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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rokokostudien

ich weiß endlich nicht, ob nicht auch von Äpfeln und Birnen zum öfteren ge¬
sagt wird."

Wie wenig aber sein Spott gegen die Herrschaft des Wortes auszurichten
vermochte, zeigt die gleiche Klage, die siebenunddreißig Jahre später Gottsched
gegen den Eindringling erhebt. Dein rüstige" Sprachreiuiger war das vou
aller Welt gebrauchte galant ein Dorn im Auge. "Es hat -- so schreibt er in
seinen "Vernünftigen Tadlerinnen" -- unsern heutigen Sprachmischern so wohl
angestanden, daß sie es zu einem rechten Schcrwenzel gemachet, der überall
gelten muß. Man hört unter uns nicht nur von galanten Mannspersonen
und galanten Frauenzimmer, sondern von galanten Hunden, Pferden, Katzen
und Affen. Ein galantes Paar Stiefeln ist unsern jungen Herren nichts
Neues. Ju der Küche und Wirtschaft höret man oft von einem galanten
Ragout, Fricassee, Hammel- und Kälberbraten. Ja ich weiß mich zu ent¬
sinnen, daß ein gewisses Frauenzimmer einmal erzählte, wie sie ihren: Manne
letzlich einen galanten westphälischen Schinken vorgesetzet hätte. Mit einem
Worte, der Mißbrauch dieses Wortes ist so groß, daß alles, was man sehen,
hören, riechen, schmecken, fühlen und empfinden kann, galant, überaus galant
und vollkommen galant heißen muß." Natürlich fühlte der entrüstete Schreiber
die Verpflichtung, für das angegriffene Fremdwort einen geeigneten Ersatz aus
dein heimischen Reichtum vorzuschlagen. Er glaubte nichts besseres an seine
Stelle setzen zu können als artig. "Das Wort artig -- so begründet er seine
Ansicht -- hat auch wirklich nnter uns eine so weitläufige Bedeutung, daß es
mit dem französischen, wo nicht ganz und gar, doch unter allen andern um
meisten übereinstimmt und also gar wohl an seiner Stelle gebraucht werden
kann."

Die Verdrängung des Wortes galant konnte Gottsched freilich nicht ge¬
lingen, so lange das Vorbild fremder Kultur, der Zauber von Paris noch
herrschte. Wohl aber gewinnt das Wort artig neben galant seinen eignen
Wert; es stellt sich gleichberechtigt daneben, übernimmt auch die Stellver¬
tretung, ja beide verbinden sich oft zu einem Ganzen, und in ihrer Verbindung
stellen sie recht eigentlich die Elemente dar, die sich in der Kultur der Zeit
vereinigen. Das Artige bringt als Mitgift die natürliche Anlage, die heimische
Gefälligkeit, das Galaute den Glanz und die Feinheit fremder Bildung. Erst
hat galant den vollem Klang; im Laufe der Zeit auch ein Zeichen des
allmählichen Kulturwnndels -- gewinnt der Begriff artig reichern Gehalt, der
Ausdruck galant verwelkt, wird immer nichtiger und bedeutungsloser. Mail
denke an den Gebrauch des Wortes artig bei Goethe. Welche Fülle birgt
es hier! Es gehört zu den Lieblingen des Dichters (wie bedeutend, gelassen,
löblich, heiter n. a.).

Die Grenzen beider Begriffe wurden meist nur unklar empfunden, gerade
ihre Verschwommenheit machte sie zu bequemen Münzen, mit, denen man in


Greuzlwten U IL91 7';
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ich weiß endlich nicht, ob nicht auch von Äpfeln und Birnen zum öfteren ge¬
sagt wird."

Wie wenig aber sein Spott gegen die Herrschaft des Wortes auszurichten
vermochte, zeigt die gleiche Klage, die siebenunddreißig Jahre später Gottsched
gegen den Eindringling erhebt. Dein rüstige» Sprachreiuiger war das vou
aller Welt gebrauchte galant ein Dorn im Auge. „Es hat — so schreibt er in
seinen »Vernünftigen Tadlerinnen« — unsern heutigen Sprachmischern so wohl
angestanden, daß sie es zu einem rechten Schcrwenzel gemachet, der überall
gelten muß. Man hört unter uns nicht nur von galanten Mannspersonen
und galanten Frauenzimmer, sondern von galanten Hunden, Pferden, Katzen
und Affen. Ein galantes Paar Stiefeln ist unsern jungen Herren nichts
Neues. Ju der Küche und Wirtschaft höret man oft von einem galanten
Ragout, Fricassee, Hammel- und Kälberbraten. Ja ich weiß mich zu ent¬
sinnen, daß ein gewisses Frauenzimmer einmal erzählte, wie sie ihren: Manne
letzlich einen galanten westphälischen Schinken vorgesetzet hätte. Mit einem
Worte, der Mißbrauch dieses Wortes ist so groß, daß alles, was man sehen,
hören, riechen, schmecken, fühlen und empfinden kann, galant, überaus galant
und vollkommen galant heißen muß." Natürlich fühlte der entrüstete Schreiber
die Verpflichtung, für das angegriffene Fremdwort einen geeigneten Ersatz aus
dein heimischen Reichtum vorzuschlagen. Er glaubte nichts besseres an seine
Stelle setzen zu können als artig. „Das Wort artig — so begründet er seine
Ansicht — hat auch wirklich nnter uns eine so weitläufige Bedeutung, daß es
mit dem französischen, wo nicht ganz und gar, doch unter allen andern um
meisten übereinstimmt und also gar wohl an seiner Stelle gebraucht werden
kann."

Die Verdrängung des Wortes galant konnte Gottsched freilich nicht ge¬
lingen, so lange das Vorbild fremder Kultur, der Zauber von Paris noch
herrschte. Wohl aber gewinnt das Wort artig neben galant seinen eignen
Wert; es stellt sich gleichberechtigt daneben, übernimmt auch die Stellver¬
tretung, ja beide verbinden sich oft zu einem Ganzen, und in ihrer Verbindung
stellen sie recht eigentlich die Elemente dar, die sich in der Kultur der Zeit
vereinigen. Das Artige bringt als Mitgift die natürliche Anlage, die heimische
Gefälligkeit, das Galaute den Glanz und die Feinheit fremder Bildung. Erst
hat galant den vollem Klang; im Laufe der Zeit auch ein Zeichen des
allmählichen Kulturwnndels — gewinnt der Begriff artig reichern Gehalt, der
Ausdruck galant verwelkt, wird immer nichtiger und bedeutungsloser. Mail
denke an den Gebrauch des Wortes artig bei Goethe. Welche Fülle birgt
es hier! Es gehört zu den Lieblingen des Dichters (wie bedeutend, gelassen,
löblich, heiter n. a.).

Die Grenzen beider Begriffe wurden meist nur unklar empfunden, gerade
ihre Verschwommenheit machte sie zu bequemen Münzen, mit, denen man in


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[0581] Rokokostudien ich weiß endlich nicht, ob nicht auch von Äpfeln und Birnen zum öfteren ge¬ sagt wird." Wie wenig aber sein Spott gegen die Herrschaft des Wortes auszurichten vermochte, zeigt die gleiche Klage, die siebenunddreißig Jahre später Gottsched gegen den Eindringling erhebt. Dein rüstige» Sprachreiuiger war das vou aller Welt gebrauchte galant ein Dorn im Auge. „Es hat — so schreibt er in seinen »Vernünftigen Tadlerinnen« — unsern heutigen Sprachmischern so wohl angestanden, daß sie es zu einem rechten Schcrwenzel gemachet, der überall gelten muß. Man hört unter uns nicht nur von galanten Mannspersonen und galanten Frauenzimmer, sondern von galanten Hunden, Pferden, Katzen und Affen. Ein galantes Paar Stiefeln ist unsern jungen Herren nichts Neues. Ju der Küche und Wirtschaft höret man oft von einem galanten Ragout, Fricassee, Hammel- und Kälberbraten. Ja ich weiß mich zu ent¬ sinnen, daß ein gewisses Frauenzimmer einmal erzählte, wie sie ihren: Manne letzlich einen galanten westphälischen Schinken vorgesetzet hätte. Mit einem Worte, der Mißbrauch dieses Wortes ist so groß, daß alles, was man sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen und empfinden kann, galant, überaus galant und vollkommen galant heißen muß." Natürlich fühlte der entrüstete Schreiber die Verpflichtung, für das angegriffene Fremdwort einen geeigneten Ersatz aus dein heimischen Reichtum vorzuschlagen. Er glaubte nichts besseres an seine Stelle setzen zu können als artig. „Das Wort artig — so begründet er seine Ansicht — hat auch wirklich nnter uns eine so weitläufige Bedeutung, daß es mit dem französischen, wo nicht ganz und gar, doch unter allen andern um meisten übereinstimmt und also gar wohl an seiner Stelle gebraucht werden kann." Die Verdrängung des Wortes galant konnte Gottsched freilich nicht ge¬ lingen, so lange das Vorbild fremder Kultur, der Zauber von Paris noch herrschte. Wohl aber gewinnt das Wort artig neben galant seinen eignen Wert; es stellt sich gleichberechtigt daneben, übernimmt auch die Stellver¬ tretung, ja beide verbinden sich oft zu einem Ganzen, und in ihrer Verbindung stellen sie recht eigentlich die Elemente dar, die sich in der Kultur der Zeit vereinigen. Das Artige bringt als Mitgift die natürliche Anlage, die heimische Gefälligkeit, das Galaute den Glanz und die Feinheit fremder Bildung. Erst hat galant den vollem Klang; im Laufe der Zeit auch ein Zeichen des allmählichen Kulturwnndels — gewinnt der Begriff artig reichern Gehalt, der Ausdruck galant verwelkt, wird immer nichtiger und bedeutungsloser. Mail denke an den Gebrauch des Wortes artig bei Goethe. Welche Fülle birgt es hier! Es gehört zu den Lieblingen des Dichters (wie bedeutend, gelassen, löblich, heiter n. a.). Die Grenzen beider Begriffe wurden meist nur unklar empfunden, gerade ihre Verschwommenheit machte sie zu bequemen Münzen, mit, denen man in Greuzlwten U IL91 7';

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/581>, abgerufen am 24.07.2024.