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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ans dänischer Zeit

wenn ich bloß ruhig mit ihm nach Haus gehe" wollte. Und ein Ring
mit ein roten Stein hat er mich ans die Stelle an den Finger gesteckt, weil
der mich ümmer so in die Augen gestochen hatte, und so bin ich denu mit
ihm still weggegangen und in seine Wohnung, wozu ich ein Slüssel hatte. Da
hat mein Varon in die Dachkammer geslafen, wo ich sonst loschirte, und ich
hab mir nnfn Sofa in sein beste Stube hinlegen müssen, daß es so aussah,
als wenn ich den großen Herrn spielen wollte. Der Baron is zweimal in ein
blauen Kittel mit'n Mütze auf'u Kopf ausgegangen, das heißt den andern Tag,
und am zweiten Morgen sind wir beide zu Fuß aus die Stadt gewandert,
und wir hatten Kleider an, die ich nich gern mit ein Feuerzange hätte an¬
fassen mögen!"

Mahlmann schwieg und rieb sein linkes Knie. "Was ich doch ümmer
füm Reißmichtismns hab! Und in Julimvnat! Aber das kommt davon, wenn
mau ein büschen in die Jahreus kommt. Neunzig sind es ja woll; was aber
mein Großvater sein Tante war, die is weit in die Hunderte gekommen und
is bloß gestorben, weil sie bein Sweineslachten zu viel gegessen hat!"

Er seufzte und nickte dabei. "Einmal müssen wir alle in die Erde; aber
komisch is es doch, daß es so verschieden is. Das Sterben nämlich. Nu
bin ich alt, und damals, als ich so am frühen Morgen durch Pries lief mit
'uem Lumpensack aufn Rücken und mein Baron gerade so aufgetakelt, so dachte ich
zu allererst in mein Leben an den Tod, was doch eigentlich kein Gedanken
füm halben Jungen is. Das kam auch man bloß davon, daß uns die Karrens
vorbeifuhren, wo die Aristvkratens einsaßen, denen der Kopp abgeslagen werden
sollte. Ich hatte die alten Karrens schon oft fahren sehen und mich natürliche-
weise gnrnix dabei gedacht, weil es ja gut war, daß die seinen Moschus und
Madams aus die Welt kamen; aber diesmal verfiehrte ich mir doch, weil die
lütte Mamsell mit auf eiuen von die alten stößigen Wagens saß. Und was
das vollste war, sie hatte meinen Konfirmatschonscmzug noch an und sah aus
wie ein kleinen ündlicher Jungen. Und sie hatte die Hände gefaltet und sah
aus, als wenn sie zum heiligen Abendmahl wollte. Da waren wenig Men¬
schen in die Straße, weil es so früh am Morgen war, und ich wollte gerade
den Mund aufthun und schreien, daß die Mamsell meinen swarzen Anzug noch
anhatte, und daß sie mich den wiedergeben sollte, da legt mein Baron mich
die Hand auf den Mund, daß ich beinah sticken muß. Gottsdvnnerwetter,
was hat er mir gedrückt; aber man bloß ein kleinen Augenblick; dann hat er
mit einemmale alle Kraft verloren und hat stockstill gestanden und angefangen
zu zittern. Und das is davon gekommen, weil er die kleine Manon angesehen
hat und sie ihn. Da is so'n Lächeln über ihr Gesicht gegangen, und sie hat
den Kopf ein büschen vornüber geneigt, und dann is der Karren rasch weiter
gefahren. Mein Herr aber hat woll 'ne Viertelstunde auf einem Fleck ge¬
standen, und die dicken Thränen sind ihm über die Backen gelaufen. "Ein


Ans dänischer Zeit

wenn ich bloß ruhig mit ihm nach Haus gehe» wollte. Und ein Ring
mit ein roten Stein hat er mich ans die Stelle an den Finger gesteckt, weil
der mich ümmer so in die Augen gestochen hatte, und so bin ich denu mit
ihm still weggegangen und in seine Wohnung, wozu ich ein Slüssel hatte. Da
hat mein Varon in die Dachkammer geslafen, wo ich sonst loschirte, und ich
hab mir nnfn Sofa in sein beste Stube hinlegen müssen, daß es so aussah,
als wenn ich den großen Herrn spielen wollte. Der Baron is zweimal in ein
blauen Kittel mit'n Mütze auf'u Kopf ausgegangen, das heißt den andern Tag,
und am zweiten Morgen sind wir beide zu Fuß aus die Stadt gewandert,
und wir hatten Kleider an, die ich nich gern mit ein Feuerzange hätte an¬
fassen mögen!"

Mahlmann schwieg und rieb sein linkes Knie. „Was ich doch ümmer
füm Reißmichtismns hab! Und in Julimvnat! Aber das kommt davon, wenn
mau ein büschen in die Jahreus kommt. Neunzig sind es ja woll; was aber
mein Großvater sein Tante war, die is weit in die Hunderte gekommen und
is bloß gestorben, weil sie bein Sweineslachten zu viel gegessen hat!"

Er seufzte und nickte dabei. „Einmal müssen wir alle in die Erde; aber
komisch is es doch, daß es so verschieden is. Das Sterben nämlich. Nu
bin ich alt, und damals, als ich so am frühen Morgen durch Pries lief mit
'uem Lumpensack aufn Rücken und mein Baron gerade so aufgetakelt, so dachte ich
zu allererst in mein Leben an den Tod, was doch eigentlich kein Gedanken
füm halben Jungen is. Das kam auch man bloß davon, daß uns die Karrens
vorbeifuhren, wo die Aristvkratens einsaßen, denen der Kopp abgeslagen werden
sollte. Ich hatte die alten Karrens schon oft fahren sehen und mich natürliche-
weise gnrnix dabei gedacht, weil es ja gut war, daß die seinen Moschus und
Madams aus die Welt kamen; aber diesmal verfiehrte ich mir doch, weil die
lütte Mamsell mit auf eiuen von die alten stößigen Wagens saß. Und was
das vollste war, sie hatte meinen Konfirmatschonscmzug noch an und sah aus
wie ein kleinen ündlicher Jungen. Und sie hatte die Hände gefaltet und sah
aus, als wenn sie zum heiligen Abendmahl wollte. Da waren wenig Men¬
schen in die Straße, weil es so früh am Morgen war, und ich wollte gerade
den Mund aufthun und schreien, daß die Mamsell meinen swarzen Anzug noch
anhatte, und daß sie mich den wiedergeben sollte, da legt mein Baron mich
die Hand auf den Mund, daß ich beinah sticken muß. Gottsdvnnerwetter,
was hat er mir gedrückt; aber man bloß ein kleinen Augenblick; dann hat er
mit einemmale alle Kraft verloren und hat stockstill gestanden und angefangen
zu zittern. Und das is davon gekommen, weil er die kleine Manon angesehen
hat und sie ihn. Da is so'n Lächeln über ihr Gesicht gegangen, und sie hat
den Kopf ein büschen vornüber geneigt, und dann is der Karren rasch weiter
gefahren. Mein Herr aber hat woll 'ne Viertelstunde auf einem Fleck ge¬
standen, und die dicken Thränen sind ihm über die Backen gelaufen. »Ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/190>, abgerufen am 26.08.2024.