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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

durch die großen Bauwerke in Burgfesten und Häfen ein der genuesischen Küste
von beiden Parteien."

Die Florentiner, schreibt Leo im Anfange des vierten Bandes, beseelte
ein ähnlicher Geist der Unruhe und Streitlust wie die Genueser, "von denen
sie nur der Sinn für höhere Bildung und der Mangel matrosenartiger Natur
unterscheidet. Notwendige Bedingung innerer Ruhe ist auch bei ihnen Er¬
schöpfung oder äußerer Kampf, und in diesem raschen Streben sehen wir
mannichfaltigen Wechsel der Verfassung, weil jede Generntion die öffentlichen
Verhältnisse mit Gewalt oder durch Vertrag so zu ordnen suchte, daß die
durch Energie und Geist bedeutenden Individuell, sowie die durch ihre Kraft
oder ihre Mittel dem Staate wichtigern Stände auch in der Form des öffent¬
lichen Zustandes den Platz erhalten, der ihnen der Sache nach gebührt. Es
hat nicht an Historikern gefehlt, welche diesen Geist der Unruhe geschmäht
und ihn als ein unsittliches Element bezeichnet haben, während er allein es
doch ist, der rasch das grundböse Verhältnis, das aus einem Nichtznsammen-
trcffen des Wirklichen mit dem erkannten Bessern entsteht, aufhebt und so
nur ein Ausdruck höherer Sittlichkeit ist."

Waren solchergestalt Unruhe und Kampf das beste, weil das Natur¬
gemäße für die Italiener selbst, so bildeten sie zugleich auch die unerläßliche
Bedingung für die Erzeugung der eigentümlichen Gaben, mit denen die
italienischen Städte die Welt beschenken sollten. Wir wollen nicht von ihren
Leistungen in der Industrie, im Handel und in der Ingenieurkunst sprechen,
in deuen sie bald von den nordischen Völkern eingeholt wurden, noch von der
Begründung und Ordnung der Geldwirtschaft und des Bankwesens. Aber
wie hätte ohne jene uneingeschränkte Freiheit des Individuums, die der be¬
ständige Kriegszustand sicherte, eine bildende Kunst erstehen können, die nicht,
gleich der orientalischen und altchristlichen, an einen vorgeschriebnen Priester¬
kanon oder eine polizeilich überwachte Hofsitte gebunden war, sondern gleich
der altgriechischen ohne Scheu aus dem schöpferischen Geiste hervorspringen
und sich frei an der Natur bilden durfte? Und wie hätte ohne jene unge¬
zügelte Freiheit des Wortes und der Schrift, die nur bei vielfältiger Spaltung
der Gewalten und beim Fehlen einer durchgreifenden Zentralgewalt möglich
ist, jene große Bewegung der Geister entstehen können, von der auch unser
deutscher Humanismus ein Sprößling ist? jene Bewegung, die den Menschen-
geist aus dem dogmatisch-hierarchischen Gebäude Hinanstrieb, das sich aus
einer schützende" Hütte in eine Zwingburg der Geister zu verwandeln drohte?
Ja selbst die moderne Politik haben die italienischen Städte geschaffen und
obwohl selbst unfähig, einen Großstaat zu gründen, doch aus ihrer reichen
politischen Erfahrung gelernt, wie einer zu gründen sei, und als Republikaner
die Fürsten mit einem unübertrefflichen Lehrmeister beschenkt. Nur ein Zu¬
stand, wo jeder gezwungen ist, sich im freien .Kampfe seiner Haut gegen alle


Geschichtsphilosophische Gedanken

durch die großen Bauwerke in Burgfesten und Häfen ein der genuesischen Küste
von beiden Parteien."

Die Florentiner, schreibt Leo im Anfange des vierten Bandes, beseelte
ein ähnlicher Geist der Unruhe und Streitlust wie die Genueser, „von denen
sie nur der Sinn für höhere Bildung und der Mangel matrosenartiger Natur
unterscheidet. Notwendige Bedingung innerer Ruhe ist auch bei ihnen Er¬
schöpfung oder äußerer Kampf, und in diesem raschen Streben sehen wir
mannichfaltigen Wechsel der Verfassung, weil jede Generntion die öffentlichen
Verhältnisse mit Gewalt oder durch Vertrag so zu ordnen suchte, daß die
durch Energie und Geist bedeutenden Individuell, sowie die durch ihre Kraft
oder ihre Mittel dem Staate wichtigern Stände auch in der Form des öffent¬
lichen Zustandes den Platz erhalten, der ihnen der Sache nach gebührt. Es
hat nicht an Historikern gefehlt, welche diesen Geist der Unruhe geschmäht
und ihn als ein unsittliches Element bezeichnet haben, während er allein es
doch ist, der rasch das grundböse Verhältnis, das aus einem Nichtznsammen-
trcffen des Wirklichen mit dem erkannten Bessern entsteht, aufhebt und so
nur ein Ausdruck höherer Sittlichkeit ist."

Waren solchergestalt Unruhe und Kampf das beste, weil das Natur¬
gemäße für die Italiener selbst, so bildeten sie zugleich auch die unerläßliche
Bedingung für die Erzeugung der eigentümlichen Gaben, mit denen die
italienischen Städte die Welt beschenken sollten. Wir wollen nicht von ihren
Leistungen in der Industrie, im Handel und in der Ingenieurkunst sprechen,
in deuen sie bald von den nordischen Völkern eingeholt wurden, noch von der
Begründung und Ordnung der Geldwirtschaft und des Bankwesens. Aber
wie hätte ohne jene uneingeschränkte Freiheit des Individuums, die der be¬
ständige Kriegszustand sicherte, eine bildende Kunst erstehen können, die nicht,
gleich der orientalischen und altchristlichen, an einen vorgeschriebnen Priester¬
kanon oder eine polizeilich überwachte Hofsitte gebunden war, sondern gleich
der altgriechischen ohne Scheu aus dem schöpferischen Geiste hervorspringen
und sich frei an der Natur bilden durfte? Und wie hätte ohne jene unge¬
zügelte Freiheit des Wortes und der Schrift, die nur bei vielfältiger Spaltung
der Gewalten und beim Fehlen einer durchgreifenden Zentralgewalt möglich
ist, jene große Bewegung der Geister entstehen können, von der auch unser
deutscher Humanismus ein Sprößling ist? jene Bewegung, die den Menschen-
geist aus dem dogmatisch-hierarchischen Gebäude Hinanstrieb, das sich aus
einer schützende» Hütte in eine Zwingburg der Geister zu verwandeln drohte?
Ja selbst die moderne Politik haben die italienischen Städte geschaffen und
obwohl selbst unfähig, einen Großstaat zu gründen, doch aus ihrer reichen
politischen Erfahrung gelernt, wie einer zu gründen sei, und als Republikaner
die Fürsten mit einem unübertrefflichen Lehrmeister beschenkt. Nur ein Zu¬
stand, wo jeder gezwungen ist, sich im freien .Kampfe seiner Haut gegen alle


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[0607] Geschichtsphilosophische Gedanken durch die großen Bauwerke in Burgfesten und Häfen ein der genuesischen Küste von beiden Parteien." Die Florentiner, schreibt Leo im Anfange des vierten Bandes, beseelte ein ähnlicher Geist der Unruhe und Streitlust wie die Genueser, „von denen sie nur der Sinn für höhere Bildung und der Mangel matrosenartiger Natur unterscheidet. Notwendige Bedingung innerer Ruhe ist auch bei ihnen Er¬ schöpfung oder äußerer Kampf, und in diesem raschen Streben sehen wir mannichfaltigen Wechsel der Verfassung, weil jede Generntion die öffentlichen Verhältnisse mit Gewalt oder durch Vertrag so zu ordnen suchte, daß die durch Energie und Geist bedeutenden Individuell, sowie die durch ihre Kraft oder ihre Mittel dem Staate wichtigern Stände auch in der Form des öffent¬ lichen Zustandes den Platz erhalten, der ihnen der Sache nach gebührt. Es hat nicht an Historikern gefehlt, welche diesen Geist der Unruhe geschmäht und ihn als ein unsittliches Element bezeichnet haben, während er allein es doch ist, der rasch das grundböse Verhältnis, das aus einem Nichtznsammen- trcffen des Wirklichen mit dem erkannten Bessern entsteht, aufhebt und so nur ein Ausdruck höherer Sittlichkeit ist." Waren solchergestalt Unruhe und Kampf das beste, weil das Natur¬ gemäße für die Italiener selbst, so bildeten sie zugleich auch die unerläßliche Bedingung für die Erzeugung der eigentümlichen Gaben, mit denen die italienischen Städte die Welt beschenken sollten. Wir wollen nicht von ihren Leistungen in der Industrie, im Handel und in der Ingenieurkunst sprechen, in deuen sie bald von den nordischen Völkern eingeholt wurden, noch von der Begründung und Ordnung der Geldwirtschaft und des Bankwesens. Aber wie hätte ohne jene uneingeschränkte Freiheit des Individuums, die der be¬ ständige Kriegszustand sicherte, eine bildende Kunst erstehen können, die nicht, gleich der orientalischen und altchristlichen, an einen vorgeschriebnen Priester¬ kanon oder eine polizeilich überwachte Hofsitte gebunden war, sondern gleich der altgriechischen ohne Scheu aus dem schöpferischen Geiste hervorspringen und sich frei an der Natur bilden durfte? Und wie hätte ohne jene unge¬ zügelte Freiheit des Wortes und der Schrift, die nur bei vielfältiger Spaltung der Gewalten und beim Fehlen einer durchgreifenden Zentralgewalt möglich ist, jene große Bewegung der Geister entstehen können, von der auch unser deutscher Humanismus ein Sprößling ist? jene Bewegung, die den Menschen- geist aus dem dogmatisch-hierarchischen Gebäude Hinanstrieb, das sich aus einer schützende» Hütte in eine Zwingburg der Geister zu verwandeln drohte? Ja selbst die moderne Politik haben die italienischen Städte geschaffen und obwohl selbst unfähig, einen Großstaat zu gründen, doch aus ihrer reichen politischen Erfahrung gelernt, wie einer zu gründen sei, und als Republikaner die Fürsten mit einem unübertrefflichen Lehrmeister beschenkt. Nur ein Zu¬ stand, wo jeder gezwungen ist, sich im freien .Kampfe seiner Haut gegen alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/607>, abgerufen am 24.07.2024.