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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Tndwig Aiizengruber

die übereifrig Frommen Nebensache, und es ist doch eines seiner kräftigsten
Schauspiele geworden. Eine gereifte Hofbesitzerin verliebt sich in ihren jungen
schönen Großknecht und ist willens, ihn zu heiraten. Ihre Großdirn und
Erzieherin, eine alte Betschwester, die sich mit fremdem Gut den Himmel
erkaufen will und darauf rechnet, daß der Hof ihrer ledigen Herrin einmal
Kirchengut werde, da sonst keine Erben vorhanden sind, hintertreibt diesen
Plan, indem sie der Verliebten entdeckt, daß ihr geliebter Knecht ein Mädchen
mit seinem Kinde ganz gewissenlos hat sitzen lassen. Wie sich nun die Bäuerin
mit der Verlassenen verständigt und auf die Ehe verzichtet, der frommen Erb¬
schleicherin aber doch schließlich die Rechnung dadurch verdirbt, daß sie den
Knaben des treulosen Mannes zum Hoferben einsetzt, das ist mit großer Fein¬
heit und Schönheit durchgeführt. In einem andern Stücke, in "Hand und
Herz," ergreift Aiizengruber mit packender Beredsamkeit Partei gegen daS Gesetz
der Unlösbarkeit der katholischen Ehe. Eine reiche Müllerstochter ist das
Opfer eines gewissenlosen Menschen geworden, den sie unvorsichtigerweise ge¬
heiratet hat. Nachdem er ihr Vermögen durchgebracht hat, hat er sie verlassen
und ist schließlich auf mehrere Jahre ins Zuchthaus gekommen. Das Weib
hat inzwischen einen anständigen Mann geheiratet, bei dem sie als Magd ein¬
getreten war, hat ihm aber ihre Vergangenheit verschwiegen, was sich nun
tragisch rächt. Deun nun kommt Leonhard ans dem Zuchthaus zurück, pocht
auf seine Rechte und will sich sein Schweigen nur mit schwerem Gelde er¬
kaufen lassen. In ehnischer Weise reizt er den zweiten Gatten seiner Fran,
der ihn darauf in höchster Wild umbringt. Solche Strolche hat Aiizengruber
in vielen Exemplaren gezeichnet; neben dem raffinirten Bösewicht Leonhard ist
der Hubmair vom "Fleck auf der Ehr" ein lustiges Original von Gewohnheitsdieb.
Ein andres ist meisterhaft in der merkwürdigen Geschichte der Hoisel-Loisel
gezeichnet, einer Erzählung, die auch deswegen interessant ist, weil sie als ein
Beispiel gelten kann, wie Aiizengruber ein und dasselbe Motiv vielfach variirt
und in ganz verschiedenen Stimmungen und Beziehungen ausgeführt hat. Auch
hier kommt ein Zuchthäusler wieder in seine Heimat zurück, um sich bei einer
Fran einzunisten. Aber es ist eine ganz andre Geschichte daraus geworden
als in "Hand und Herz." So ist auch das Motiv des "Sündkindes" i"
der verschiedensten Weise von ihm ausgeführt worden: im "Gwissenswnrm"
ganz anders als im ,.Schandfleck" und anders als im "Sündkind." Scheinbar
wiederholen sich dieselben Vorgänge, aber des Dichters Blick erkennt ihre Ver¬
schiedenheit. Wenn zwei dasselbe thun, so ist es eben nicht dasselbe. Für
die packende Kraft der Anzengruberschen Darstellungsgabe kann eine der schönsten
Gespenster- und Kriminalgeschichten zeugen, die wohl je geschrieben worden
sind: "Der Verschollene."

Hier halten wir inne, denn es war nicht unsre Absicht, den Reichtum der
Anzeiigrnberschei, Begabung und Produktion in seiner Mannichfaltigkeit zu l>e-


Tndwig Aiizengruber

die übereifrig Frommen Nebensache, und es ist doch eines seiner kräftigsten
Schauspiele geworden. Eine gereifte Hofbesitzerin verliebt sich in ihren jungen
schönen Großknecht und ist willens, ihn zu heiraten. Ihre Großdirn und
Erzieherin, eine alte Betschwester, die sich mit fremdem Gut den Himmel
erkaufen will und darauf rechnet, daß der Hof ihrer ledigen Herrin einmal
Kirchengut werde, da sonst keine Erben vorhanden sind, hintertreibt diesen
Plan, indem sie der Verliebten entdeckt, daß ihr geliebter Knecht ein Mädchen
mit seinem Kinde ganz gewissenlos hat sitzen lassen. Wie sich nun die Bäuerin
mit der Verlassenen verständigt und auf die Ehe verzichtet, der frommen Erb¬
schleicherin aber doch schließlich die Rechnung dadurch verdirbt, daß sie den
Knaben des treulosen Mannes zum Hoferben einsetzt, das ist mit großer Fein¬
heit und Schönheit durchgeführt. In einem andern Stücke, in „Hand und
Herz," ergreift Aiizengruber mit packender Beredsamkeit Partei gegen daS Gesetz
der Unlösbarkeit der katholischen Ehe. Eine reiche Müllerstochter ist das
Opfer eines gewissenlosen Menschen geworden, den sie unvorsichtigerweise ge¬
heiratet hat. Nachdem er ihr Vermögen durchgebracht hat, hat er sie verlassen
und ist schließlich auf mehrere Jahre ins Zuchthaus gekommen. Das Weib
hat inzwischen einen anständigen Mann geheiratet, bei dem sie als Magd ein¬
getreten war, hat ihm aber ihre Vergangenheit verschwiegen, was sich nun
tragisch rächt. Deun nun kommt Leonhard ans dem Zuchthaus zurück, pocht
auf seine Rechte und will sich sein Schweigen nur mit schwerem Gelde er¬
kaufen lassen. In ehnischer Weise reizt er den zweiten Gatten seiner Fran,
der ihn darauf in höchster Wild umbringt. Solche Strolche hat Aiizengruber
in vielen Exemplaren gezeichnet; neben dem raffinirten Bösewicht Leonhard ist
der Hubmair vom „Fleck auf der Ehr" ein lustiges Original von Gewohnheitsdieb.
Ein andres ist meisterhaft in der merkwürdigen Geschichte der Hoisel-Loisel
gezeichnet, einer Erzählung, die auch deswegen interessant ist, weil sie als ein
Beispiel gelten kann, wie Aiizengruber ein und dasselbe Motiv vielfach variirt
und in ganz verschiedenen Stimmungen und Beziehungen ausgeführt hat. Auch
hier kommt ein Zuchthäusler wieder in seine Heimat zurück, um sich bei einer
Fran einzunisten. Aber es ist eine ganz andre Geschichte daraus geworden
als in „Hand und Herz." So ist auch das Motiv des „Sündkindes" i»
der verschiedensten Weise von ihm ausgeführt worden: im „Gwissenswnrm"
ganz anders als im ,.Schandfleck" und anders als im „Sündkind." Scheinbar
wiederholen sich dieselben Vorgänge, aber des Dichters Blick erkennt ihre Ver¬
schiedenheit. Wenn zwei dasselbe thun, so ist es eben nicht dasselbe. Für
die packende Kraft der Anzengruberschen Darstellungsgabe kann eine der schönsten
Gespenster- und Kriminalgeschichten zeugen, die wohl je geschrieben worden
sind: „Der Verschollene."

Hier halten wir inne, denn es war nicht unsre Absicht, den Reichtum der
Anzeiigrnberschei, Begabung und Produktion in seiner Mannichfaltigkeit zu l>e-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/56>, abgerufen am 24.07.2024.