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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rokokostudien

zu der Erklärung herabließ, Hans Sachs habe nicht selten "eine solche
llirixlmÄn in seinen Reimen, welche uns verwundernd machen kann."

Natürlich stand die eigne Dichtung der Zeit ganz unter dem Banne des
Artigen und Galanten, "indem doch die Poesie -- wie sich ein Kunstthevretiker
ausdrückt, nichts anderes als eine Zg-lMts Art der Moquönt" ist." In witzigen
Einfällen des Lebens kleine Zierden zu besingen, ein tändelndes Spiel mit
Empfindungen zu treiben, "frische Lust am unbedeutenden Dasein" (Goethe)
zum Ausdruck zu bringen, galt als die Aufgabe des Dichters. Geister von
ursprünglicher Kraft, die in ihren Liedern den tiefsten Grund eines von
mächtiger Leidenschaft erschütterten Herzens offenbarten, nichts sein wollten
als Dichter, blieben unverstandne Erscheinungen. Joh. Christian Günthers
leichte Gesänge fanden viele Freunde, die Gedichte aber, in denen die Empfin¬
dungen einer von Schuld und Not gequälten Menschenseele in ergreifenden
Naturlauten zu uus reden, fanden keinen Wiederhall in den Herzen seiner Zeit¬
genossen. Was war er denn? Er war ja nur ein Dichter, der unstet und
heimatlos umherzog. Hätte er als Arzt seine Praxis gepflegt und daun in
seineu Feierstunden den Musen geopfert, so wäre ihm die allgemeine Aner-
kennung sicher gewesen.


Geschichte, Wissenschaft, Erfahrung, Umgang, Reisen.
Die bilden einen Geist, wie wir an Opitz preisen.
Wie kvnunts, daß unter ihm der muntre Günther steht?
Weil ihn die Dichtkunst nur und sonsten nichts erhöht.

Das war das Glaubensbekenntnis der Zeit, wie es Kästner einmal in einer
Betrachtung "Über einige Pflichten eines Dichters" (1745) ausdrückt. Die
ganze artige und galnute Dichtung ist ja nichts als Dilettantismus. Der
Dilettant aber, mit Goethe zu reden, "haßt das Mächtige, Leidenschaftliche,
Starkcharakteristische und stellt nur das Mittlere, Moralische dar." Der Dichter
mußte einen Rang in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen, erst dann konnte
er in der artigen und galanten Welt als ebenbürtig auftreten; der Lorbeer¬
kranz des gottbegnadeter Sängers gab ihm noch keinen genügenden Rechtstitel.
Benutzte er die ihm verliehene Gabe und nach der allerneuesten Mode aus¬
gebildete Kunst -- Wegweiser zu den Höhen des Parnasses gab es ja in
Hülle und Fülle --, festliche Tage zu verherrlichen, bei Hochzeiten und Kind¬
taufen mit witzigen Reimen aufzuwarten, so durfte er auf reichen Beifall
rechnen. Die Gelegenheitspoesie auf Grund des on> ut clvs war die Herrin
des Tages. In ganz andrer Weise noch, als es Ed. v. Hartmann von unsrer
Zeit behauptet, war der gesellige Verkehr eine "Schmeicheleiversicherungsanstalt
auf Gegenseitigkeit." Die Dichtung oder Massenreimerei trug diesem Bedürfnis
ausgiebig Rechnung.

Und wie man sich hochmütig abwendete von der Sprach- und Denkweise
der alten Dichtung, so empfand man ebenso lästig die Zeugnisse der frühern


Rokokostudien

zu der Erklärung herabließ, Hans Sachs habe nicht selten „eine solche
llirixlmÄn in seinen Reimen, welche uns verwundernd machen kann."

Natürlich stand die eigne Dichtung der Zeit ganz unter dem Banne des
Artigen und Galanten, „indem doch die Poesie — wie sich ein Kunstthevretiker
ausdrückt, nichts anderes als eine Zg-lMts Art der Moquönt« ist." In witzigen
Einfällen des Lebens kleine Zierden zu besingen, ein tändelndes Spiel mit
Empfindungen zu treiben, „frische Lust am unbedeutenden Dasein" (Goethe)
zum Ausdruck zu bringen, galt als die Aufgabe des Dichters. Geister von
ursprünglicher Kraft, die in ihren Liedern den tiefsten Grund eines von
mächtiger Leidenschaft erschütterten Herzens offenbarten, nichts sein wollten
als Dichter, blieben unverstandne Erscheinungen. Joh. Christian Günthers
leichte Gesänge fanden viele Freunde, die Gedichte aber, in denen die Empfin¬
dungen einer von Schuld und Not gequälten Menschenseele in ergreifenden
Naturlauten zu uus reden, fanden keinen Wiederhall in den Herzen seiner Zeit¬
genossen. Was war er denn? Er war ja nur ein Dichter, der unstet und
heimatlos umherzog. Hätte er als Arzt seine Praxis gepflegt und daun in
seineu Feierstunden den Musen geopfert, so wäre ihm die allgemeine Aner-
kennung sicher gewesen.


Geschichte, Wissenschaft, Erfahrung, Umgang, Reisen.
Die bilden einen Geist, wie wir an Opitz preisen.
Wie kvnunts, daß unter ihm der muntre Günther steht?
Weil ihn die Dichtkunst nur und sonsten nichts erhöht.

Das war das Glaubensbekenntnis der Zeit, wie es Kästner einmal in einer
Betrachtung „Über einige Pflichten eines Dichters" (1745) ausdrückt. Die
ganze artige und galnute Dichtung ist ja nichts als Dilettantismus. Der
Dilettant aber, mit Goethe zu reden, „haßt das Mächtige, Leidenschaftliche,
Starkcharakteristische und stellt nur das Mittlere, Moralische dar." Der Dichter
mußte einen Rang in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen, erst dann konnte
er in der artigen und galanten Welt als ebenbürtig auftreten; der Lorbeer¬
kranz des gottbegnadeter Sängers gab ihm noch keinen genügenden Rechtstitel.
Benutzte er die ihm verliehene Gabe und nach der allerneuesten Mode aus¬
gebildete Kunst — Wegweiser zu den Höhen des Parnasses gab es ja in
Hülle und Fülle —, festliche Tage zu verherrlichen, bei Hochzeiten und Kind¬
taufen mit witzigen Reimen aufzuwarten, so durfte er auf reichen Beifall
rechnen. Die Gelegenheitspoesie auf Grund des on> ut clvs war die Herrin
des Tages. In ganz andrer Weise noch, als es Ed. v. Hartmann von unsrer
Zeit behauptet, war der gesellige Verkehr eine „Schmeicheleiversicherungsanstalt
auf Gegenseitigkeit." Die Dichtung oder Massenreimerei trug diesem Bedürfnis
ausgiebig Rechnung.

Und wie man sich hochmütig abwendete von der Sprach- und Denkweise
der alten Dichtung, so empfand man ebenso lästig die Zeugnisse der frühern


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[0585] Rokokostudien zu der Erklärung herabließ, Hans Sachs habe nicht selten „eine solche llirixlmÄn in seinen Reimen, welche uns verwundernd machen kann." Natürlich stand die eigne Dichtung der Zeit ganz unter dem Banne des Artigen und Galanten, „indem doch die Poesie — wie sich ein Kunstthevretiker ausdrückt, nichts anderes als eine Zg-lMts Art der Moquönt« ist." In witzigen Einfällen des Lebens kleine Zierden zu besingen, ein tändelndes Spiel mit Empfindungen zu treiben, „frische Lust am unbedeutenden Dasein" (Goethe) zum Ausdruck zu bringen, galt als die Aufgabe des Dichters. Geister von ursprünglicher Kraft, die in ihren Liedern den tiefsten Grund eines von mächtiger Leidenschaft erschütterten Herzens offenbarten, nichts sein wollten als Dichter, blieben unverstandne Erscheinungen. Joh. Christian Günthers leichte Gesänge fanden viele Freunde, die Gedichte aber, in denen die Empfin¬ dungen einer von Schuld und Not gequälten Menschenseele in ergreifenden Naturlauten zu uus reden, fanden keinen Wiederhall in den Herzen seiner Zeit¬ genossen. Was war er denn? Er war ja nur ein Dichter, der unstet und heimatlos umherzog. Hätte er als Arzt seine Praxis gepflegt und daun in seineu Feierstunden den Musen geopfert, so wäre ihm die allgemeine Aner- kennung sicher gewesen. Geschichte, Wissenschaft, Erfahrung, Umgang, Reisen. Die bilden einen Geist, wie wir an Opitz preisen. Wie kvnunts, daß unter ihm der muntre Günther steht? Weil ihn die Dichtkunst nur und sonsten nichts erhöht. Das war das Glaubensbekenntnis der Zeit, wie es Kästner einmal in einer Betrachtung „Über einige Pflichten eines Dichters" (1745) ausdrückt. Die ganze artige und galnute Dichtung ist ja nichts als Dilettantismus. Der Dilettant aber, mit Goethe zu reden, „haßt das Mächtige, Leidenschaftliche, Starkcharakteristische und stellt nur das Mittlere, Moralische dar." Der Dichter mußte einen Rang in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen, erst dann konnte er in der artigen und galanten Welt als ebenbürtig auftreten; der Lorbeer¬ kranz des gottbegnadeter Sängers gab ihm noch keinen genügenden Rechtstitel. Benutzte er die ihm verliehene Gabe und nach der allerneuesten Mode aus¬ gebildete Kunst — Wegweiser zu den Höhen des Parnasses gab es ja in Hülle und Fülle —, festliche Tage zu verherrlichen, bei Hochzeiten und Kind¬ taufen mit witzigen Reimen aufzuwarten, so durfte er auf reichen Beifall rechnen. Die Gelegenheitspoesie auf Grund des on> ut clvs war die Herrin des Tages. In ganz andrer Weise noch, als es Ed. v. Hartmann von unsrer Zeit behauptet, war der gesellige Verkehr eine „Schmeicheleiversicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit." Die Dichtung oder Massenreimerei trug diesem Bedürfnis ausgiebig Rechnung. Und wie man sich hochmütig abwendete von der Sprach- und Denkweise der alten Dichtung, so empfand man ebenso lästig die Zeugnisse der frühern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/585>, abgerufen am 24.07.2024.