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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rokokostudie"

Unverstand mit Wehmut zu genießen, der kann, wenn er den lustigen Seiten¬
sprüngen und Verirrungen des Sprachgeistes bis in das Zeitalter des um
as siöels folgt, seine Rechnung finden. Es werden sich stattliche Beiträge zu
einem I)le,tivnna,ii'<z ctos rives tavorits aufdrängen. Ganz undankbar erscheint
die Aufgabe uicht. Eine Art von Methode wird sich auch in dem Wahnsinn
erweisen lassen. Ob freilich die gewonnene Einsicht auch zu der aufgewendete"
Mühe im rechten Verhältnisse stehen wird, ist zweifelhaft. Enthebt man aber
die Betrachtung der engen Sphäre und dehnt den Begriff ans die Lieblings¬
und Schlagwörter ganzer Perioden und hervorragender Menschen aus, so ge¬
winnt man sofort ein weites Gesichtsfeld. Wer die Lieblingswörter einer Zeit
kennt und deutet, der kennt auch ihre Ideale, ihr Denken und Fühlen, ihr
Hoffen und Sehnen.

Zwei solcher Begriffe, die für lange Zeit den bis zum Überdruß ge¬
brauchten Ausdruck der letzten Ziele geselliger und ästhetischer Kultur gebildet
haben, sind die Wörter artig und galant. Unter ihrem Zeichen steht die Zeit
des Rokoko, dessen Wesenseigenheiten gerade in ihnen die beste Sprachprägung
gefunden haben.

Die Geschichte des Wortes galant, das in geschwächter und verblaßter
Vedeutuug heute gewiß keine Zierde unsrer Sprache mehr bildet, hat in Rudolf
Hildebrand einen Darsteller gefunden, der der Entwicklung des Begriffes in
allen seinen Schattirungen aufs sorgfältigste nachgegangen ist. Der Artikel
Galant in Grimms Wörterbuche ist eine wahre Fundgrube sprachlicher und
kulturgeschichtlicher Belehrung. Das Wort drang ungefähr feit 1670 in unsre
Sprache ein und wurde dem verwelschten Geschlechte dieser Zeit rasch unent¬
behrlich.

Der arge Mißbrauch, der bald mit dem Modewvrte getrieben wurde,
erregte die Entrüstung ernster Gemüter und rief lauten Widerspruch hervor.
Im Jahre 1687 erschien in deutscher Sprache zum Entsetzen der in ihren
heiligsten Gefühlen beleidigten Gelehrtenzunft ein Anschlag am schwarzen Brett
der Leipziger Universität: "Lbristian?boink>,8 eröffnet der studierenden Jugend
zu Leipzig in einem visoours, welcher Gestalt man denen Frantzosen im ge¬
meinen Leben und Wandel nachahmen solle? ein Oollossiuin über des 6ra,lig,n8
Grund-Reguln, vernünftig, klug und artig zu leben." Der kühne Neuerer
erkennt das Übergewicht und die bildende Kraft des französischen Geistes willig
an und meint nur, daß matt in der Nachahmung "das rechte Pslöckchen" noch
nicht getroffen habe. Als ihm bei seinen Ausführungen das Wort galant in
die Feder kommt, unterbricht er sich selbst mit der Fage: "Aber proxo"
was ist galant und ein galanter Mensch? Dieses dürfte uns in Wahrheit
mehr zu thu" machen, als alles vorige, zumahlen da dieses Wort bey uns
Teutschen so gemein lind so sehr gemißbraucht worden, daß es von Hund und
Katzen, von Pantoffeln, von Tisch und Bänken, von Feder und Tinten, und


Rokokostudie»

Unverstand mit Wehmut zu genießen, der kann, wenn er den lustigen Seiten¬
sprüngen und Verirrungen des Sprachgeistes bis in das Zeitalter des um
as siöels folgt, seine Rechnung finden. Es werden sich stattliche Beiträge zu
einem I)le,tivnna,ii'<z ctos rives tavorits aufdrängen. Ganz undankbar erscheint
die Aufgabe uicht. Eine Art von Methode wird sich auch in dem Wahnsinn
erweisen lassen. Ob freilich die gewonnene Einsicht auch zu der aufgewendete»
Mühe im rechten Verhältnisse stehen wird, ist zweifelhaft. Enthebt man aber
die Betrachtung der engen Sphäre und dehnt den Begriff ans die Lieblings¬
und Schlagwörter ganzer Perioden und hervorragender Menschen aus, so ge¬
winnt man sofort ein weites Gesichtsfeld. Wer die Lieblingswörter einer Zeit
kennt und deutet, der kennt auch ihre Ideale, ihr Denken und Fühlen, ihr
Hoffen und Sehnen.

Zwei solcher Begriffe, die für lange Zeit den bis zum Überdruß ge¬
brauchten Ausdruck der letzten Ziele geselliger und ästhetischer Kultur gebildet
haben, sind die Wörter artig und galant. Unter ihrem Zeichen steht die Zeit
des Rokoko, dessen Wesenseigenheiten gerade in ihnen die beste Sprachprägung
gefunden haben.

Die Geschichte des Wortes galant, das in geschwächter und verblaßter
Vedeutuug heute gewiß keine Zierde unsrer Sprache mehr bildet, hat in Rudolf
Hildebrand einen Darsteller gefunden, der der Entwicklung des Begriffes in
allen seinen Schattirungen aufs sorgfältigste nachgegangen ist. Der Artikel
Galant in Grimms Wörterbuche ist eine wahre Fundgrube sprachlicher und
kulturgeschichtlicher Belehrung. Das Wort drang ungefähr feit 1670 in unsre
Sprache ein und wurde dem verwelschten Geschlechte dieser Zeit rasch unent¬
behrlich.

Der arge Mißbrauch, der bald mit dem Modewvrte getrieben wurde,
erregte die Entrüstung ernster Gemüter und rief lauten Widerspruch hervor.
Im Jahre 1687 erschien in deutscher Sprache zum Entsetzen der in ihren
heiligsten Gefühlen beleidigten Gelehrtenzunft ein Anschlag am schwarzen Brett
der Leipziger Universität: „Lbristian?boink>,8 eröffnet der studierenden Jugend
zu Leipzig in einem visoours, welcher Gestalt man denen Frantzosen im ge¬
meinen Leben und Wandel nachahmen solle? ein Oollossiuin über des 6ra,lig,n8
Grund-Reguln, vernünftig, klug und artig zu leben." Der kühne Neuerer
erkennt das Übergewicht und die bildende Kraft des französischen Geistes willig
an und meint nur, daß matt in der Nachahmung „das rechte Pslöckchen" noch
nicht getroffen habe. Als ihm bei seinen Ausführungen das Wort galant in
die Feder kommt, unterbricht er sich selbst mit der Fage: „Aber proxo«
was ist galant und ein galanter Mensch? Dieses dürfte uns in Wahrheit
mehr zu thu» machen, als alles vorige, zumahlen da dieses Wort bey uns
Teutschen so gemein lind so sehr gemißbraucht worden, daß es von Hund und
Katzen, von Pantoffeln, von Tisch und Bänken, von Feder und Tinten, und


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[0580] Rokokostudie» Unverstand mit Wehmut zu genießen, der kann, wenn er den lustigen Seiten¬ sprüngen und Verirrungen des Sprachgeistes bis in das Zeitalter des um as siöels folgt, seine Rechnung finden. Es werden sich stattliche Beiträge zu einem I)le,tivnna,ii'<z ctos rives tavorits aufdrängen. Ganz undankbar erscheint die Aufgabe uicht. Eine Art von Methode wird sich auch in dem Wahnsinn erweisen lassen. Ob freilich die gewonnene Einsicht auch zu der aufgewendete» Mühe im rechten Verhältnisse stehen wird, ist zweifelhaft. Enthebt man aber die Betrachtung der engen Sphäre und dehnt den Begriff ans die Lieblings¬ und Schlagwörter ganzer Perioden und hervorragender Menschen aus, so ge¬ winnt man sofort ein weites Gesichtsfeld. Wer die Lieblingswörter einer Zeit kennt und deutet, der kennt auch ihre Ideale, ihr Denken und Fühlen, ihr Hoffen und Sehnen. Zwei solcher Begriffe, die für lange Zeit den bis zum Überdruß ge¬ brauchten Ausdruck der letzten Ziele geselliger und ästhetischer Kultur gebildet haben, sind die Wörter artig und galant. Unter ihrem Zeichen steht die Zeit des Rokoko, dessen Wesenseigenheiten gerade in ihnen die beste Sprachprägung gefunden haben. Die Geschichte des Wortes galant, das in geschwächter und verblaßter Vedeutuug heute gewiß keine Zierde unsrer Sprache mehr bildet, hat in Rudolf Hildebrand einen Darsteller gefunden, der der Entwicklung des Begriffes in allen seinen Schattirungen aufs sorgfältigste nachgegangen ist. Der Artikel Galant in Grimms Wörterbuche ist eine wahre Fundgrube sprachlicher und kulturgeschichtlicher Belehrung. Das Wort drang ungefähr feit 1670 in unsre Sprache ein und wurde dem verwelschten Geschlechte dieser Zeit rasch unent¬ behrlich. Der arge Mißbrauch, der bald mit dem Modewvrte getrieben wurde, erregte die Entrüstung ernster Gemüter und rief lauten Widerspruch hervor. Im Jahre 1687 erschien in deutscher Sprache zum Entsetzen der in ihren heiligsten Gefühlen beleidigten Gelehrtenzunft ein Anschlag am schwarzen Brett der Leipziger Universität: „Lbristian?boink>,8 eröffnet der studierenden Jugend zu Leipzig in einem visoours, welcher Gestalt man denen Frantzosen im ge¬ meinen Leben und Wandel nachahmen solle? ein Oollossiuin über des 6ra,lig,n8 Grund-Reguln, vernünftig, klug und artig zu leben." Der kühne Neuerer erkennt das Übergewicht und die bildende Kraft des französischen Geistes willig an und meint nur, daß matt in der Nachahmung „das rechte Pslöckchen" noch nicht getroffen habe. Als ihm bei seinen Ausführungen das Wort galant in die Feder kommt, unterbricht er sich selbst mit der Fage: „Aber proxo« was ist galant und ein galanter Mensch? Dieses dürfte uns in Wahrheit mehr zu thu» machen, als alles vorige, zumahlen da dieses Wort bey uns Teutschen so gemein lind so sehr gemißbraucht worden, daß es von Hund und Katzen, von Pantoffeln, von Tisch und Bänken, von Feder und Tinten, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/580>, abgerufen am 24.07.2024.