Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Landwucher

baren Gelde aushilft, und dann geht der Besitz auf den Wucherer über, lind
zwar neben so vielen inzwischen erlangten Vorteilen zu dem billigsten Preise.
Der Meier ist dann abgemeiert, und an seine Stelle tritt ein andrer, der
dielleicht "Mayer" heißt, aber nicht Meier ist, auch gar bald mit neuem
Gewinn den Hof losschlägt. In jedem Falle hat der Geschäftsfreund so be¬
deutenden Nutzen gezogen, daß auch hier, wo er meist selbst gar kein Risiko
übernimmt und nicht sich selbst, sondern nur andre verbindlich macht, dieser
Gewinn in auffälligsten Mißverhältnis zu deu eignen Leistungen steht. Je
schmutziger des Geldgebers Hände sind, umso mehr und umso leichter bleibt
Geld darau kleben. Die Ähnlichkeit dieses Landwuchers mit dem im Wuchcr-
gcsctz hingestellten Thatbestände springt in die Augen, und darum bedarf es
der Erweiterung des Gesetzes. Denn auch der Landwucher ist am letzten Ende
nnr Geldwncher. Die eingescharrten Schätze dienen als vermehrtes Betriebs¬
kapital dozn, dasselbe Spiel mit neuen Opfern zu beginnen. Denn -- sie
werden nicht alle! -- so überschrieb einmal das "Berliner Tageblatt" einen
Leitartikel, der die Ausbeutung behandelte, deren sich ein gewisser Löwinson
schuldig gemacht hatte. Mit dieser tiefsinnigen Betrachtung glaubte das
Mossische Blatt der Beurteilung des Falles vom sittlichen und stnatsmännischen
Gesichtspunkte Genüge geleistet zu haben.

Ein der Wirklichkeit entlehnter Fall möge zur Veranschaulichung dienen.
Ein Bauer E. in der preußischen Provinz Sachsen besaß ein zur Hülste mit
Hypotheken verschuldetes Gut im Werte von etwa 28000 Mark. Da er mit
seiner ans Ehefrau und neun minderjährigen Kindern bestehenden Familie
bei geringer Einsicht seine Schulden von Jahr zu Jahr wachsen sah und die
Zinsen nnr schwer vollständig aufbringen konnte, beschloß er, abermals vom
Gerichtsvollzieher bedroht, den "ganzen Krempel" so gut als möglich, sei es
im ganzen oder in Teilen, zu verkaufen, um dann nach Anlegung.des herauf¬
gezogenen Vermögens in hvchverzinslicheu Papieren, vielleicht in Argentiniern,
als "Groschenrentier" weiter zu leben. Ist doch die Handhabung der Koupon¬
schere weit einfacher und reinlicher als die Hantirung mit Pflug und Egge.
Ohne die Unterstützung eines Unterhändlers, der sich auf die Kniffe und Pfiffe
verstünde, recht hohe Preise zu erzielen, wollte er aber nicht vorgehen. Darum
wandte er sich zunächst an deu "Agenten" D. aus seiner nächsten Umgegend,
der zwar bereits wegen Meineids mit drei Jahren Zuchthaus bestraft war,
aber doch als schriftgelehrter Winkelanwalt von den Landleuten öster in An¬
spruch genommen wurde. In vielen Bauerkreisen kann man ja solche Hilfe
bei keinem wichtigen Geschäft entbehren, da sogar schon bei der Gründung des
Hausstandes der Heiratsvermittler eine große Rolle spielt; wie oft müssen
deutsche Richter darüber entscheiden, ob der Kuppelpelz auch wirklich verdient
sei oder nicht, statt daß die Gesetzgebung solchem unwürdigen Mißbrauch des
Richterstuhles durch ausdrückliche Klagloserklärung derartiger den guten Sitten


Der Landwucher

baren Gelde aushilft, und dann geht der Besitz auf den Wucherer über, lind
zwar neben so vielen inzwischen erlangten Vorteilen zu dem billigsten Preise.
Der Meier ist dann abgemeiert, und an seine Stelle tritt ein andrer, der
dielleicht „Mayer" heißt, aber nicht Meier ist, auch gar bald mit neuem
Gewinn den Hof losschlägt. In jedem Falle hat der Geschäftsfreund so be¬
deutenden Nutzen gezogen, daß auch hier, wo er meist selbst gar kein Risiko
übernimmt und nicht sich selbst, sondern nur andre verbindlich macht, dieser
Gewinn in auffälligsten Mißverhältnis zu deu eignen Leistungen steht. Je
schmutziger des Geldgebers Hände sind, umso mehr und umso leichter bleibt
Geld darau kleben. Die Ähnlichkeit dieses Landwuchers mit dem im Wuchcr-
gcsctz hingestellten Thatbestände springt in die Augen, und darum bedarf es
der Erweiterung des Gesetzes. Denn auch der Landwucher ist am letzten Ende
nnr Geldwncher. Die eingescharrten Schätze dienen als vermehrtes Betriebs¬
kapital dozn, dasselbe Spiel mit neuen Opfern zu beginnen. Denn — sie
werden nicht alle! — so überschrieb einmal das „Berliner Tageblatt" einen
Leitartikel, der die Ausbeutung behandelte, deren sich ein gewisser Löwinson
schuldig gemacht hatte. Mit dieser tiefsinnigen Betrachtung glaubte das
Mossische Blatt der Beurteilung des Falles vom sittlichen und stnatsmännischen
Gesichtspunkte Genüge geleistet zu haben.

Ein der Wirklichkeit entlehnter Fall möge zur Veranschaulichung dienen.
Ein Bauer E. in der preußischen Provinz Sachsen besaß ein zur Hülste mit
Hypotheken verschuldetes Gut im Werte von etwa 28000 Mark. Da er mit
seiner ans Ehefrau und neun minderjährigen Kindern bestehenden Familie
bei geringer Einsicht seine Schulden von Jahr zu Jahr wachsen sah und die
Zinsen nnr schwer vollständig aufbringen konnte, beschloß er, abermals vom
Gerichtsvollzieher bedroht, den „ganzen Krempel" so gut als möglich, sei es
im ganzen oder in Teilen, zu verkaufen, um dann nach Anlegung.des herauf¬
gezogenen Vermögens in hvchverzinslicheu Papieren, vielleicht in Argentiniern,
als „Groschenrentier" weiter zu leben. Ist doch die Handhabung der Koupon¬
schere weit einfacher und reinlicher als die Hantirung mit Pflug und Egge.
Ohne die Unterstützung eines Unterhändlers, der sich auf die Kniffe und Pfiffe
verstünde, recht hohe Preise zu erzielen, wollte er aber nicht vorgehen. Darum
wandte er sich zunächst an deu „Agenten" D. aus seiner nächsten Umgegend,
der zwar bereits wegen Meineids mit drei Jahren Zuchthaus bestraft war,
aber doch als schriftgelehrter Winkelanwalt von den Landleuten öster in An¬
spruch genommen wurde. In vielen Bauerkreisen kann man ja solche Hilfe
bei keinem wichtigen Geschäft entbehren, da sogar schon bei der Gründung des
Hausstandes der Heiratsvermittler eine große Rolle spielt; wie oft müssen
deutsche Richter darüber entscheiden, ob der Kuppelpelz auch wirklich verdient
sei oder nicht, statt daß die Gesetzgebung solchem unwürdigen Mißbrauch des
Richterstuhles durch ausdrückliche Klagloserklärung derartiger den guten Sitten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289931"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Landwucher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_468" prev="#ID_467"> baren Gelde aushilft, und dann geht der Besitz auf den Wucherer über, lind<lb/>
zwar neben so vielen inzwischen erlangten Vorteilen zu dem billigsten Preise.<lb/>
Der Meier ist dann abgemeiert, und an seine Stelle tritt ein andrer, der<lb/>
dielleicht &#x201E;Mayer" heißt, aber nicht Meier ist, auch gar bald mit neuem<lb/>
Gewinn den Hof losschlägt. In jedem Falle hat der Geschäftsfreund so be¬<lb/>
deutenden Nutzen gezogen, daß auch hier, wo er meist selbst gar kein Risiko<lb/>
übernimmt und nicht sich selbst, sondern nur andre verbindlich macht, dieser<lb/>
Gewinn in auffälligsten Mißverhältnis zu deu eignen Leistungen steht. Je<lb/>
schmutziger des Geldgebers Hände sind, umso mehr und umso leichter bleibt<lb/>
Geld darau kleben. Die Ähnlichkeit dieses Landwuchers mit dem im Wuchcr-<lb/>
gcsctz hingestellten Thatbestände springt in die Augen, und darum bedarf es<lb/>
der Erweiterung des Gesetzes. Denn auch der Landwucher ist am letzten Ende<lb/>
nnr Geldwncher. Die eingescharrten Schätze dienen als vermehrtes Betriebs¬<lb/>
kapital dozn, dasselbe Spiel mit neuen Opfern zu beginnen. Denn &#x2014; sie<lb/>
werden nicht alle! &#x2014; so überschrieb einmal das &#x201E;Berliner Tageblatt" einen<lb/>
Leitartikel, der die Ausbeutung behandelte, deren sich ein gewisser Löwinson<lb/>
schuldig gemacht hatte. Mit dieser tiefsinnigen Betrachtung glaubte das<lb/>
Mossische Blatt der Beurteilung des Falles vom sittlichen und stnatsmännischen<lb/>
Gesichtspunkte Genüge geleistet zu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_469" next="#ID_470"> Ein der Wirklichkeit entlehnter Fall möge zur Veranschaulichung dienen.<lb/>
Ein Bauer E. in der preußischen Provinz Sachsen besaß ein zur Hülste mit<lb/>
Hypotheken verschuldetes Gut im Werte von etwa 28000 Mark. Da er mit<lb/>
seiner ans Ehefrau und neun minderjährigen Kindern bestehenden Familie<lb/>
bei geringer Einsicht seine Schulden von Jahr zu Jahr wachsen sah und die<lb/>
Zinsen nnr schwer vollständig aufbringen konnte, beschloß er, abermals vom<lb/>
Gerichtsvollzieher bedroht, den &#x201E;ganzen Krempel" so gut als möglich, sei es<lb/>
im ganzen oder in Teilen, zu verkaufen, um dann nach Anlegung.des herauf¬<lb/>
gezogenen Vermögens in hvchverzinslicheu Papieren, vielleicht in Argentiniern,<lb/>
als &#x201E;Groschenrentier" weiter zu leben. Ist doch die Handhabung der Koupon¬<lb/>
schere weit einfacher und reinlicher als die Hantirung mit Pflug und Egge.<lb/>
Ohne die Unterstützung eines Unterhändlers, der sich auf die Kniffe und Pfiffe<lb/>
verstünde, recht hohe Preise zu erzielen, wollte er aber nicht vorgehen. Darum<lb/>
wandte er sich zunächst an deu &#x201E;Agenten" D. aus seiner nächsten Umgegend,<lb/>
der zwar bereits wegen Meineids mit drei Jahren Zuchthaus bestraft war,<lb/>
aber doch als schriftgelehrter Winkelanwalt von den Landleuten öster in An¬<lb/>
spruch genommen wurde.  In vielen Bauerkreisen kann man ja solche Hilfe<lb/>
bei keinem wichtigen Geschäft entbehren, da sogar schon bei der Gründung des<lb/>
Hausstandes der Heiratsvermittler eine große Rolle spielt; wie oft müssen<lb/>
deutsche Richter darüber entscheiden, ob der Kuppelpelz auch wirklich verdient<lb/>
sei oder nicht, statt daß die Gesetzgebung solchem unwürdigen Mißbrauch des<lb/>
Richterstuhles durch ausdrückliche Klagloserklärung derartiger den guten Sitten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] Der Landwucher baren Gelde aushilft, und dann geht der Besitz auf den Wucherer über, lind zwar neben so vielen inzwischen erlangten Vorteilen zu dem billigsten Preise. Der Meier ist dann abgemeiert, und an seine Stelle tritt ein andrer, der dielleicht „Mayer" heißt, aber nicht Meier ist, auch gar bald mit neuem Gewinn den Hof losschlägt. In jedem Falle hat der Geschäftsfreund so be¬ deutenden Nutzen gezogen, daß auch hier, wo er meist selbst gar kein Risiko übernimmt und nicht sich selbst, sondern nur andre verbindlich macht, dieser Gewinn in auffälligsten Mißverhältnis zu deu eignen Leistungen steht. Je schmutziger des Geldgebers Hände sind, umso mehr und umso leichter bleibt Geld darau kleben. Die Ähnlichkeit dieses Landwuchers mit dem im Wuchcr- gcsctz hingestellten Thatbestände springt in die Augen, und darum bedarf es der Erweiterung des Gesetzes. Denn auch der Landwucher ist am letzten Ende nnr Geldwncher. Die eingescharrten Schätze dienen als vermehrtes Betriebs¬ kapital dozn, dasselbe Spiel mit neuen Opfern zu beginnen. Denn — sie werden nicht alle! — so überschrieb einmal das „Berliner Tageblatt" einen Leitartikel, der die Ausbeutung behandelte, deren sich ein gewisser Löwinson schuldig gemacht hatte. Mit dieser tiefsinnigen Betrachtung glaubte das Mossische Blatt der Beurteilung des Falles vom sittlichen und stnatsmännischen Gesichtspunkte Genüge geleistet zu haben. Ein der Wirklichkeit entlehnter Fall möge zur Veranschaulichung dienen. Ein Bauer E. in der preußischen Provinz Sachsen besaß ein zur Hülste mit Hypotheken verschuldetes Gut im Werte von etwa 28000 Mark. Da er mit seiner ans Ehefrau und neun minderjährigen Kindern bestehenden Familie bei geringer Einsicht seine Schulden von Jahr zu Jahr wachsen sah und die Zinsen nnr schwer vollständig aufbringen konnte, beschloß er, abermals vom Gerichtsvollzieher bedroht, den „ganzen Krempel" so gut als möglich, sei es im ganzen oder in Teilen, zu verkaufen, um dann nach Anlegung.des herauf¬ gezogenen Vermögens in hvchverzinslicheu Papieren, vielleicht in Argentiniern, als „Groschenrentier" weiter zu leben. Ist doch die Handhabung der Koupon¬ schere weit einfacher und reinlicher als die Hantirung mit Pflug und Egge. Ohne die Unterstützung eines Unterhändlers, der sich auf die Kniffe und Pfiffe verstünde, recht hohe Preise zu erzielen, wollte er aber nicht vorgehen. Darum wandte er sich zunächst an deu „Agenten" D. aus seiner nächsten Umgegend, der zwar bereits wegen Meineids mit drei Jahren Zuchthaus bestraft war, aber doch als schriftgelehrter Winkelanwalt von den Landleuten öster in An¬ spruch genommen wurde. In vielen Bauerkreisen kann man ja solche Hilfe bei keinem wichtigen Geschäft entbehren, da sogar schon bei der Gründung des Hausstandes der Heiratsvermittler eine große Rolle spielt; wie oft müssen deutsche Richter darüber entscheiden, ob der Kuppelpelz auch wirklich verdient sei oder nicht, statt daß die Gesetzgebung solchem unwürdigen Mißbrauch des Richterstuhles durch ausdrückliche Klagloserklärung derartiger den guten Sitten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/163>, abgerufen am 23.07.2024.