften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/216>, abgerufen am 26.08.2024.