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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Lin Streifzug durch das Gestrüpp der -srauenfrage

bedenken nicht, daß einmaliges Ausbessern das Übertünchen überflüssig macht,
und daß ein lückenhaftes, aber fleißig übertiinchtes Gebäude den Besitzer in
die Lage bringt, mit freundlichem Gesicht fortwährend vor dem Einsturz zittern
zu müssen.

Hat ein Mädchen mich Abschluß der Schulzeit eine Veranlassung, sich
einem "der dein andern Studium hauptsächlich zu widmen, so braucht es die
Übung im Lernen uicht zu verlieren. Zunächst handelt sichs hier nicht um
das Verwerten des Gelernten, sondern um die Möglichkeit des Verwertend
Das Hinarbeite" auf ein Ziel, sei es auch nur zur eignen Vervollkommnung,
und läge es noch so fern, würde in ein solches Leben den Zug hinein¬
bringen, ohne den bei tiefer angelegten Naturen keine Befriedigung, keine wahre
Lebensfreudigkeit möglich ist. Ich bin deshalb für die Gründung von Gym¬
nasien für Mädchen, aber durchaus nicht dafür, daß mit der Vergünstigung,
sie zu besuchen, schon irgend eine Verheißung verbunden würde. Denn es
soll damit das vvrhandne Streben nach besten Kräften befriedigt, nicht aber
ihm Vorschub geleistet werden. Mit Recht wird ja gefürchtet, daß ,,die ver¬
langte siebzehnjährige Lernarbeit (vom sechsten bis zum dreiundzwanzigsten
Jahre) die jungen Mädchen körperlich schwächen, geistig überreizen und
außerdem sehr leicht dem Familienleben entfremden" würde. Das weniger
widerstandsfähige Nervensystem und das dem männlichen an Leistungsfähigkeit
nachstehende Gehirn rächen sich fast ohne Ausnahme früher oder später sür
jede übertriebene Belastung. Es verhält sich hierin mit den Frauen ähnlich
wie mit den Juden: sie haben eine Reihe von Vorzügen, es giebt viele Vor¬
treffliche, ja Große unter ihnen, aber im allgemeinen kann die Veredlung ihres
innern Wesens gewisse Grenzen uicht überschreiten. Eine zweite Ähnlichkeit
erweckt die Befürchtung, daß der Verlauf von Angelegenheiten, die ausschließlich
von einer Schar von Frauen geleitet werden, nnr in den seltensten Fällen
mehr als einseitig befriedigend sein werde. Einzeln werden sie geschätzt, be¬
wundert und geliebt, aber in größerer Anzahl versammelt, erscheinen sie
uninteressant und abspannend. Könnten wir aber auch die Mädchen für durch¬
schnittlich ebenso kräftig und verwendbar erklären, wie die Männer, so ändert
sich doch das Verhältnis der Leistungsfähigkeit wesentlich nach der Verheiratung.
Während diese den Mann in der Ausübung seines Berufes uicht hindert, ihn
sogar in vielen Fällen zu erhöhter Anspannung seiner Kräfte führt, erschwert
sie diese der Frau, macht sie ihr meist ganz unmöglich. Eine Frau bedarf
ungewöhnlicher Geistes- und Körperkräfte, wenn sie ihren Pflichten als
Hausfrau, Gattin und Mutter dauernd genügen und sich daneben eingehend
und uutzenbringend mit andern Dingen beschäftigen will. Sollte sie die
Not zwingen, den Ernährer zu ersetzen, nicht nur ihr Haus zu führen und
ihre Kinder zu erziehen, sondern außerdem noch ein zeitraubendes Amt zu
versehen, so wird das Amt immer in erster Reihe stehen. Wie es der Wirt-


Lin Streifzug durch das Gestrüpp der -srauenfrage

bedenken nicht, daß einmaliges Ausbessern das Übertünchen überflüssig macht,
und daß ein lückenhaftes, aber fleißig übertiinchtes Gebäude den Besitzer in
die Lage bringt, mit freundlichem Gesicht fortwährend vor dem Einsturz zittern
zu müssen.

Hat ein Mädchen mich Abschluß der Schulzeit eine Veranlassung, sich
einem »der dein andern Studium hauptsächlich zu widmen, so braucht es die
Übung im Lernen uicht zu verlieren. Zunächst handelt sichs hier nicht um
das Verwerten des Gelernten, sondern um die Möglichkeit des Verwertend
Das Hinarbeite» auf ein Ziel, sei es auch nur zur eignen Vervollkommnung,
und läge es noch so fern, würde in ein solches Leben den Zug hinein¬
bringen, ohne den bei tiefer angelegten Naturen keine Befriedigung, keine wahre
Lebensfreudigkeit möglich ist. Ich bin deshalb für die Gründung von Gym¬
nasien für Mädchen, aber durchaus nicht dafür, daß mit der Vergünstigung,
sie zu besuchen, schon irgend eine Verheißung verbunden würde. Denn es
soll damit das vvrhandne Streben nach besten Kräften befriedigt, nicht aber
ihm Vorschub geleistet werden. Mit Recht wird ja gefürchtet, daß ,,die ver¬
langte siebzehnjährige Lernarbeit (vom sechsten bis zum dreiundzwanzigsten
Jahre) die jungen Mädchen körperlich schwächen, geistig überreizen und
außerdem sehr leicht dem Familienleben entfremden" würde. Das weniger
widerstandsfähige Nervensystem und das dem männlichen an Leistungsfähigkeit
nachstehende Gehirn rächen sich fast ohne Ausnahme früher oder später sür
jede übertriebene Belastung. Es verhält sich hierin mit den Frauen ähnlich
wie mit den Juden: sie haben eine Reihe von Vorzügen, es giebt viele Vor¬
treffliche, ja Große unter ihnen, aber im allgemeinen kann die Veredlung ihres
innern Wesens gewisse Grenzen uicht überschreiten. Eine zweite Ähnlichkeit
erweckt die Befürchtung, daß der Verlauf von Angelegenheiten, die ausschließlich
von einer Schar von Frauen geleitet werden, nnr in den seltensten Fällen
mehr als einseitig befriedigend sein werde. Einzeln werden sie geschätzt, be¬
wundert und geliebt, aber in größerer Anzahl versammelt, erscheinen sie
uninteressant und abspannend. Könnten wir aber auch die Mädchen für durch¬
schnittlich ebenso kräftig und verwendbar erklären, wie die Männer, so ändert
sich doch das Verhältnis der Leistungsfähigkeit wesentlich nach der Verheiratung.
Während diese den Mann in der Ausübung seines Berufes uicht hindert, ihn
sogar in vielen Fällen zu erhöhter Anspannung seiner Kräfte führt, erschwert
sie diese der Frau, macht sie ihr meist ganz unmöglich. Eine Frau bedarf
ungewöhnlicher Geistes- und Körperkräfte, wenn sie ihren Pflichten als
Hausfrau, Gattin und Mutter dauernd genügen und sich daneben eingehend
und uutzenbringend mit andern Dingen beschäftigen will. Sollte sie die
Not zwingen, den Ernährer zu ersetzen, nicht nur ihr Haus zu führen und
ihre Kinder zu erziehen, sondern außerdem noch ein zeitraubendes Amt zu
versehen, so wird das Amt immer in erster Reihe stehen. Wie es der Wirt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/99>, abgerufen am 24.07.2024.