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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aber in einer Zeit, wo sich die Gesetzgebung aller sozialen Fragen bemächtigt
und bestrebt ist. den Arbeiter sittlich zu heben, die Fra"e" und Mädchen vor
unberechtigter Ausbeutung im industriellen Leben zu schützen und dem Familien¬
leben des armen Mannes Achtung zu erweisen, kann ein gesellschaftlicher
Zustand, wie er im allgemeinen am Theater herrscht, nicht gleichgiltig sem.
Denn die gemeine Vertraulichkeit des Theaterlebeus ist nicht harmlos, sie be¬
schränkt sich nicht auf einen burschikosen Verkehr der Männer unter einander,
sondern sie trägt eine besondre Signatur, und diese heißt: die Herabwürdigung
des weiblichem Geschlechts. Diese Herabwürdigung besteht aber nicht etwa
darin, daß sich im Theaterleben zwischen den beiden Geschlechtern der günstigen
Gelegenheit halber leichter Liebesverhältnisse bilden und durch deu unerbitt-
lichen Wechsel der Engagements wider den Willen der Beteiligten auch häufiger
wieder lösen, als im gewöhnlichen Leben. So lange es sich um wirkliche
Neigung handelt, bleibt die Reinheit des Herzens gewahrt, und wenn uuter
schwierigen Verhältnissen die Besonnenheit gegen die Sophistik der Liebe acht
Stand zu halte" vermag, so ist das erklärlich und verzeihlich. Wenn
über das Weib die Möglichkeit, i" seiner Kunst zur Geltung zu kommeu. und
seiner Ehre bezahlen muß. wie es thatsächlich vielfach der Fall ist, so ist das
himmelschreiend.

Eine Künstlerin wird, namentlich wenn sie jung, schön und ""verheiratet
ist, alsbald von allen Seiten umworben. Kavaliere ans den Reihen des
Publikums schicken während der Vorstellung prachtvolle Blumeustrüuße in die
Garderobe. Der erste Pflegt ohne Namen zu sein; der Absender erkundigt sich
aber unter der Hand, ob und wie er aufgenommen worden ist, und wenn die
Ailsknnft befriedigend taillee, dann folgt bei der nächste" Gelegeicheit el" zweiter
mit einem Briefchen. In dem Briefchen stehen glühende Anerkennungen für die
wundervollen Leistungen der Dame und die Versicherung, daß es der Absender
für das größte Glück seines Lebens halten würde, wenn ihm gestattet wäre,
seine Huldigungen der Gefeierten persönlich zu Füße" zu legen. Dann folgt die
Bitte, die Dame mög eine Blume des übersandten Straußes bei der nächste"
Vorstellung anstecken, zum Zeichen, daß der Absender nicht ganz ohne Hoff¬
nung sei u. s. w.

Wenn nun auch diese Annäherungsversuche wegen ihrer geschickten Be¬
rechnung auf die Eitelkeit junger Damen etwas Verlockendes haben, so sind sie
doch die ungefährlichsten, weil man ihnen Einhalt zu thun vermag, weil" man
sie beharrlich unbeachtet läßt, und weil die Damen, die als unverdorbene Mädchen
aus dem Elternhause auf die Bühne kommen, wohl im allgemeinen nicht darauf
hineinfallen werden. Wenn aber eine junge Dame diesen Galanterien gegenüber
standhaft bleibt, so bekommt sie von Kolleginnen und Garderobieren sofort höhnische
Bemerkungen zu hören. Da heißes: "Wie kann man nur so dumm sein, so etwas
von der Hand zu weisen? Da sieht man, daß Sie noch nicht beim Theater Bescheid


Aber in einer Zeit, wo sich die Gesetzgebung aller sozialen Fragen bemächtigt
und bestrebt ist. den Arbeiter sittlich zu heben, die Fra»e» und Mädchen vor
unberechtigter Ausbeutung im industriellen Leben zu schützen und dem Familien¬
leben des armen Mannes Achtung zu erweisen, kann ein gesellschaftlicher
Zustand, wie er im allgemeinen am Theater herrscht, nicht gleichgiltig sem.
Denn die gemeine Vertraulichkeit des Theaterlebeus ist nicht harmlos, sie be¬
schränkt sich nicht auf einen burschikosen Verkehr der Männer unter einander,
sondern sie trägt eine besondre Signatur, und diese heißt: die Herabwürdigung
des weiblichem Geschlechts. Diese Herabwürdigung besteht aber nicht etwa
darin, daß sich im Theaterleben zwischen den beiden Geschlechtern der günstigen
Gelegenheit halber leichter Liebesverhältnisse bilden und durch deu unerbitt-
lichen Wechsel der Engagements wider den Willen der Beteiligten auch häufiger
wieder lösen, als im gewöhnlichen Leben. So lange es sich um wirkliche
Neigung handelt, bleibt die Reinheit des Herzens gewahrt, und wenn uuter
schwierigen Verhältnissen die Besonnenheit gegen die Sophistik der Liebe acht
Stand zu halte» vermag, so ist das erklärlich und verzeihlich. Wenn
über das Weib die Möglichkeit, i» seiner Kunst zur Geltung zu kommeu. und
seiner Ehre bezahlen muß. wie es thatsächlich vielfach der Fall ist, so ist das
himmelschreiend.

Eine Künstlerin wird, namentlich wenn sie jung, schön und »»verheiratet
ist, alsbald von allen Seiten umworben. Kavaliere ans den Reihen des
Publikums schicken während der Vorstellung prachtvolle Blumeustrüuße in die
Garderobe. Der erste Pflegt ohne Namen zu sein; der Absender erkundigt sich
aber unter der Hand, ob und wie er aufgenommen worden ist, und wenn die
Ailsknnft befriedigend taillee, dann folgt bei der nächste» Gelegeicheit el» zweiter
mit einem Briefchen. In dem Briefchen stehen glühende Anerkennungen für die
wundervollen Leistungen der Dame und die Versicherung, daß es der Absender
für das größte Glück seines Lebens halten würde, wenn ihm gestattet wäre,
seine Huldigungen der Gefeierten persönlich zu Füße» zu legen. Dann folgt die
Bitte, die Dame mög eine Blume des übersandten Straußes bei der nächste»
Vorstellung anstecken, zum Zeichen, daß der Absender nicht ganz ohne Hoff¬
nung sei u. s. w.

Wenn nun auch diese Annäherungsversuche wegen ihrer geschickten Be¬
rechnung auf die Eitelkeit junger Damen etwas Verlockendes haben, so sind sie
doch die ungefährlichsten, weil man ihnen Einhalt zu thun vermag, weil» man
sie beharrlich unbeachtet läßt, und weil die Damen, die als unverdorbene Mädchen
aus dem Elternhause auf die Bühne kommen, wohl im allgemeinen nicht darauf
hineinfallen werden. Wenn aber eine junge Dame diesen Galanterien gegenüber
standhaft bleibt, so bekommt sie von Kolleginnen und Garderobieren sofort höhnische
Bemerkungen zu hören. Da heißes: „Wie kann man nur so dumm sein, so etwas
von der Hand zu weisen? Da sieht man, daß Sie noch nicht beim Theater Bescheid


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[0179] Aber in einer Zeit, wo sich die Gesetzgebung aller sozialen Fragen bemächtigt und bestrebt ist. den Arbeiter sittlich zu heben, die Fra»e» und Mädchen vor unberechtigter Ausbeutung im industriellen Leben zu schützen und dem Familien¬ leben des armen Mannes Achtung zu erweisen, kann ein gesellschaftlicher Zustand, wie er im allgemeinen am Theater herrscht, nicht gleichgiltig sem. Denn die gemeine Vertraulichkeit des Theaterlebeus ist nicht harmlos, sie be¬ schränkt sich nicht auf einen burschikosen Verkehr der Männer unter einander, sondern sie trägt eine besondre Signatur, und diese heißt: die Herabwürdigung des weiblichem Geschlechts. Diese Herabwürdigung besteht aber nicht etwa darin, daß sich im Theaterleben zwischen den beiden Geschlechtern der günstigen Gelegenheit halber leichter Liebesverhältnisse bilden und durch deu unerbitt- lichen Wechsel der Engagements wider den Willen der Beteiligten auch häufiger wieder lösen, als im gewöhnlichen Leben. So lange es sich um wirkliche Neigung handelt, bleibt die Reinheit des Herzens gewahrt, und wenn uuter schwierigen Verhältnissen die Besonnenheit gegen die Sophistik der Liebe acht Stand zu halte» vermag, so ist das erklärlich und verzeihlich. Wenn über das Weib die Möglichkeit, i» seiner Kunst zur Geltung zu kommeu. und seiner Ehre bezahlen muß. wie es thatsächlich vielfach der Fall ist, so ist das himmelschreiend. Eine Künstlerin wird, namentlich wenn sie jung, schön und »»verheiratet ist, alsbald von allen Seiten umworben. Kavaliere ans den Reihen des Publikums schicken während der Vorstellung prachtvolle Blumeustrüuße in die Garderobe. Der erste Pflegt ohne Namen zu sein; der Absender erkundigt sich aber unter der Hand, ob und wie er aufgenommen worden ist, und wenn die Ailsknnft befriedigend taillee, dann folgt bei der nächste» Gelegeicheit el» zweiter mit einem Briefchen. In dem Briefchen stehen glühende Anerkennungen für die wundervollen Leistungen der Dame und die Versicherung, daß es der Absender für das größte Glück seines Lebens halten würde, wenn ihm gestattet wäre, seine Huldigungen der Gefeierten persönlich zu Füße» zu legen. Dann folgt die Bitte, die Dame mög eine Blume des übersandten Straußes bei der nächste» Vorstellung anstecken, zum Zeichen, daß der Absender nicht ganz ohne Hoff¬ nung sei u. s. w. Wenn nun auch diese Annäherungsversuche wegen ihrer geschickten Be¬ rechnung auf die Eitelkeit junger Damen etwas Verlockendes haben, so sind sie doch die ungefährlichsten, weil man ihnen Einhalt zu thun vermag, weil» man sie beharrlich unbeachtet läßt, und weil die Damen, die als unverdorbene Mädchen aus dem Elternhause auf die Bühne kommen, wohl im allgemeinen nicht darauf hineinfallen werden. Wenn aber eine junge Dame diesen Galanterien gegenüber standhaft bleibt, so bekommt sie von Kolleginnen und Garderobieren sofort höhnische Bemerkungen zu hören. Da heißes: „Wie kann man nur so dumm sein, so etwas von der Hand zu weisen? Da sieht man, daß Sie noch nicht beim Theater Bescheid

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/179>, abgerufen am 23.07.2024.