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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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haben ihre Allmacht niemals mißbraucht." Dabei hat der Verfasser wohl
vor allen Joseph II. vergessen, nach dessen Tode Joh. Georg Müller um seinen
Bruder Johannes schrieb: "Joseph II. scheint mir ein Lehrer der Fürsten mehr
wegen seiner Schicksale als wegen seiner Thaten zu sein. Wohin Nach-
ahmungssucht, übelverstandene Aufklärung, Übermut und Ehrgeiz sühren, das
hat sich an seinem traurigen Beispiele so sürchterlich und abschreckend gezeigt,
daß mau an den Folgen wird sehen können, wie weit die Hohen der Erde
noch Sinn für diese Sprache Gottes durch Thaten haben. Ist je in der
menschlichen Geschichte ein Fürst gewesen, über den sich bis auf den letzten
seiner Tage alle Wetter des Schicksals so gehäuft, wie über Joseph II.? Der
großem Übermut, höhere Aussichten in den ersten Jahren seiner Regierung
gezeigt, und in den letzten mehr schimpfliche Demütigungen erfahren als er?
Es wäre ünßerst wichtig, seine geheime Geschichte, zumal die erste Bildung
seiner Jugend zu wissen, und zu erfahren, wie er dazu gekommen, gute Ab¬
sichten für hinreichend zu einer glücklichen Regierung zu halten." Allein wir
täuschen uns wohl, Graf Httbner hat sich wahrscheinlich dieses Monarchen
nicht erinnern wollen. Nicht der aufgeklärte, sondern der gemütliche Despo¬
tismus des Kaisers Franz ist das, was er bewundert. Er ist unerschöpflich
in Lobpreisungen seines Negieruugssystems, gestattet sich allerdings zu bemerke",
daß das "Wiedererwachen der praktischen Thätigkeit der Nation vielleicht(I) dnrch
den Staat ein wenig zu viel überwacht" worden sein möge, findet aber für
die Absperrung von dem geistigen Leben der übrigen Welt die triftige Ent¬
schuldigung, dadurch seien "die Massen gegen die Einschleppung des revolutio¬
nären Giftes geschützt worden. Es ist dies eins der vielen großen Verdienste
des Kaisers." Aber trat denn nicht gerade 1848 die Wirkung jenes Giftes
sehr deutlich zu Tage? Allerdings. Aber das hatte verschiedne Gründe.
Erstens wirkte in den gebildeten Klassen das System der Bevormundung
"weniger günstig"; zweitens verdarb die Regierung des Kaisers Ferdinand,
was die seines Vaters gut gemacht hatte; und drittens waren die Menschen,
die in Wien zu revolutionären Handlungen aufreizten, durchweg "Ausländer."
Das wird uns immer wieder versichert. Im Reichstage und in der Aula
die durch Bildung verdorbene Mittelklasse, ans den Straßen "Schweizer,
Polen, Preußen, Sachsen, Franzosen u. s. f.," die sich sogleich durch ihre
Sprache verraten! Und wer weiß, ob es im Oktober in Wien so weit ge¬
kommen wäre ohne die "Volksanfwiegler," den "Aimrchistenftthrer Blum" und
den "Litteraten Fröbel." Der Verfasser glaubt steif und fest, daß alle Auf¬
stände und Straßenkrawalle des Jahres 1848 von einer geheimen Leitung
angezettelt worden seien, und hält Blum offenbar für eins der mächtigsten
Häupter, wenn nicht für das Haupt dieser großen Verschwörung. Ob Blum
der Urheber der Ermordung Lichnowskys gewesen sei, will er nicht bestimmt
behaupten: "So lange kein Beweis vorgebracht wird, scheint der Zweifels!)


Gen vorachtundvierziczer

haben ihre Allmacht niemals mißbraucht." Dabei hat der Verfasser wohl
vor allen Joseph II. vergessen, nach dessen Tode Joh. Georg Müller um seinen
Bruder Johannes schrieb: „Joseph II. scheint mir ein Lehrer der Fürsten mehr
wegen seiner Schicksale als wegen seiner Thaten zu sein. Wohin Nach-
ahmungssucht, übelverstandene Aufklärung, Übermut und Ehrgeiz sühren, das
hat sich an seinem traurigen Beispiele so sürchterlich und abschreckend gezeigt,
daß mau an den Folgen wird sehen können, wie weit die Hohen der Erde
noch Sinn für diese Sprache Gottes durch Thaten haben. Ist je in der
menschlichen Geschichte ein Fürst gewesen, über den sich bis auf den letzten
seiner Tage alle Wetter des Schicksals so gehäuft, wie über Joseph II.? Der
großem Übermut, höhere Aussichten in den ersten Jahren seiner Regierung
gezeigt, und in den letzten mehr schimpfliche Demütigungen erfahren als er?
Es wäre ünßerst wichtig, seine geheime Geschichte, zumal die erste Bildung
seiner Jugend zu wissen, und zu erfahren, wie er dazu gekommen, gute Ab¬
sichten für hinreichend zu einer glücklichen Regierung zu halten." Allein wir
täuschen uns wohl, Graf Httbner hat sich wahrscheinlich dieses Monarchen
nicht erinnern wollen. Nicht der aufgeklärte, sondern der gemütliche Despo¬
tismus des Kaisers Franz ist das, was er bewundert. Er ist unerschöpflich
in Lobpreisungen seines Negieruugssystems, gestattet sich allerdings zu bemerke»,
daß das „Wiedererwachen der praktischen Thätigkeit der Nation vielleicht(I) dnrch
den Staat ein wenig zu viel überwacht" worden sein möge, findet aber für
die Absperrung von dem geistigen Leben der übrigen Welt die triftige Ent¬
schuldigung, dadurch seien „die Massen gegen die Einschleppung des revolutio¬
nären Giftes geschützt worden. Es ist dies eins der vielen großen Verdienste
des Kaisers." Aber trat denn nicht gerade 1848 die Wirkung jenes Giftes
sehr deutlich zu Tage? Allerdings. Aber das hatte verschiedne Gründe.
Erstens wirkte in den gebildeten Klassen das System der Bevormundung
„weniger günstig"; zweitens verdarb die Regierung des Kaisers Ferdinand,
was die seines Vaters gut gemacht hatte; und drittens waren die Menschen,
die in Wien zu revolutionären Handlungen aufreizten, durchweg „Ausländer."
Das wird uns immer wieder versichert. Im Reichstage und in der Aula
die durch Bildung verdorbene Mittelklasse, ans den Straßen „Schweizer,
Polen, Preußen, Sachsen, Franzosen u. s. f.," die sich sogleich durch ihre
Sprache verraten! Und wer weiß, ob es im Oktober in Wien so weit ge¬
kommen wäre ohne die „Volksanfwiegler," den „Aimrchistenftthrer Blum" und
den „Litteraten Fröbel." Der Verfasser glaubt steif und fest, daß alle Auf¬
stände und Straßenkrawalle des Jahres 1848 von einer geheimen Leitung
angezettelt worden seien, und hält Blum offenbar für eins der mächtigsten
Häupter, wenn nicht für das Haupt dieser großen Verschwörung. Ob Blum
der Urheber der Ermordung Lichnowskys gewesen sei, will er nicht bestimmt
behaupten: „So lange kein Beweis vorgebracht wird, scheint der Zweifels!)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/69>, abgerufen am 24.07.2024.