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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die parlamentarische Lage in Österreich

ihrer mit entschiednen Geschick. Gegen den Vorwurf des Gesinnungswechsels
verwahrte er seine Partei durch die Behauptung, daß nicht sie, sondern die
Verhältnisse sich soweit geändert hätten, daß sie der Partei eine andre Haltung
ermöglichen. Allein harte Erfahrungen bestimmten sie, sich nach keiner Seite
hin zu binden, sich die Freiheit des Entschlusses bei jeder vorkommenden Frage
vorzubehalten, und zwar ebenso mit Beziehung auf deren sachlichen Inhalt,
als auf die politische Lage des Augenblicks. Die Linke und die Polen hätten
so viele Berührungspunkte, stellten sich vor allem mit solcher Entschiedenheit
auf den Boden des Staates, dessen Wohl und Wehe über den Sonderinteresseu
stehen müsse, daß beide mit einander eine Mehrheit bilden könnten, wie das
auch schon früher geschehen sei; eben der Begriff einer Staatspartei unter¬
scheide sie von andern, vor allem der tschechischen, die die staatsrechtlichen
Verhältnisse der Monarchie nur mit Vorbehalt anerkennt und der auswärtigen
Politik eine der jetzigen entgegengesetzte Richtung geben möchte. Den um¬
ständlichen Auseinandersetzungen, wie sich die Partei zu einzelnen Fragen stelle,
brauchen wir hier nicht zu folgen. Die Seltsamkeit des Verhältnisses zwischen
den drei Faktoren, die alle nachdrücklich die "freie Hand" betonen und Vor¬
sicht als Kardinaltugend preisen, kaun niemand entgehen; ob die Deutschen
diesmal an den Polen zuverlässigere Freunde finden werden, als bisher, muß
abgewartet werden. Schon jetzt erheben zwei Elemente, die in der Geschichte
des polnischen Reiches eine so verhängnisvolle Rolle gespielt haben, Ultra-
montanismus und Disziplinlosigkeit, Einspruch gegen die opportunistische
Haltung der Führer. Auf deren Energie und politischen Takt wird es
wesentlich ankommen, ob die nun der Regierung zur Seite stehenden Parteien
einander mehr leisten sollen, als "persönliche Komplimente und Erklärungen
politischer Sympathie," wie der Abgeordnete Pierer sagte.

Von großer Bedeutung sind immerhin, zumal in dem Augenblicke der
Erneuerung des Dreibundes, das rückhaltlose Eintreten der Deutsch-Österreicher
nicht nur, sondern auch der Galizier für dieses Bündnis, die Abwendung des
Ministeriums von den Parteien, die Österreich dem reinen Föderalismus und
der Slawenherrschaft zuführe" möchte, die nur noch von winzigen Fraktionen
verweigerte Anerkennung des Deutschen als Staatssprache im Heer und in der
Verwaltung. Nicht allein jeder Deutsche, nein, jeder Europäer, der diesen
Weltteil vor neuen Erschütterungen gewahrt, ihn weder republikanisch noch
lvsakisch wissen möchte, muß der österreichisch-ungarischen Monarchie wünschen,
daß der in deren westlicher Hälfte eingeschlagene Weg mit Ruhe, Besonnenheit
und -- Beharrlichkeit verfolgt werde.




Die parlamentarische Lage in Österreich

ihrer mit entschiednen Geschick. Gegen den Vorwurf des Gesinnungswechsels
verwahrte er seine Partei durch die Behauptung, daß nicht sie, sondern die
Verhältnisse sich soweit geändert hätten, daß sie der Partei eine andre Haltung
ermöglichen. Allein harte Erfahrungen bestimmten sie, sich nach keiner Seite
hin zu binden, sich die Freiheit des Entschlusses bei jeder vorkommenden Frage
vorzubehalten, und zwar ebenso mit Beziehung auf deren sachlichen Inhalt,
als auf die politische Lage des Augenblicks. Die Linke und die Polen hätten
so viele Berührungspunkte, stellten sich vor allem mit solcher Entschiedenheit
auf den Boden des Staates, dessen Wohl und Wehe über den Sonderinteresseu
stehen müsse, daß beide mit einander eine Mehrheit bilden könnten, wie das
auch schon früher geschehen sei; eben der Begriff einer Staatspartei unter¬
scheide sie von andern, vor allem der tschechischen, die die staatsrechtlichen
Verhältnisse der Monarchie nur mit Vorbehalt anerkennt und der auswärtigen
Politik eine der jetzigen entgegengesetzte Richtung geben möchte. Den um¬
ständlichen Auseinandersetzungen, wie sich die Partei zu einzelnen Fragen stelle,
brauchen wir hier nicht zu folgen. Die Seltsamkeit des Verhältnisses zwischen
den drei Faktoren, die alle nachdrücklich die „freie Hand" betonen und Vor¬
sicht als Kardinaltugend preisen, kaun niemand entgehen; ob die Deutschen
diesmal an den Polen zuverlässigere Freunde finden werden, als bisher, muß
abgewartet werden. Schon jetzt erheben zwei Elemente, die in der Geschichte
des polnischen Reiches eine so verhängnisvolle Rolle gespielt haben, Ultra-
montanismus und Disziplinlosigkeit, Einspruch gegen die opportunistische
Haltung der Führer. Auf deren Energie und politischen Takt wird es
wesentlich ankommen, ob die nun der Regierung zur Seite stehenden Parteien
einander mehr leisten sollen, als „persönliche Komplimente und Erklärungen
politischer Sympathie," wie der Abgeordnete Pierer sagte.

Von großer Bedeutung sind immerhin, zumal in dem Augenblicke der
Erneuerung des Dreibundes, das rückhaltlose Eintreten der Deutsch-Österreicher
nicht nur, sondern auch der Galizier für dieses Bündnis, die Abwendung des
Ministeriums von den Parteien, die Österreich dem reinen Föderalismus und
der Slawenherrschaft zuführe» möchte, die nur noch von winzigen Fraktionen
verweigerte Anerkennung des Deutschen als Staatssprache im Heer und in der
Verwaltung. Nicht allein jeder Deutsche, nein, jeder Europäer, der diesen
Weltteil vor neuen Erschütterungen gewahrt, ihn weder republikanisch noch
lvsakisch wissen möchte, muß der österreichisch-ungarischen Monarchie wünschen,
daß der in deren westlicher Hälfte eingeschlagene Weg mit Ruhe, Besonnenheit
und — Beharrlichkeit verfolgt werde.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/109>, abgerufen am 23.07.2024.