Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Landmucher

einem neuen deutschen Wuchergesetz zum Dasein verhalfen. Gewisse Leute
hatten nämlich, obwohl sonst so weltklug, die nun auch außerhalb der Börse
erlangte Freiheit doch so mißbraucht, daß sich Regierungen und Volksvertreter
zur Abhilfe entschlossen. Trotz alles Geschreis des vom Judentum beherrschten
Teiles der Presse über Rückschritt ins Mittelalter gelang es, die Sache in
einer Weise zu regeln, die gegenüber der frühern äußerlichen Behandlung mit
ihrer willkürlichen Zinsfußbcmessung einen großen Fortschritt in der Gesetz¬
gebung enthielt. Die frühere Art, einen Wucher festzustellen, ist in der That
nicht mehr zu verwenden in einer Zeit, die vermöge ihrer großartigen wirt¬
schaftlichen Entwicklung eine Tarifirung des Nutzerträguisses werdender Gelder,
die das besondre Wagnis einer Unternehmung gar nicht berücksichtigt, als eine
drückende Fessel und ein verderbliches Hindernis der Vermehrung des Volks-
vermögens empfinden müßte. Andrerseits hatte man schon längst eingesehen,
daß solche Zinsbeschränkuugeu sich durch Einkleidung in besondre Formen,
z. B. vorweg erfolgende Kürzung der Wucherzinsen leicht verschleiern lassen.
Wenn aber die öffentlichen Gewalten gleichzeitig mit dem stärkern Hervor¬
treten der sozialdemokratischen Bestrebungen den Schutz des wirtschaftlich
schwachen gegen Ausbeutung zu ihrer Losung machten, so war auch der
Versuch einer Bekämpfung der durch die Wucherfreiheit entstandenen Mi߬
stände offenbar eine Maßnahme, die vollständig in den Nahmen der bald
darauf durch die allerhöchste Botschaft vom 17. November 1881 verkündeten
Regierungsgrundsätze eines praktischen Christentums hineingehörte. Das neue
Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 legte also mit Recht das Hauptgewicht auf
die in unchristlicher Weise geschehende arglistige Ausbeutung des Mitmenschen,
nahm aber von einer zahlenmäßigen Prozentbegrenznng des dem Geldgeber
erlaubten Gewinnes Abstand und überließ die Beurteilung der Sache in dieser
Hinsicht dem gewissenhaften richterlichen Ermessen in der durch die Recht¬
sprechung auch als wohlbegründet dargethanen Erwartung, daß nur offenbare
und auffällige Maßlosigkeit habsüchtigster Mammonspriestcr von dem neuen
Staude des Rechts etwas zu befürchten hätte". Allerdings konnte man sich
nicht entschließen, andre Rechtsgeschäfte als die Darlehen oder die die Stun¬
dung von Geldforderungen betreffenden, dem neuen Wucherbcgriff zu unterstellen.
Demnach schreibt der durch das Neichsgcsetz vom 24. Mai 1880 dem Straf¬
gesetzbuch für das deutsche Reich neu eingefügte Z 302^ nur vor:

Wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfcihrenheit
eines anderen für ein Darlehen oder im Falle der Stundung einer Gcldfordernng
sich oder einem Dritten Verinvgensvorteile versprechen oder gewahren läßt, welche
den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles
die Vermögensvorteile in auffälligen Mißverhältnisse zu der Leistung stehen, wird
wegen Wuchers mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und zugleich mit Geldstrafe
bis zu dreitausend Mark bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren¬
rechte erkannt werden.


Der Landmucher

einem neuen deutschen Wuchergesetz zum Dasein verhalfen. Gewisse Leute
hatten nämlich, obwohl sonst so weltklug, die nun auch außerhalb der Börse
erlangte Freiheit doch so mißbraucht, daß sich Regierungen und Volksvertreter
zur Abhilfe entschlossen. Trotz alles Geschreis des vom Judentum beherrschten
Teiles der Presse über Rückschritt ins Mittelalter gelang es, die Sache in
einer Weise zu regeln, die gegenüber der frühern äußerlichen Behandlung mit
ihrer willkürlichen Zinsfußbcmessung einen großen Fortschritt in der Gesetz¬
gebung enthielt. Die frühere Art, einen Wucher festzustellen, ist in der That
nicht mehr zu verwenden in einer Zeit, die vermöge ihrer großartigen wirt¬
schaftlichen Entwicklung eine Tarifirung des Nutzerträguisses werdender Gelder,
die das besondre Wagnis einer Unternehmung gar nicht berücksichtigt, als eine
drückende Fessel und ein verderbliches Hindernis der Vermehrung des Volks-
vermögens empfinden müßte. Andrerseits hatte man schon längst eingesehen,
daß solche Zinsbeschränkuugeu sich durch Einkleidung in besondre Formen,
z. B. vorweg erfolgende Kürzung der Wucherzinsen leicht verschleiern lassen.
Wenn aber die öffentlichen Gewalten gleichzeitig mit dem stärkern Hervor¬
treten der sozialdemokratischen Bestrebungen den Schutz des wirtschaftlich
schwachen gegen Ausbeutung zu ihrer Losung machten, so war auch der
Versuch einer Bekämpfung der durch die Wucherfreiheit entstandenen Mi߬
stände offenbar eine Maßnahme, die vollständig in den Nahmen der bald
darauf durch die allerhöchste Botschaft vom 17. November 1881 verkündeten
Regierungsgrundsätze eines praktischen Christentums hineingehörte. Das neue
Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 legte also mit Recht das Hauptgewicht auf
die in unchristlicher Weise geschehende arglistige Ausbeutung des Mitmenschen,
nahm aber von einer zahlenmäßigen Prozentbegrenznng des dem Geldgeber
erlaubten Gewinnes Abstand und überließ die Beurteilung der Sache in dieser
Hinsicht dem gewissenhaften richterlichen Ermessen in der durch die Recht¬
sprechung auch als wohlbegründet dargethanen Erwartung, daß nur offenbare
und auffällige Maßlosigkeit habsüchtigster Mammonspriestcr von dem neuen
Staude des Rechts etwas zu befürchten hätte». Allerdings konnte man sich
nicht entschließen, andre Rechtsgeschäfte als die Darlehen oder die die Stun¬
dung von Geldforderungen betreffenden, dem neuen Wucherbcgriff zu unterstellen.
Demnach schreibt der durch das Neichsgcsetz vom 24. Mai 1880 dem Straf¬
gesetzbuch für das deutsche Reich neu eingefügte Z 302^ nur vor:

Wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfcihrenheit
eines anderen für ein Darlehen oder im Falle der Stundung einer Gcldfordernng
sich oder einem Dritten Verinvgensvorteile versprechen oder gewahren läßt, welche
den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles
die Vermögensvorteile in auffälligen Mißverhältnisse zu der Leistung stehen, wird
wegen Wuchers mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und zugleich mit Geldstrafe
bis zu dreitausend Mark bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren¬
rechte erkannt werden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289892"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Landmucher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_352" prev="#ID_351"> einem neuen deutschen Wuchergesetz zum Dasein verhalfen. Gewisse Leute<lb/>
hatten nämlich, obwohl sonst so weltklug, die nun auch außerhalb der Börse<lb/>
erlangte Freiheit doch so mißbraucht, daß sich Regierungen und Volksvertreter<lb/>
zur Abhilfe entschlossen. Trotz alles Geschreis des vom Judentum beherrschten<lb/>
Teiles der Presse über Rückschritt ins Mittelalter gelang es, die Sache in<lb/>
einer Weise zu regeln, die gegenüber der frühern äußerlichen Behandlung mit<lb/>
ihrer willkürlichen Zinsfußbcmessung einen großen Fortschritt in der Gesetz¬<lb/>
gebung enthielt. Die frühere Art, einen Wucher festzustellen, ist in der That<lb/>
nicht mehr zu verwenden in einer Zeit, die vermöge ihrer großartigen wirt¬<lb/>
schaftlichen Entwicklung eine Tarifirung des Nutzerträguisses werdender Gelder,<lb/>
die das besondre Wagnis einer Unternehmung gar nicht berücksichtigt, als eine<lb/>
drückende Fessel und ein verderbliches Hindernis der Vermehrung des Volks-<lb/>
vermögens empfinden müßte. Andrerseits hatte man schon längst eingesehen,<lb/>
daß solche Zinsbeschränkuugeu sich durch Einkleidung in besondre Formen,<lb/>
z. B. vorweg erfolgende Kürzung der Wucherzinsen leicht verschleiern lassen.<lb/>
Wenn aber die öffentlichen Gewalten gleichzeitig mit dem stärkern Hervor¬<lb/>
treten der sozialdemokratischen Bestrebungen den Schutz des wirtschaftlich<lb/>
schwachen gegen Ausbeutung zu ihrer Losung machten, so war auch der<lb/>
Versuch einer Bekämpfung der durch die Wucherfreiheit entstandenen Mi߬<lb/>
stände offenbar eine Maßnahme, die vollständig in den Nahmen der bald<lb/>
darauf durch die allerhöchste Botschaft vom 17. November 1881 verkündeten<lb/>
Regierungsgrundsätze eines praktischen Christentums hineingehörte. Das neue<lb/>
Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 legte also mit Recht das Hauptgewicht auf<lb/>
die in unchristlicher Weise geschehende arglistige Ausbeutung des Mitmenschen,<lb/>
nahm aber von einer zahlenmäßigen Prozentbegrenznng des dem Geldgeber<lb/>
erlaubten Gewinnes Abstand und überließ die Beurteilung der Sache in dieser<lb/>
Hinsicht dem gewissenhaften richterlichen Ermessen in der durch die Recht¬<lb/>
sprechung auch als wohlbegründet dargethanen Erwartung, daß nur offenbare<lb/>
und auffällige Maßlosigkeit habsüchtigster Mammonspriestcr von dem neuen<lb/>
Staude des Rechts etwas zu befürchten hätte». Allerdings konnte man sich<lb/>
nicht entschließen, andre Rechtsgeschäfte als die Darlehen oder die die Stun¬<lb/>
dung von Geldforderungen betreffenden, dem neuen Wucherbcgriff zu unterstellen.<lb/>
Demnach schreibt der durch das Neichsgcsetz vom 24. Mai 1880 dem Straf¬<lb/>
gesetzbuch für das deutsche Reich neu eingefügte Z 302^ nur vor:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_353" next="#ID_354"> Wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfcihrenheit<lb/>
eines anderen für ein Darlehen oder im Falle der Stundung einer Gcldfordernng<lb/>
sich oder einem Dritten Verinvgensvorteile versprechen oder gewahren läßt, welche<lb/>
den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles<lb/>
die Vermögensvorteile in auffälligen Mißverhältnisse zu der Leistung stehen, wird<lb/>
wegen Wuchers mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und zugleich mit Geldstrafe<lb/>
bis zu dreitausend Mark bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren¬<lb/>
rechte erkannt werden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] Der Landmucher einem neuen deutschen Wuchergesetz zum Dasein verhalfen. Gewisse Leute hatten nämlich, obwohl sonst so weltklug, die nun auch außerhalb der Börse erlangte Freiheit doch so mißbraucht, daß sich Regierungen und Volksvertreter zur Abhilfe entschlossen. Trotz alles Geschreis des vom Judentum beherrschten Teiles der Presse über Rückschritt ins Mittelalter gelang es, die Sache in einer Weise zu regeln, die gegenüber der frühern äußerlichen Behandlung mit ihrer willkürlichen Zinsfußbcmessung einen großen Fortschritt in der Gesetz¬ gebung enthielt. Die frühere Art, einen Wucher festzustellen, ist in der That nicht mehr zu verwenden in einer Zeit, die vermöge ihrer großartigen wirt¬ schaftlichen Entwicklung eine Tarifirung des Nutzerträguisses werdender Gelder, die das besondre Wagnis einer Unternehmung gar nicht berücksichtigt, als eine drückende Fessel und ein verderbliches Hindernis der Vermehrung des Volks- vermögens empfinden müßte. Andrerseits hatte man schon längst eingesehen, daß solche Zinsbeschränkuugeu sich durch Einkleidung in besondre Formen, z. B. vorweg erfolgende Kürzung der Wucherzinsen leicht verschleiern lassen. Wenn aber die öffentlichen Gewalten gleichzeitig mit dem stärkern Hervor¬ treten der sozialdemokratischen Bestrebungen den Schutz des wirtschaftlich schwachen gegen Ausbeutung zu ihrer Losung machten, so war auch der Versuch einer Bekämpfung der durch die Wucherfreiheit entstandenen Mi߬ stände offenbar eine Maßnahme, die vollständig in den Nahmen der bald darauf durch die allerhöchste Botschaft vom 17. November 1881 verkündeten Regierungsgrundsätze eines praktischen Christentums hineingehörte. Das neue Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 legte also mit Recht das Hauptgewicht auf die in unchristlicher Weise geschehende arglistige Ausbeutung des Mitmenschen, nahm aber von einer zahlenmäßigen Prozentbegrenznng des dem Geldgeber erlaubten Gewinnes Abstand und überließ die Beurteilung der Sache in dieser Hinsicht dem gewissenhaften richterlichen Ermessen in der durch die Recht¬ sprechung auch als wohlbegründet dargethanen Erwartung, daß nur offenbare und auffällige Maßlosigkeit habsüchtigster Mammonspriestcr von dem neuen Staude des Rechts etwas zu befürchten hätte». Allerdings konnte man sich nicht entschließen, andre Rechtsgeschäfte als die Darlehen oder die die Stun¬ dung von Geldforderungen betreffenden, dem neuen Wucherbcgriff zu unterstellen. Demnach schreibt der durch das Neichsgcsetz vom 24. Mai 1880 dem Straf¬ gesetzbuch für das deutsche Reich neu eingefügte Z 302^ nur vor: Wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfcihrenheit eines anderen für ein Darlehen oder im Falle der Stundung einer Gcldfordernng sich oder einem Dritten Verinvgensvorteile versprechen oder gewahren läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles die Vermögensvorteile in auffälligen Mißverhältnisse zu der Leistung stehen, wird wegen Wuchers mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und zugleich mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren¬ rechte erkannt werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/124>, abgerufen am 26.08.2024.