Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Finnland

sowie die Privilegien und Gerechtsame, die jeder Stand in dein genannten Groß-
sürsteutum besonders und alle Einwohner desselben im allgemeinen, so höhere
wie niedere, bis jetzt der Konstitution gemäß genossen" hätten, bestätigte und
"alle diese Vorrechte und Verfassungen sest und unverrückt in ihrer vollen
Kraft beizubehalten" gelobte.

Die Finnländer waren damals ein im höchsten Grade ausgesvgeues Volk.
Jahrhunderte lang hatte ihr Land Schweden und Rußland als Wahlplatz
blutiger Kriege gedient, und sie waren uun unter dem neuen Regiment froh,
daß sie sich ihrer wirtschaftlichen und geistige" Entwicklung widmen konnten,
ein Streben, dem die russische Herrschaft keine Hindernisse in den Weg legte,
denn sowohl Kaiser Alexander I. wie auch seine Nachfolger hielten die gegebenen
Versprechungen. Wohl wirkte die äußerst despotische Regierung des Kaisers
Nikolaus lähmend aus die Entwicklung des Landes, doch wurde ihm Nikolaus
Nachfolger, Alexander II., ein neuer Förderer, indem er wieder 1863 den
Landtag zusammenberief, der zunächst jedes fünfte und dann jedes dritte
Jahr tagte.

Das Laud entwickelte sich nun aufs günstigste, und einen nicht unwesentlichen
Anteil daran hatte der Umstand, daß man die finnische Sprache mehr zur Gel¬
tung zu bringen suchte. Bisher waren nämlich sieben Achtel der Bevölkerung
der filmisch sprechenden Einwohner ohne finnische Schulen gewesen, und als
Amtssprache hatte ausschließlich das Schwedische gedient. Um hierin Wandel
zu schaffen, entstand um die Mitte dieses Jahrhunderts eine Bewegung, die
darauf ausging, die finnisch sprechende Einwohnerschaft des Landes in den
Besitz ihrer natürlichen Rechte zu bringe". Die Anhänger dieser Bewegung
-- die Fennvmanni -- arbeiteten mit aller Kraft daran, finnische Schulen,
Zeitungen, eine eigne Litteratur u. a. in. ins Leben zu rufen und mit deren
Hilfe ihrem Volke den Boden für Westländische Kultur zu ebnen. Die Be¬
wegung ging wie ein belebender Frühlingshauch durchs Land, und bald sollten
sich auch ihre Früchte zeigen; das Volk begann sich freier zu fühlen, ein ge¬
ordnetes Schulwesen und die kommunale Selbstverwaltung erstand, Handel
und Industrie, Litteratur und Kunst kamen zur Blüte.

Dieser allgemeine Aufschwung war es aber gerade, der die Aufmerksam¬
keit weiter Kreise in Rußland auf Finnland zu lenken begann. Man wird
wohl nicht fehlgehen in der Annahme, daß es die Wohlfahrt des Landes, die
Ordnung, die darin herrschte, die Volksbildung und die Achtung, die man den
Gesetzen zollte, waren, die den Neid des Stvckrnssentnms erregten, nicht un¬
wahrscheinlich ist es aber auch, daß ihm das persönliche Wohlwollen der Zaren
gegeir Finnland ein Dorn im Ange war. Doch hatte Rußland zunächst noch
so viel mit seinen eignen Angelegenheiten zu thun, daß es keine Zeit fand,
sich mit Finnland näher zu befassen. Erst von dem Zeitpunkt ab, wo der
erste offizielle Bestich des Zaren stattgefunden hatte, begannen sich Angriffe


Finnland

sowie die Privilegien und Gerechtsame, die jeder Stand in dein genannten Groß-
sürsteutum besonders und alle Einwohner desselben im allgemeinen, so höhere
wie niedere, bis jetzt der Konstitution gemäß genossen" hätten, bestätigte und
„alle diese Vorrechte und Verfassungen sest und unverrückt in ihrer vollen
Kraft beizubehalten" gelobte.

Die Finnländer waren damals ein im höchsten Grade ausgesvgeues Volk.
Jahrhunderte lang hatte ihr Land Schweden und Rußland als Wahlplatz
blutiger Kriege gedient, und sie waren uun unter dem neuen Regiment froh,
daß sie sich ihrer wirtschaftlichen und geistige» Entwicklung widmen konnten,
ein Streben, dem die russische Herrschaft keine Hindernisse in den Weg legte,
denn sowohl Kaiser Alexander I. wie auch seine Nachfolger hielten die gegebenen
Versprechungen. Wohl wirkte die äußerst despotische Regierung des Kaisers
Nikolaus lähmend aus die Entwicklung des Landes, doch wurde ihm Nikolaus
Nachfolger, Alexander II., ein neuer Förderer, indem er wieder 1863 den
Landtag zusammenberief, der zunächst jedes fünfte und dann jedes dritte
Jahr tagte.

Das Laud entwickelte sich nun aufs günstigste, und einen nicht unwesentlichen
Anteil daran hatte der Umstand, daß man die finnische Sprache mehr zur Gel¬
tung zu bringen suchte. Bisher waren nämlich sieben Achtel der Bevölkerung
der filmisch sprechenden Einwohner ohne finnische Schulen gewesen, und als
Amtssprache hatte ausschließlich das Schwedische gedient. Um hierin Wandel
zu schaffen, entstand um die Mitte dieses Jahrhunderts eine Bewegung, die
darauf ausging, die finnisch sprechende Einwohnerschaft des Landes in den
Besitz ihrer natürlichen Rechte zu bringe». Die Anhänger dieser Bewegung
— die Fennvmanni — arbeiteten mit aller Kraft daran, finnische Schulen,
Zeitungen, eine eigne Litteratur u. a. in. ins Leben zu rufen und mit deren
Hilfe ihrem Volke den Boden für Westländische Kultur zu ebnen. Die Be¬
wegung ging wie ein belebender Frühlingshauch durchs Land, und bald sollten
sich auch ihre Früchte zeigen; das Volk begann sich freier zu fühlen, ein ge¬
ordnetes Schulwesen und die kommunale Selbstverwaltung erstand, Handel
und Industrie, Litteratur und Kunst kamen zur Blüte.

Dieser allgemeine Aufschwung war es aber gerade, der die Aufmerksam¬
keit weiter Kreise in Rußland auf Finnland zu lenken begann. Man wird
wohl nicht fehlgehen in der Annahme, daß es die Wohlfahrt des Landes, die
Ordnung, die darin herrschte, die Volksbildung und die Achtung, die man den
Gesetzen zollte, waren, die den Neid des Stvckrnssentnms erregten, nicht un¬
wahrscheinlich ist es aber auch, daß ihm das persönliche Wohlwollen der Zaren
gegeir Finnland ein Dorn im Ange war. Doch hatte Rußland zunächst noch
so viel mit seinen eignen Angelegenheiten zu thun, daß es keine Zeit fand,
sich mit Finnland näher zu befassen. Erst von dem Zeitpunkt ab, wo der
erste offizielle Bestich des Zaren stattgefunden hatte, begannen sich Angriffe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289778"/>
          <fw type="header" place="top"> Finnland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_11" prev="#ID_10"> sowie die Privilegien und Gerechtsame, die jeder Stand in dein genannten Groß-<lb/>
sürsteutum besonders und alle Einwohner desselben im allgemeinen, so höhere<lb/>
wie niedere, bis jetzt der Konstitution gemäß genossen" hätten, bestätigte und<lb/>
&#x201E;alle diese Vorrechte und Verfassungen sest und unverrückt in ihrer vollen<lb/>
Kraft beizubehalten" gelobte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_12"> Die Finnländer waren damals ein im höchsten Grade ausgesvgeues Volk.<lb/>
Jahrhunderte lang hatte ihr Land Schweden und Rußland als Wahlplatz<lb/>
blutiger Kriege gedient, und sie waren uun unter dem neuen Regiment froh,<lb/>
daß sie sich ihrer wirtschaftlichen und geistige» Entwicklung widmen konnten,<lb/>
ein Streben, dem die russische Herrschaft keine Hindernisse in den Weg legte,<lb/>
denn sowohl Kaiser Alexander I. wie auch seine Nachfolger hielten die gegebenen<lb/>
Versprechungen. Wohl wirkte die äußerst despotische Regierung des Kaisers<lb/>
Nikolaus lähmend aus die Entwicklung des Landes, doch wurde ihm Nikolaus<lb/>
Nachfolger, Alexander II., ein neuer Förderer, indem er wieder 1863 den<lb/>
Landtag zusammenberief, der zunächst jedes fünfte und dann jedes dritte<lb/>
Jahr tagte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_13"> Das Laud entwickelte sich nun aufs günstigste, und einen nicht unwesentlichen<lb/>
Anteil daran hatte der Umstand, daß man die finnische Sprache mehr zur Gel¬<lb/>
tung zu bringen suchte. Bisher waren nämlich sieben Achtel der Bevölkerung<lb/>
der filmisch sprechenden Einwohner ohne finnische Schulen gewesen, und als<lb/>
Amtssprache hatte ausschließlich das Schwedische gedient. Um hierin Wandel<lb/>
zu schaffen, entstand um die Mitte dieses Jahrhunderts eine Bewegung, die<lb/>
darauf ausging, die finnisch sprechende Einwohnerschaft des Landes in den<lb/>
Besitz ihrer natürlichen Rechte zu bringe». Die Anhänger dieser Bewegung<lb/>
&#x2014; die Fennvmanni &#x2014; arbeiteten mit aller Kraft daran, finnische Schulen,<lb/>
Zeitungen, eine eigne Litteratur u. a. in. ins Leben zu rufen und mit deren<lb/>
Hilfe ihrem Volke den Boden für Westländische Kultur zu ebnen. Die Be¬<lb/>
wegung ging wie ein belebender Frühlingshauch durchs Land, und bald sollten<lb/>
sich auch ihre Früchte zeigen; das Volk begann sich freier zu fühlen, ein ge¬<lb/>
ordnetes Schulwesen und die kommunale Selbstverwaltung erstand, Handel<lb/>
und Industrie, Litteratur und Kunst kamen zur Blüte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_14" next="#ID_15"> Dieser allgemeine Aufschwung war es aber gerade, der die Aufmerksam¬<lb/>
keit weiter Kreise in Rußland auf Finnland zu lenken begann. Man wird<lb/>
wohl nicht fehlgehen in der Annahme, daß es die Wohlfahrt des Landes, die<lb/>
Ordnung, die darin herrschte, die Volksbildung und die Achtung, die man den<lb/>
Gesetzen zollte, waren, die den Neid des Stvckrnssentnms erregten, nicht un¬<lb/>
wahrscheinlich ist es aber auch, daß ihm das persönliche Wohlwollen der Zaren<lb/>
gegeir Finnland ein Dorn im Ange war. Doch hatte Rußland zunächst noch<lb/>
so viel mit seinen eignen Angelegenheiten zu thun, daß es keine Zeit fand,<lb/>
sich mit Finnland näher zu befassen. Erst von dem Zeitpunkt ab, wo der<lb/>
erste offizielle Bestich des Zaren stattgefunden hatte, begannen sich Angriffe</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] Finnland sowie die Privilegien und Gerechtsame, die jeder Stand in dein genannten Groß- sürsteutum besonders und alle Einwohner desselben im allgemeinen, so höhere wie niedere, bis jetzt der Konstitution gemäß genossen" hätten, bestätigte und „alle diese Vorrechte und Verfassungen sest und unverrückt in ihrer vollen Kraft beizubehalten" gelobte. Die Finnländer waren damals ein im höchsten Grade ausgesvgeues Volk. Jahrhunderte lang hatte ihr Land Schweden und Rußland als Wahlplatz blutiger Kriege gedient, und sie waren uun unter dem neuen Regiment froh, daß sie sich ihrer wirtschaftlichen und geistige» Entwicklung widmen konnten, ein Streben, dem die russische Herrschaft keine Hindernisse in den Weg legte, denn sowohl Kaiser Alexander I. wie auch seine Nachfolger hielten die gegebenen Versprechungen. Wohl wirkte die äußerst despotische Regierung des Kaisers Nikolaus lähmend aus die Entwicklung des Landes, doch wurde ihm Nikolaus Nachfolger, Alexander II., ein neuer Förderer, indem er wieder 1863 den Landtag zusammenberief, der zunächst jedes fünfte und dann jedes dritte Jahr tagte. Das Laud entwickelte sich nun aufs günstigste, und einen nicht unwesentlichen Anteil daran hatte der Umstand, daß man die finnische Sprache mehr zur Gel¬ tung zu bringen suchte. Bisher waren nämlich sieben Achtel der Bevölkerung der filmisch sprechenden Einwohner ohne finnische Schulen gewesen, und als Amtssprache hatte ausschließlich das Schwedische gedient. Um hierin Wandel zu schaffen, entstand um die Mitte dieses Jahrhunderts eine Bewegung, die darauf ausging, die finnisch sprechende Einwohnerschaft des Landes in den Besitz ihrer natürlichen Rechte zu bringe». Die Anhänger dieser Bewegung — die Fennvmanni — arbeiteten mit aller Kraft daran, finnische Schulen, Zeitungen, eine eigne Litteratur u. a. in. ins Leben zu rufen und mit deren Hilfe ihrem Volke den Boden für Westländische Kultur zu ebnen. Die Be¬ wegung ging wie ein belebender Frühlingshauch durchs Land, und bald sollten sich auch ihre Früchte zeigen; das Volk begann sich freier zu fühlen, ein ge¬ ordnetes Schulwesen und die kommunale Selbstverwaltung erstand, Handel und Industrie, Litteratur und Kunst kamen zur Blüte. Dieser allgemeine Aufschwung war es aber gerade, der die Aufmerksam¬ keit weiter Kreise in Rußland auf Finnland zu lenken begann. Man wird wohl nicht fehlgehen in der Annahme, daß es die Wohlfahrt des Landes, die Ordnung, die darin herrschte, die Volksbildung und die Achtung, die man den Gesetzen zollte, waren, die den Neid des Stvckrnssentnms erregten, nicht un¬ wahrscheinlich ist es aber auch, daß ihm das persönliche Wohlwollen der Zaren gegeir Finnland ein Dorn im Ange war. Doch hatte Rußland zunächst noch so viel mit seinen eignen Angelegenheiten zu thun, daß es keine Zeit fand, sich mit Finnland näher zu befassen. Erst von dem Zeitpunkt ab, wo der erste offizielle Bestich des Zaren stattgefunden hatte, begannen sich Angriffe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/10>, abgerufen am 23.07.2024.