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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ein Streifzug durch das Gestrüpp der Frauenfrage

Schuft dabei geht, wird von der Arbeitskraft der Betreffenden abhängen, aber
die Wartung und Erziehung der Kinder leidet unter allen Umständen dar¬
unter. Das bedeutet aber gar zu leicht nicht nnr deren Entartung im einzelnen
Falle, sondern es kann zur Entartung eines ganzen Volkes führen, wenn es
Gebrauch wird, daß Mütter die Beaufsichtigung ihrer Kinder als Nebensache
behandeln. Auch gestatten nur wenige Erwerbsarten das "Einspringen der
Frau in den Beruf des Mannes," wenn dieser unfähig geworden oder ge¬
storben ist, und in solchen Fällen bedarf die Frau nicht nur besonders prak¬
tischer Eigenschaften, fondern mich des Glückes, es mit anständigen, zuver¬
lässige" Leuten zu thun zu haben, die sich die anfängliche Unkenntnis der dem
"schwachen Geschlecht" ungehörigen nicht zu nutze macheu.

Es ist dem Staate also nicht zu verdenken, wenn er sich weigert, Opfer
zu bringen für die Entwicklung einer Kraft, in deren Natur es liegt, in dem
Augenblick zu versagen, wo sie nutzbar gemacht werden könnte. Man mache
deshalb den Mädchen das Studiren nicht unmöglich, aber schwer, und warte
mit ihrer Zulassung dazu, bis sie ein Alter erreicht haben, wo sie genau
wissen, was sie wollen, und welcher Art ihre Begabung ist, sodaß ihr Vil-
duugsdraug nicht mehr als Laune aufgefaßt werden kann; ein Alter ferner,
wo die Verheiratung als Ausnahme zu betrachten ist. Es würde sonst einem
gelehrten Dameuprvletariat Thür und Thor geöffnet und könnte leicht ge¬
schehen, daß der Ehrgeiz des Bauern, eiuen Studirten in der Familie zu
haben, sich auch auf die Tochter erstreckte; die Lust dazu würde ihm vergehe",
wenn er mit dem Anfangen warten müßte, bis die Tochter eine Zwanzigerin ist.
Schlimm genug, daß scho" so viele Jünglinge nur studiren, weil doch irgend
ein Beruf ergriffen werden muß, anstatt aus Begeisterung für die Wissenschaft,
der sie sich widmen. Die "Gefahr" des Heiratens kann man bei Mädchen
wohl mit dein dreißigsten Jahre als beendet ansehen. Von dieser Zeit an
gestatte man ihnen den Besuch von Universitäten, vielleicht nnr in wenigen,
dafür besonders geeigneten Städte". Der Termin sür den Eintritt ins Gym¬
nasium müßte entsprechend verlegt werden, Die vielen, die mit sechzehn
Jahren zu studiren beschlossen hatten, werden bis dahin zu einem kleinen
Häuflein zusammengeschmolzen sein; auf diese wenigen aber wird man sich
dafür in jeder Beziehung umso sicherer verlassen können. Wie diese Anstalten
einzurichten und wie an ihnen die zahlreichen Mängel der jetzigen Gymnasien
und Universitäten zu vermeiden wären, das zu ermessen, überlasse ich Be¬
rufener". Um die Verwendung der an ihnen ausgebildeten, selbst wenn sie
in die Lage kämen, sich selbst erhalten zu müssen, braucht man nicht verlegen
zu sein. Man wehrt sich besonders gegen Ärztinnen und Juristinnen. Philo-
lvgiuueu oder Philosophinnen werden wohl deshalb weniger gefürchtet, weil
es sich bei ihren Studien um Dinge handelt, deren Anfangsgründe unter den
Begriff der allgemeinen Bildung fallen, und von denen daher anzunehmen ist,


Ein Streifzug durch das Gestrüpp der Frauenfrage

Schuft dabei geht, wird von der Arbeitskraft der Betreffenden abhängen, aber
die Wartung und Erziehung der Kinder leidet unter allen Umständen dar¬
unter. Das bedeutet aber gar zu leicht nicht nnr deren Entartung im einzelnen
Falle, sondern es kann zur Entartung eines ganzen Volkes führen, wenn es
Gebrauch wird, daß Mütter die Beaufsichtigung ihrer Kinder als Nebensache
behandeln. Auch gestatten nur wenige Erwerbsarten das „Einspringen der
Frau in den Beruf des Mannes," wenn dieser unfähig geworden oder ge¬
storben ist, und in solchen Fällen bedarf die Frau nicht nur besonders prak¬
tischer Eigenschaften, fondern mich des Glückes, es mit anständigen, zuver¬
lässige» Leuten zu thun zu haben, die sich die anfängliche Unkenntnis der dem
„schwachen Geschlecht" ungehörigen nicht zu nutze macheu.

Es ist dem Staate also nicht zu verdenken, wenn er sich weigert, Opfer
zu bringen für die Entwicklung einer Kraft, in deren Natur es liegt, in dem
Augenblick zu versagen, wo sie nutzbar gemacht werden könnte. Man mache
deshalb den Mädchen das Studiren nicht unmöglich, aber schwer, und warte
mit ihrer Zulassung dazu, bis sie ein Alter erreicht haben, wo sie genau
wissen, was sie wollen, und welcher Art ihre Begabung ist, sodaß ihr Vil-
duugsdraug nicht mehr als Laune aufgefaßt werden kann; ein Alter ferner,
wo die Verheiratung als Ausnahme zu betrachten ist. Es würde sonst einem
gelehrten Dameuprvletariat Thür und Thor geöffnet und könnte leicht ge¬
schehen, daß der Ehrgeiz des Bauern, eiuen Studirten in der Familie zu
haben, sich auch auf die Tochter erstreckte; die Lust dazu würde ihm vergehe»,
wenn er mit dem Anfangen warten müßte, bis die Tochter eine Zwanzigerin ist.
Schlimm genug, daß scho» so viele Jünglinge nur studiren, weil doch irgend
ein Beruf ergriffen werden muß, anstatt aus Begeisterung für die Wissenschaft,
der sie sich widmen. Die „Gefahr" des Heiratens kann man bei Mädchen
wohl mit dein dreißigsten Jahre als beendet ansehen. Von dieser Zeit an
gestatte man ihnen den Besuch von Universitäten, vielleicht nnr in wenigen,
dafür besonders geeigneten Städte». Der Termin sür den Eintritt ins Gym¬
nasium müßte entsprechend verlegt werden, Die vielen, die mit sechzehn
Jahren zu studiren beschlossen hatten, werden bis dahin zu einem kleinen
Häuflein zusammengeschmolzen sein; auf diese wenigen aber wird man sich
dafür in jeder Beziehung umso sicherer verlassen können. Wie diese Anstalten
einzurichten und wie an ihnen die zahlreichen Mängel der jetzigen Gymnasien
und Universitäten zu vermeiden wären, das zu ermessen, überlasse ich Be¬
rufener«. Um die Verwendung der an ihnen ausgebildeten, selbst wenn sie
in die Lage kämen, sich selbst erhalten zu müssen, braucht man nicht verlegen
zu sein. Man wehrt sich besonders gegen Ärztinnen und Juristinnen. Philo-
lvgiuueu oder Philosophinnen werden wohl deshalb weniger gefürchtet, weil
es sich bei ihren Studien um Dinge handelt, deren Anfangsgründe unter den
Begriff der allgemeinen Bildung fallen, und von denen daher anzunehmen ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/100>, abgerufen am 24.07.2024.