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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Alle Merkmale deuten darauf hiu, daß sich die Genrebilder Michettis
dieses Vorzuges zu erfreuen haben werden. Er hat Humor und Naivität zu¬
gleich, und seine Figuren sind keine kostümirten Modellpuppen, sondern sie
hängen eng mit dem Boden zusammen, auf dein sie einherwandeln. Wenn
Michetti die koloristische Leistungsfähigkeit seiner Palette zur höchsten Wirkung
antreibt, liebt er es, den azurblauen Spiegel des Adriatischen Meeres zum
Mittel- und Hintergründe seiner Szenen aus dem Volksleben zu wählen. So
ans der Serenade, die ein an einem Baume lehnender Mandolinenspieler einer
Schar dnnkelhariger Schönen darbringt, die, in einer Reihe aufgestellt, auf den
um Liebe werbenden Sänger spöttisch oder schelmisch lächelnd blicken. Was
der Vordergrund an harten, selbst rohen Farbeugegeusätzen bietet, wird durch
die tiefblaue Harmonie des Hintergrundes wieder zusammengebracht.

Neben Michetti war in neuerer Zeit der Venezianer Giacomo Favretto
in den Vordergrund der italienischen Genremaler getreten. Unter ungünstigen
äußern Verhältnissen -- er war sehr arm und verlor in der Jugend ein
Auge -- eignete er sich eine Scharfe der Beobachtung und eine Feinheit des
koloristischen Gefühls an, von der die auf unsrer Ausstellung befindlichen
Bilder: die moderne Promenade auf dem Markusplatz und ein Trödelmarkt
ans einem venezianischen Ccunpo freilich keine ausreichende Vorstellung gewähren,
weil der Künstler vor ihrer Vollendung, 1887, erst achtunddreißig Jahre alt,
gestorben ist. Die Figuren sind fast vollständig durchgeführt; aber die archi-
tektonische Umgebung ist erst flüchtig skizzirt. Aber soviel sieht mau doch,
daß auch dieser Künstler eine Neigung zu einer ernsten Tvnstimmung hatte.
Was ihn mit Fortuuh in Zusammenhang bringt, ist seine auf frühern Bildern
gezeigte Vorliebe für das achtzehnte Jahrhundert, für das venezianische Volks¬
leben in der Nokokozeit. Das ist auch ein Element, das Fortnny in die
spanische und italienische Malerei eingeführt hat, freilich kein originales. Er
war nach abermaliger Auffrischung seiner in Nordafrika gewonnenen Eindrücke
und nach einem Aufenthalt in Madrid 1865 nach Paris gegangen, wo er bis
zum folgenden Jahre blieb und Meissvuier und Gvröme kennen lernte. In
welchem Grade diese auf ihn einwirkten, sieht man aus seinen 1867 entstandene"
Hauptwerken, der Hochzeit in der Vicaria zu Madrid mit einer eleganten
Gesellschaft in der Tracht des vorigen Jahrhunderts und dein Salon mit
Knnstliebhaberu derselben Zeit, die ein als Modell ausgestelltes nacktes Mädchen
mit lüsternen Blicken betrachten. Diese Spezialität Fvrtuuyscher Kunst hat
eine Zeit lang in Italien und Spanien in hoher Blüte gestanden; aber in
neuester Zeit muß sie, wahrscheinlich weil die Massenproduktion die Nachfrage
bedentend überstieg, stark zurückgegangen sein. Wenigstens hat unsre Aus¬
stellung nur noch wenige Proben dieser fast vergessenen Kunst, die schließlich
in kokette Stvffmalerei versank, aufzuweisen. Zwei Bilder von Francesco Vinca,
eine militärische Szene aus dem französischen Kriege gegen Spanien im Jahre


Alle Merkmale deuten darauf hiu, daß sich die Genrebilder Michettis
dieses Vorzuges zu erfreuen haben werden. Er hat Humor und Naivität zu¬
gleich, und seine Figuren sind keine kostümirten Modellpuppen, sondern sie
hängen eng mit dem Boden zusammen, auf dein sie einherwandeln. Wenn
Michetti die koloristische Leistungsfähigkeit seiner Palette zur höchsten Wirkung
antreibt, liebt er es, den azurblauen Spiegel des Adriatischen Meeres zum
Mittel- und Hintergründe seiner Szenen aus dem Volksleben zu wählen. So
ans der Serenade, die ein an einem Baume lehnender Mandolinenspieler einer
Schar dnnkelhariger Schönen darbringt, die, in einer Reihe aufgestellt, auf den
um Liebe werbenden Sänger spöttisch oder schelmisch lächelnd blicken. Was
der Vordergrund an harten, selbst rohen Farbeugegeusätzen bietet, wird durch
die tiefblaue Harmonie des Hintergrundes wieder zusammengebracht.

Neben Michetti war in neuerer Zeit der Venezianer Giacomo Favretto
in den Vordergrund der italienischen Genremaler getreten. Unter ungünstigen
äußern Verhältnissen — er war sehr arm und verlor in der Jugend ein
Auge — eignete er sich eine Scharfe der Beobachtung und eine Feinheit des
koloristischen Gefühls an, von der die auf unsrer Ausstellung befindlichen
Bilder: die moderne Promenade auf dem Markusplatz und ein Trödelmarkt
ans einem venezianischen Ccunpo freilich keine ausreichende Vorstellung gewähren,
weil der Künstler vor ihrer Vollendung, 1887, erst achtunddreißig Jahre alt,
gestorben ist. Die Figuren sind fast vollständig durchgeführt; aber die archi-
tektonische Umgebung ist erst flüchtig skizzirt. Aber soviel sieht mau doch,
daß auch dieser Künstler eine Neigung zu einer ernsten Tvnstimmung hatte.
Was ihn mit Fortuuh in Zusammenhang bringt, ist seine auf frühern Bildern
gezeigte Vorliebe für das achtzehnte Jahrhundert, für das venezianische Volks¬
leben in der Nokokozeit. Das ist auch ein Element, das Fortnny in die
spanische und italienische Malerei eingeführt hat, freilich kein originales. Er
war nach abermaliger Auffrischung seiner in Nordafrika gewonnenen Eindrücke
und nach einem Aufenthalt in Madrid 1865 nach Paris gegangen, wo er bis
zum folgenden Jahre blieb und Meissvuier und Gvröme kennen lernte. In
welchem Grade diese auf ihn einwirkten, sieht man aus seinen 1867 entstandene»
Hauptwerken, der Hochzeit in der Vicaria zu Madrid mit einer eleganten
Gesellschaft in der Tracht des vorigen Jahrhunderts und dein Salon mit
Knnstliebhaberu derselben Zeit, die ein als Modell ausgestelltes nacktes Mädchen
mit lüsternen Blicken betrachten. Diese Spezialität Fvrtuuyscher Kunst hat
eine Zeit lang in Italien und Spanien in hoher Blüte gestanden; aber in
neuester Zeit muß sie, wahrscheinlich weil die Massenproduktion die Nachfrage
bedentend überstieg, stark zurückgegangen sein. Wenigstens hat unsre Aus¬
stellung nur noch wenige Proben dieser fast vergessenen Kunst, die schließlich
in kokette Stvffmalerei versank, aufzuweisen. Zwei Bilder von Francesco Vinca,
eine militärische Szene aus dem französischen Kriege gegen Spanien im Jahre


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[0136] Alle Merkmale deuten darauf hiu, daß sich die Genrebilder Michettis dieses Vorzuges zu erfreuen haben werden. Er hat Humor und Naivität zu¬ gleich, und seine Figuren sind keine kostümirten Modellpuppen, sondern sie hängen eng mit dem Boden zusammen, auf dein sie einherwandeln. Wenn Michetti die koloristische Leistungsfähigkeit seiner Palette zur höchsten Wirkung antreibt, liebt er es, den azurblauen Spiegel des Adriatischen Meeres zum Mittel- und Hintergründe seiner Szenen aus dem Volksleben zu wählen. So ans der Serenade, die ein an einem Baume lehnender Mandolinenspieler einer Schar dnnkelhariger Schönen darbringt, die, in einer Reihe aufgestellt, auf den um Liebe werbenden Sänger spöttisch oder schelmisch lächelnd blicken. Was der Vordergrund an harten, selbst rohen Farbeugegeusätzen bietet, wird durch die tiefblaue Harmonie des Hintergrundes wieder zusammengebracht. Neben Michetti war in neuerer Zeit der Venezianer Giacomo Favretto in den Vordergrund der italienischen Genremaler getreten. Unter ungünstigen äußern Verhältnissen — er war sehr arm und verlor in der Jugend ein Auge — eignete er sich eine Scharfe der Beobachtung und eine Feinheit des koloristischen Gefühls an, von der die auf unsrer Ausstellung befindlichen Bilder: die moderne Promenade auf dem Markusplatz und ein Trödelmarkt ans einem venezianischen Ccunpo freilich keine ausreichende Vorstellung gewähren, weil der Künstler vor ihrer Vollendung, 1887, erst achtunddreißig Jahre alt, gestorben ist. Die Figuren sind fast vollständig durchgeführt; aber die archi- tektonische Umgebung ist erst flüchtig skizzirt. Aber soviel sieht mau doch, daß auch dieser Künstler eine Neigung zu einer ernsten Tvnstimmung hatte. Was ihn mit Fortuuh in Zusammenhang bringt, ist seine auf frühern Bildern gezeigte Vorliebe für das achtzehnte Jahrhundert, für das venezianische Volks¬ leben in der Nokokozeit. Das ist auch ein Element, das Fortnny in die spanische und italienische Malerei eingeführt hat, freilich kein originales. Er war nach abermaliger Auffrischung seiner in Nordafrika gewonnenen Eindrücke und nach einem Aufenthalt in Madrid 1865 nach Paris gegangen, wo er bis zum folgenden Jahre blieb und Meissvuier und Gvröme kennen lernte. In welchem Grade diese auf ihn einwirkten, sieht man aus seinen 1867 entstandene» Hauptwerken, der Hochzeit in der Vicaria zu Madrid mit einer eleganten Gesellschaft in der Tracht des vorigen Jahrhunderts und dein Salon mit Knnstliebhaberu derselben Zeit, die ein als Modell ausgestelltes nacktes Mädchen mit lüsternen Blicken betrachten. Diese Spezialität Fvrtuuyscher Kunst hat eine Zeit lang in Italien und Spanien in hoher Blüte gestanden; aber in neuester Zeit muß sie, wahrscheinlich weil die Massenproduktion die Nachfrage bedentend überstieg, stark zurückgegangen sein. Wenigstens hat unsre Aus¬ stellung nur noch wenige Proben dieser fast vergessenen Kunst, die schließlich in kokette Stvffmalerei versank, aufzuweisen. Zwei Bilder von Francesco Vinca, eine militärische Szene aus dem französischen Kriege gegen Spanien im Jahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/136>, abgerufen am 23.07.2024.