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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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ZINN deutsch-österreichische" Handelsverträge

gelten; aber eine großartige Trnppenzusanunenziehlmg, die aus der Gegend
von Kowno gemeldet, von der russischen Presse geleugnet und vou einem
Abgesandten einer wegen der Kriegsgerüchte beunruhigten norddeutschen wirt¬
schaftlichen Körperschaft aus eigner Anschauung bestätigt wurde, hatte mit
den Kaisermanövern in Polen doch gewiß nichts zu thun. Es trafen damals
verschiedene Umstände zusammen, die vom deutschen Standpunkte aus die An¬
sicht hätten rechtfertigen können, daß es für einen Krieg, wenn ein solcher einmal
unvermeidlich, eben die beste Zeit sei. Dahin gehörte namentlich die That¬
sache, daß sich das russische Heer von den Folgen des Turkenkrieges noch
nicht recht erholt hatte. So durfte man wohl annehmen, daß Deutschland,
wenn Rußland Händel anfinge, ihnen nicht aus dem Wege gehen würde.

Wie das aber auch sein mochte -- einer wollte den Krieg nicht: Kaiser
Wilhelm. Die von Manteuffel geführte Abordnung deutscher Offiziere, die
zu deu Kaisermanövern nach Warschau ging, nahm einen wichtigen Brief des
Kaisers um den Zaren mit. Es folgte ein lebhafter Depeschenwechsel zwischen
Berlin und Warschau. An der Grenze verbreitete sich das Gerücht, die
Kaiserzimmer im Bahnhofe zu Alexandrowv würden zum Empfange hoch¬
stehender Persönlichkeiten in Bereitschaft gebracht, und plötzlich wurde man
überrascht durch die Nachricht, Kaiser Wilhelm werde in Alexandrowo mit
dem Zaren zusammentreffen.*) Der kaiserliche Extrazug folgte der Nachricht
auf dein Fuße.

Der Kaiser hatte niemanden wegen seines Vorhabens befragt. Fürst
Bismarck muß es in jenen Tagen für gut befunden haben, selbst den Schein
zu vermeiden, als habe er an denn Schachzuge seines kaiserlichen Herrn An¬
teil gehabt. Die "Nordd. Allg. Ztg." gab zu verstehen, daß der Kaiser den
Reichskanzler lediglich telegraphisch benachrichtigt habe, daß er "in Voraussicht
seines Einverständnisses" Manteuffel mit dem und dem Auftrage nach Warschall
entsendet habe. Man wollte selbst wissen, Bismarck habe zurücktreten wollen
und habe als letzten Versuch, sein Verhältnis zu dem Monarchen wieder in
den richtigen Stand zu bringen, eine Denkschrift über den Fall ausgearbeitet,
deren Aufnahme durch den Kaiser ihn dann befriedigt habe. Es ist wohl
anzunehmen, daß der Kaiser zufrieden war, den Krieg vermieden zu haben,
und die Erklärung abgab, auf solche Konsequenzen der Erhaltung des
Freundschaftsbundes mit dem Zaren verzichten zu wollen, die dem Fürsten
Bismarck für das Heil Deutschlands bedenklich scheinen möchten.

Daß der Kaiser selbst nachträglich seine Fahrt mich Alexandrowo als ein
seiner Freundschaft und Friedensliebe gebrachtes schweres Opfer ansah, ist



*) Zu den Überraschten gehörte auch Moltke, der auf der Durchreise von Kreisau nach
Berlin im Hotel Sanssouci in Thorn mit Erstaunen die großen Neuigkeiten aus der "Ost¬
deutschen Zeitung" entnahm.
ZINN deutsch-österreichische» Handelsverträge

gelten; aber eine großartige Trnppenzusanunenziehlmg, die aus der Gegend
von Kowno gemeldet, von der russischen Presse geleugnet und vou einem
Abgesandten einer wegen der Kriegsgerüchte beunruhigten norddeutschen wirt¬
schaftlichen Körperschaft aus eigner Anschauung bestätigt wurde, hatte mit
den Kaisermanövern in Polen doch gewiß nichts zu thun. Es trafen damals
verschiedene Umstände zusammen, die vom deutschen Standpunkte aus die An¬
sicht hätten rechtfertigen können, daß es für einen Krieg, wenn ein solcher einmal
unvermeidlich, eben die beste Zeit sei. Dahin gehörte namentlich die That¬
sache, daß sich das russische Heer von den Folgen des Turkenkrieges noch
nicht recht erholt hatte. So durfte man wohl annehmen, daß Deutschland,
wenn Rußland Händel anfinge, ihnen nicht aus dem Wege gehen würde.

Wie das aber auch sein mochte — einer wollte den Krieg nicht: Kaiser
Wilhelm. Die von Manteuffel geführte Abordnung deutscher Offiziere, die
zu deu Kaisermanövern nach Warschau ging, nahm einen wichtigen Brief des
Kaisers um den Zaren mit. Es folgte ein lebhafter Depeschenwechsel zwischen
Berlin und Warschau. An der Grenze verbreitete sich das Gerücht, die
Kaiserzimmer im Bahnhofe zu Alexandrowv würden zum Empfange hoch¬
stehender Persönlichkeiten in Bereitschaft gebracht, und plötzlich wurde man
überrascht durch die Nachricht, Kaiser Wilhelm werde in Alexandrowo mit
dem Zaren zusammentreffen.*) Der kaiserliche Extrazug folgte der Nachricht
auf dein Fuße.

Der Kaiser hatte niemanden wegen seines Vorhabens befragt. Fürst
Bismarck muß es in jenen Tagen für gut befunden haben, selbst den Schein
zu vermeiden, als habe er an denn Schachzuge seines kaiserlichen Herrn An¬
teil gehabt. Die „Nordd. Allg. Ztg." gab zu verstehen, daß der Kaiser den
Reichskanzler lediglich telegraphisch benachrichtigt habe, daß er „in Voraussicht
seines Einverständnisses" Manteuffel mit dem und dem Auftrage nach Warschall
entsendet habe. Man wollte selbst wissen, Bismarck habe zurücktreten wollen
und habe als letzten Versuch, sein Verhältnis zu dem Monarchen wieder in
den richtigen Stand zu bringen, eine Denkschrift über den Fall ausgearbeitet,
deren Aufnahme durch den Kaiser ihn dann befriedigt habe. Es ist wohl
anzunehmen, daß der Kaiser zufrieden war, den Krieg vermieden zu haben,
und die Erklärung abgab, auf solche Konsequenzen der Erhaltung des
Freundschaftsbundes mit dem Zaren verzichten zu wollen, die dem Fürsten
Bismarck für das Heil Deutschlands bedenklich scheinen möchten.

Daß der Kaiser selbst nachträglich seine Fahrt mich Alexandrowo als ein
seiner Freundschaft und Friedensliebe gebrachtes schweres Opfer ansah, ist



*) Zu den Überraschten gehörte auch Moltke, der auf der Durchreise von Kreisau nach
Berlin im Hotel Sanssouci in Thorn mit Erstaunen die großen Neuigkeiten aus der „Ost¬
deutschen Zeitung" entnahm.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/551>, abgerufen am 24.07.2024.