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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die parlamentarische Lage in Österreich

schlechte Prophezeiungen und Drohungen aus. Er fordert die Befriedigung
der nationalen Ansprüche der Tschechen, versteht hierunter jedoch etwas ganz
andres als andre Redner mit ebenso tschechischen Namen wie Schwarzenberg
(Greger, Herold, Engel u. s. w.); ihm scheint ein Königreich Böhmen mit
altständischer Verfassung vorzuschweben, das "konstitutionelle Prinzip," meint
er, habe in Österreich noch nicht die Probe bestanden. Wenn wir endlich
noch die Partei, die sich abwechselnd Sozialresormer und Antisemiten nennt,
erwähnen, so glauben wir alle Fraktionen, die sich gegen die neue Wendung
ablehnend verhalten, berücksichtigt zu haben. Als ihr Wortführer trat der
Prinz Liechtenstein auf, der einmal die Wiederherstellung der konfessionellen
Volksschule beantragt und sich dadurch deu ausdauernden Haß aller Philose-
miten zugezogen hat. Seine Widersacher erhoben sich denn auch nicht über
das bescheidne Niveau derjenigen Zeitungsschreiber, die bei der Beurteilung
politischer Parteien und politischer Personen vor allem deren Stellung zur
Judenfrage in Betracht ziehen. Was der Prinz vorbrachte, daß die Börse
aus einem Markt eine Spielhölle geworden ist, daß das einst durch eine vor¬
treffliche Organisation geschützte Handwerk sich rettungslos dem Zwischenhandel
und der Großindustrie überantwortet sieht, daß der Bauer zu Grunde geht,
alle Arbeit vou der Spekulation ausgebeutet wird, ist allerdings nicht neu,
aber wenn man darauf nichts besseres zu entgegnen weiß, als daß er die
soziale Frage durch Beseitigung der Konfektionäre und Wiederherstellung der
Zünfte lösen wolle oder daß früher auch Adliche die Arbeitenden nnsgebentet
hätten, so verrät das wenigstens einen bedenklichen Grad von Rücksicht ans
eine Vundesgenossenschaft, durch die überall immer weitere Kreise den liberalen
Parteien entfremdet werden. Viel glücklicher waren die Reden, die jung¬
tschechische Augriffe abschlugen, ausmalten, wie es den Demokraten unter der
von ihnen angeblich so heiß ersehnten alten böhmischen Verfassung ergehen
würde; und der feudal-klerikal-nationale Enkel oder Seitenverwaudte des
Mannes, der die Ehre gehabt hat, die deutschen Heere gegen den ersten Na¬
poleon zu führen, wurde vou dem steirischen Grafen Wurmbrandt und dem
bekannten konservativ und strengkatholisch gesinnten Lienbacher vollständig
abgeführt. Überhaupt bekommt man den Eindruck, daß daß Tschechentum am
schlechtesten weggekommen sei. Nicht nur lagen sich Aristokraten und Demo¬
kraten gegenseitig in den Haaren, ein Abgeordneter, dessen Name einige Ver¬
wandtschaft mit "Gewäsche" hat, plauderte gelegentlich den Herzenswunsch, die
Segnungen der russischen Freiheit zu genießen, so unbesonnen aus, daß seine
Freunde, die soeben noch den sonstigen Stolz ihrer Nation, die schimpfenden
und prügelnder Prager Studenten, ziemlich unverblümt als unnütze Buben
preisgegeben hatten, auch jenes calme torriblo abzuschütteln trachten.

Die Aufgabe, den Operationsplan der deutsch - liberalen Partei zu ent¬
wickeln, fiel ihrem anerkannten Führer von Pierer zu, und er entledigte sich


Die parlamentarische Lage in Österreich

schlechte Prophezeiungen und Drohungen aus. Er fordert die Befriedigung
der nationalen Ansprüche der Tschechen, versteht hierunter jedoch etwas ganz
andres als andre Redner mit ebenso tschechischen Namen wie Schwarzenberg
(Greger, Herold, Engel u. s. w.); ihm scheint ein Königreich Böhmen mit
altständischer Verfassung vorzuschweben, das „konstitutionelle Prinzip," meint
er, habe in Österreich noch nicht die Probe bestanden. Wenn wir endlich
noch die Partei, die sich abwechselnd Sozialresormer und Antisemiten nennt,
erwähnen, so glauben wir alle Fraktionen, die sich gegen die neue Wendung
ablehnend verhalten, berücksichtigt zu haben. Als ihr Wortführer trat der
Prinz Liechtenstein auf, der einmal die Wiederherstellung der konfessionellen
Volksschule beantragt und sich dadurch deu ausdauernden Haß aller Philose-
miten zugezogen hat. Seine Widersacher erhoben sich denn auch nicht über
das bescheidne Niveau derjenigen Zeitungsschreiber, die bei der Beurteilung
politischer Parteien und politischer Personen vor allem deren Stellung zur
Judenfrage in Betracht ziehen. Was der Prinz vorbrachte, daß die Börse
aus einem Markt eine Spielhölle geworden ist, daß das einst durch eine vor¬
treffliche Organisation geschützte Handwerk sich rettungslos dem Zwischenhandel
und der Großindustrie überantwortet sieht, daß der Bauer zu Grunde geht,
alle Arbeit vou der Spekulation ausgebeutet wird, ist allerdings nicht neu,
aber wenn man darauf nichts besseres zu entgegnen weiß, als daß er die
soziale Frage durch Beseitigung der Konfektionäre und Wiederherstellung der
Zünfte lösen wolle oder daß früher auch Adliche die Arbeitenden nnsgebentet
hätten, so verrät das wenigstens einen bedenklichen Grad von Rücksicht ans
eine Vundesgenossenschaft, durch die überall immer weitere Kreise den liberalen
Parteien entfremdet werden. Viel glücklicher waren die Reden, die jung¬
tschechische Augriffe abschlugen, ausmalten, wie es den Demokraten unter der
von ihnen angeblich so heiß ersehnten alten böhmischen Verfassung ergehen
würde; und der feudal-klerikal-nationale Enkel oder Seitenverwaudte des
Mannes, der die Ehre gehabt hat, die deutschen Heere gegen den ersten Na¬
poleon zu führen, wurde vou dem steirischen Grafen Wurmbrandt und dem
bekannten konservativ und strengkatholisch gesinnten Lienbacher vollständig
abgeführt. Überhaupt bekommt man den Eindruck, daß daß Tschechentum am
schlechtesten weggekommen sei. Nicht nur lagen sich Aristokraten und Demo¬
kraten gegenseitig in den Haaren, ein Abgeordneter, dessen Name einige Ver¬
wandtschaft mit „Gewäsche" hat, plauderte gelegentlich den Herzenswunsch, die
Segnungen der russischen Freiheit zu genießen, so unbesonnen aus, daß seine
Freunde, die soeben noch den sonstigen Stolz ihrer Nation, die schimpfenden
und prügelnder Prager Studenten, ziemlich unverblümt als unnütze Buben
preisgegeben hatten, auch jenes calme torriblo abzuschütteln trachten.

Die Aufgabe, den Operationsplan der deutsch - liberalen Partei zu ent¬
wickeln, fiel ihrem anerkannten Führer von Pierer zu, und er entledigte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/108>, abgerufen am 26.08.2024.