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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

Die Leidenschaftlichkeit, die Verblendung, die Übertreibung, die Verlogen¬
heit, die der Unparteiische den Parteien mit sittlicher Entrüstung vorzuhalten
pflegt, gehören zum Wesen der Partei. Was wir ini, vorhergehenden Abschnitt
vom Manne der That sagten, daß er seine Ansicht für die allein berechtigte
halten müsse, weil sonst seine Thatkraft erlahme, das gilt natürlich noch mehr
für ganze Gruppen der Thätigen, weil, sobald hier Zweifel auftauchen, zur
Mattherzigkeit, Unentschlossenheit und Schüchternheit auch uoch die Uneinigkeit
kommt. Die Einigkeit einer Partei wird um besten dadurch aufrecht erhalten,
daß die Parteigenossen gleich jenen Schuljuugeu in Hans Hoffmanns Novelle
(Grenzboten Ur. 19) ihr Haupt für unfehlbar ansehen, weil dieses sich selber
dafür hält. Und so sind wir als Parteimeuscheu ganz in unserm Rechte,
wenn wir auf unsrer Seite uur Recht, auf der Gegenseite nur Unrecht sehen,
wenn wir unsern Fanatismus als heilige Vegeisternng preisen, die Begeisterung
unsrer Gegner aber wilden Fanatismus schelten, jeden Verstoß gegen Wahr¬
haftigkeit und Aufrichtigkeit, der bei uns vorkommt, eine erlaubte Kriegslist,
jede Kriegslist des Gegners aber eine niederträchtige Lüge, Verleumdung oder
Treulosigkeit nennen. Sein Gewissen dabei zu salviren, wird dem einzelnen
Parteigenossen gewöhnlich nicht schwer: entweder die Dinge erscheinen ihm
wirklich so, wie es der Pnrteizweck fordert, oder er fagt sich, daß ja uicht er
für die Geschichte verantwortlich sei, sondern seine Partei; kollektive Verant¬
wortlichkeiten sind bekanntlich so gut wie gar keine. Der Privatcharakter kann
also im Parteitreibeu unversehrt bleiben; aber daß ihm eine jahrzehntelange
Handhabung der Pnrteitattik gar nichts anhaben sollte, ist schwer denkbar;
es würde dazu eine wunderbare Mischung von Reinheit, Stärke und Klugheit
oder eine unzerstörbare Kindlichkeit gehören. Es kann dem Menschen kaum
eine schwierigere Aufgabe gestellt werden, als Schlangenklugheit mit Tauben¬
einfalt zu vereinigen. Daher pflegen Menschen von zarter Gewissenhnftigkeit
sowohl vor der Rolle des Parteiführers wie vor der des Staatenlenkers
zurückzuschrecken, nicht bloß wegen der damit verbundenen Verantwortung im
allgemeinen, sondern ganz besonders wegen der Gefahren für die Wahrhaftig¬
keit, die mit jeder solchen Stellung verbunden sind. Aber zum Glück für das
Gemeinwesen ist unter den begabteren Menschen die Zahl der skrupelloser
Thatkräftigen und Ehrgeizigen stets größer als die der zartsinnigen Seelen.

Ans dein Begriff der Partei folgt von selbst der Widersinn einer un¬
parteiischen Partei, und so müßte man eigentlich solche Mittelparteien nennen,
die das, was ihr Name besagt, im Ernste zu sein streben. Daß der Staat
nicht nach dem Kopfe der Extremen zur Rechten oder zur Linken regiert
werden kann, das versteht sich von selbst, er muß immer eine mittlere Bahn
einhalten. Aber diese mittlere Bahn muß sich eben aus dem Gleichgewicht der
entgegenstehenden Parteien ergeben, und es würde keinen Sinn haben, eine
Partei zu gründen, die sich von vornherein verpflichtete, ans dieser mittleren


Geschichtsphilosophische Gedanken

Die Leidenschaftlichkeit, die Verblendung, die Übertreibung, die Verlogen¬
heit, die der Unparteiische den Parteien mit sittlicher Entrüstung vorzuhalten
pflegt, gehören zum Wesen der Partei. Was wir ini, vorhergehenden Abschnitt
vom Manne der That sagten, daß er seine Ansicht für die allein berechtigte
halten müsse, weil sonst seine Thatkraft erlahme, das gilt natürlich noch mehr
für ganze Gruppen der Thätigen, weil, sobald hier Zweifel auftauchen, zur
Mattherzigkeit, Unentschlossenheit und Schüchternheit auch uoch die Uneinigkeit
kommt. Die Einigkeit einer Partei wird um besten dadurch aufrecht erhalten,
daß die Parteigenossen gleich jenen Schuljuugeu in Hans Hoffmanns Novelle
(Grenzboten Ur. 19) ihr Haupt für unfehlbar ansehen, weil dieses sich selber
dafür hält. Und so sind wir als Parteimeuscheu ganz in unserm Rechte,
wenn wir auf unsrer Seite uur Recht, auf der Gegenseite nur Unrecht sehen,
wenn wir unsern Fanatismus als heilige Vegeisternng preisen, die Begeisterung
unsrer Gegner aber wilden Fanatismus schelten, jeden Verstoß gegen Wahr¬
haftigkeit und Aufrichtigkeit, der bei uns vorkommt, eine erlaubte Kriegslist,
jede Kriegslist des Gegners aber eine niederträchtige Lüge, Verleumdung oder
Treulosigkeit nennen. Sein Gewissen dabei zu salviren, wird dem einzelnen
Parteigenossen gewöhnlich nicht schwer: entweder die Dinge erscheinen ihm
wirklich so, wie es der Pnrteizweck fordert, oder er fagt sich, daß ja uicht er
für die Geschichte verantwortlich sei, sondern seine Partei; kollektive Verant¬
wortlichkeiten sind bekanntlich so gut wie gar keine. Der Privatcharakter kann
also im Parteitreibeu unversehrt bleiben; aber daß ihm eine jahrzehntelange
Handhabung der Pnrteitattik gar nichts anhaben sollte, ist schwer denkbar;
es würde dazu eine wunderbare Mischung von Reinheit, Stärke und Klugheit
oder eine unzerstörbare Kindlichkeit gehören. Es kann dem Menschen kaum
eine schwierigere Aufgabe gestellt werden, als Schlangenklugheit mit Tauben¬
einfalt zu vereinigen. Daher pflegen Menschen von zarter Gewissenhnftigkeit
sowohl vor der Rolle des Parteiführers wie vor der des Staatenlenkers
zurückzuschrecken, nicht bloß wegen der damit verbundenen Verantwortung im
allgemeinen, sondern ganz besonders wegen der Gefahren für die Wahrhaftig¬
keit, die mit jeder solchen Stellung verbunden sind. Aber zum Glück für das
Gemeinwesen ist unter den begabteren Menschen die Zahl der skrupelloser
Thatkräftigen und Ehrgeizigen stets größer als die der zartsinnigen Seelen.

Ans dein Begriff der Partei folgt von selbst der Widersinn einer un¬
parteiischen Partei, und so müßte man eigentlich solche Mittelparteien nennen,
die das, was ihr Name besagt, im Ernste zu sein streben. Daß der Staat
nicht nach dem Kopfe der Extremen zur Rechten oder zur Linken regiert
werden kann, das versteht sich von selbst, er muß immer eine mittlere Bahn
einhalten. Aber diese mittlere Bahn muß sich eben aus dem Gleichgewicht der
entgegenstehenden Parteien ergeben, und es würde keinen Sinn haben, eine
Partei zu gründen, die sich von vornherein verpflichtete, ans dieser mittleren


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[0558] Geschichtsphilosophische Gedanken Die Leidenschaftlichkeit, die Verblendung, die Übertreibung, die Verlogen¬ heit, die der Unparteiische den Parteien mit sittlicher Entrüstung vorzuhalten pflegt, gehören zum Wesen der Partei. Was wir ini, vorhergehenden Abschnitt vom Manne der That sagten, daß er seine Ansicht für die allein berechtigte halten müsse, weil sonst seine Thatkraft erlahme, das gilt natürlich noch mehr für ganze Gruppen der Thätigen, weil, sobald hier Zweifel auftauchen, zur Mattherzigkeit, Unentschlossenheit und Schüchternheit auch uoch die Uneinigkeit kommt. Die Einigkeit einer Partei wird um besten dadurch aufrecht erhalten, daß die Parteigenossen gleich jenen Schuljuugeu in Hans Hoffmanns Novelle (Grenzboten Ur. 19) ihr Haupt für unfehlbar ansehen, weil dieses sich selber dafür hält. Und so sind wir als Parteimeuscheu ganz in unserm Rechte, wenn wir auf unsrer Seite uur Recht, auf der Gegenseite nur Unrecht sehen, wenn wir unsern Fanatismus als heilige Vegeisternng preisen, die Begeisterung unsrer Gegner aber wilden Fanatismus schelten, jeden Verstoß gegen Wahr¬ haftigkeit und Aufrichtigkeit, der bei uns vorkommt, eine erlaubte Kriegslist, jede Kriegslist des Gegners aber eine niederträchtige Lüge, Verleumdung oder Treulosigkeit nennen. Sein Gewissen dabei zu salviren, wird dem einzelnen Parteigenossen gewöhnlich nicht schwer: entweder die Dinge erscheinen ihm wirklich so, wie es der Pnrteizweck fordert, oder er fagt sich, daß ja uicht er für die Geschichte verantwortlich sei, sondern seine Partei; kollektive Verant¬ wortlichkeiten sind bekanntlich so gut wie gar keine. Der Privatcharakter kann also im Parteitreibeu unversehrt bleiben; aber daß ihm eine jahrzehntelange Handhabung der Pnrteitattik gar nichts anhaben sollte, ist schwer denkbar; es würde dazu eine wunderbare Mischung von Reinheit, Stärke und Klugheit oder eine unzerstörbare Kindlichkeit gehören. Es kann dem Menschen kaum eine schwierigere Aufgabe gestellt werden, als Schlangenklugheit mit Tauben¬ einfalt zu vereinigen. Daher pflegen Menschen von zarter Gewissenhnftigkeit sowohl vor der Rolle des Parteiführers wie vor der des Staatenlenkers zurückzuschrecken, nicht bloß wegen der damit verbundenen Verantwortung im allgemeinen, sondern ganz besonders wegen der Gefahren für die Wahrhaftig¬ keit, die mit jeder solchen Stellung verbunden sind. Aber zum Glück für das Gemeinwesen ist unter den begabteren Menschen die Zahl der skrupelloser Thatkräftigen und Ehrgeizigen stets größer als die der zartsinnigen Seelen. Ans dein Begriff der Partei folgt von selbst der Widersinn einer un¬ parteiischen Partei, und so müßte man eigentlich solche Mittelparteien nennen, die das, was ihr Name besagt, im Ernste zu sein streben. Daß der Staat nicht nach dem Kopfe der Extremen zur Rechten oder zur Linken regiert werden kann, das versteht sich von selbst, er muß immer eine mittlere Bahn einhalten. Aber diese mittlere Bahn muß sich eben aus dem Gleichgewicht der entgegenstehenden Parteien ergeben, und es würde keinen Sinn haben, eine Partei zu gründen, die sich von vornherein verpflichtete, ans dieser mittleren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/558>, abgerufen am 24.07.2024.