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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge

einen Blick darauf werfen, wie wir um die russische Freundschaft gekommen
sind, welcher Natur sie überhaupt war, und ob es möglich und wünschens¬
wert ist, sie wiederzugewinnen.

Von der Freundschaft zwischen Preußen und Rußland in älterer Zeit
soll nicht viel geredet werden. Sie hat Preußen manches Opfer gekostet, hat
ihm auch mauche Hilfe eingetragen, wenn man in Rußland gleichzeitig ein
eignes Interesse an der Gewährung zu haben glaubte. Wir reden von der
Zeit nach der Einigung Deutschlands. Kaiser Wilhelm I. stand noch ganz
auf dem Boden der alten uneigennützigen Freundschaft für Rußland, was
freilich nicht hinderte, daß Rußland stets mehr oder minder geuau abwog,
welchen materiellen Wert diese Freundschaft habe. Es soll uicht geleugnet
werden, daß Kaiser Alexander II. selbst vielleicht edler dachte; aber seine Um¬
gebung berechnete den Wert der deutschen Freundschaft doch sicherlich nur
nach den Quadratmeilen, die sich Unter ihrer Gunst in der Türkei oder in
Mittelasien einsanken ließen. So mußte die Sache einen Haken bekommen,
als über das Trauerspiel des russisch-türkischen Krieges der Vorhang gefallen
war, und Rußland glaubte, im Berliner Kongreß eine Komödie daraufsetzen
zu dürsen, in der dnrch Bismarcks Beihilfe die Gesamtheit der europäischen
Staaten mit Ausnahme Rußlands zur Rolle der Dummen verurteilt werden
würde.

Es ist bekannt, in welcher seinen Weise sich Fürst Bismarck damals auf
den Standpunkt des ehrlichen Makkers stellte und das Zustandekommen eines
Werkes ermöglichte, das allen Teilen gerecht wurde, alle sich widerstreitenden
Interessen nach Möglichkeit versöhnte, und mit dem sich auch alle Teile zu¬
frieden erklären mußten. Auch Rußland gab sich zufrieden -- offiziell und
äußerlich. Aber es hatte uicht ein gerechtes Entgegenkommen erwartet, sondern
ein ungerechtes. Es hatte erwartet, Fürst Bismarck werde sich zum Kom¬
plicen eines Länderraubes machen, der durch nichts zu rechtfertigen gewesen
wäre. Von da ab begann in Nußland die Hetze gegen Bismarck und gegen
Deutschland; zum erstenmale hatte man mit der Möglichkeit eines jähen Endes
der russische!? Freundschaft zu rechnen.

Anfang September 1879 -- Fürst Bismarck, der eben das Bündnis mit
Österreich unter Dach gebracht hatte, weilte damals fern von Berlin --
nahmen die schon seit einiger Zeit aufgetauchten Kriegsgerüchte ernsthaftere
Gestalt an. Auch begann in den Festungen der Ostgrenze ganz in der Stille
das Gesicht so mancher Dinge sich zu ändern, und aufmerksame Spaziergänger
gewannen die Überzeugung, es liege nicht außer dem Bereich der Möglichkeit,
daß die Befestigungen bald noch einem andern Zwecke dienen könnten als der
Hinderung der Ausdehnung der von ihnen eingeschlossenen Städte. Drüben
über der Grenze konnte zwar in Polen, wo eben große Kaisermanöver waren,
ein kriegerisches Aussehen der Dinge natürlich nicht als etwas Befremdliches


Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge

einen Blick darauf werfen, wie wir um die russische Freundschaft gekommen
sind, welcher Natur sie überhaupt war, und ob es möglich und wünschens¬
wert ist, sie wiederzugewinnen.

Von der Freundschaft zwischen Preußen und Rußland in älterer Zeit
soll nicht viel geredet werden. Sie hat Preußen manches Opfer gekostet, hat
ihm auch mauche Hilfe eingetragen, wenn man in Rußland gleichzeitig ein
eignes Interesse an der Gewährung zu haben glaubte. Wir reden von der
Zeit nach der Einigung Deutschlands. Kaiser Wilhelm I. stand noch ganz
auf dem Boden der alten uneigennützigen Freundschaft für Rußland, was
freilich nicht hinderte, daß Rußland stets mehr oder minder geuau abwog,
welchen materiellen Wert diese Freundschaft habe. Es soll uicht geleugnet
werden, daß Kaiser Alexander II. selbst vielleicht edler dachte; aber seine Um¬
gebung berechnete den Wert der deutschen Freundschaft doch sicherlich nur
nach den Quadratmeilen, die sich Unter ihrer Gunst in der Türkei oder in
Mittelasien einsanken ließen. So mußte die Sache einen Haken bekommen,
als über das Trauerspiel des russisch-türkischen Krieges der Vorhang gefallen
war, und Rußland glaubte, im Berliner Kongreß eine Komödie daraufsetzen
zu dürsen, in der dnrch Bismarcks Beihilfe die Gesamtheit der europäischen
Staaten mit Ausnahme Rußlands zur Rolle der Dummen verurteilt werden
würde.

Es ist bekannt, in welcher seinen Weise sich Fürst Bismarck damals auf
den Standpunkt des ehrlichen Makkers stellte und das Zustandekommen eines
Werkes ermöglichte, das allen Teilen gerecht wurde, alle sich widerstreitenden
Interessen nach Möglichkeit versöhnte, und mit dem sich auch alle Teile zu¬
frieden erklären mußten. Auch Rußland gab sich zufrieden — offiziell und
äußerlich. Aber es hatte uicht ein gerechtes Entgegenkommen erwartet, sondern
ein ungerechtes. Es hatte erwartet, Fürst Bismarck werde sich zum Kom¬
plicen eines Länderraubes machen, der durch nichts zu rechtfertigen gewesen
wäre. Von da ab begann in Nußland die Hetze gegen Bismarck und gegen
Deutschland; zum erstenmale hatte man mit der Möglichkeit eines jähen Endes
der russische!? Freundschaft zu rechnen.

Anfang September 1879 — Fürst Bismarck, der eben das Bündnis mit
Österreich unter Dach gebracht hatte, weilte damals fern von Berlin —
nahmen die schon seit einiger Zeit aufgetauchten Kriegsgerüchte ernsthaftere
Gestalt an. Auch begann in den Festungen der Ostgrenze ganz in der Stille
das Gesicht so mancher Dinge sich zu ändern, und aufmerksame Spaziergänger
gewannen die Überzeugung, es liege nicht außer dem Bereich der Möglichkeit,
daß die Befestigungen bald noch einem andern Zwecke dienen könnten als der
Hinderung der Ausdehnung der von ihnen eingeschlossenen Städte. Drüben
über der Grenze konnte zwar in Polen, wo eben große Kaisermanöver waren,
ein kriegerisches Aussehen der Dinge natürlich nicht als etwas Befremdliches


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[0550] Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge einen Blick darauf werfen, wie wir um die russische Freundschaft gekommen sind, welcher Natur sie überhaupt war, und ob es möglich und wünschens¬ wert ist, sie wiederzugewinnen. Von der Freundschaft zwischen Preußen und Rußland in älterer Zeit soll nicht viel geredet werden. Sie hat Preußen manches Opfer gekostet, hat ihm auch mauche Hilfe eingetragen, wenn man in Rußland gleichzeitig ein eignes Interesse an der Gewährung zu haben glaubte. Wir reden von der Zeit nach der Einigung Deutschlands. Kaiser Wilhelm I. stand noch ganz auf dem Boden der alten uneigennützigen Freundschaft für Rußland, was freilich nicht hinderte, daß Rußland stets mehr oder minder geuau abwog, welchen materiellen Wert diese Freundschaft habe. Es soll uicht geleugnet werden, daß Kaiser Alexander II. selbst vielleicht edler dachte; aber seine Um¬ gebung berechnete den Wert der deutschen Freundschaft doch sicherlich nur nach den Quadratmeilen, die sich Unter ihrer Gunst in der Türkei oder in Mittelasien einsanken ließen. So mußte die Sache einen Haken bekommen, als über das Trauerspiel des russisch-türkischen Krieges der Vorhang gefallen war, und Rußland glaubte, im Berliner Kongreß eine Komödie daraufsetzen zu dürsen, in der dnrch Bismarcks Beihilfe die Gesamtheit der europäischen Staaten mit Ausnahme Rußlands zur Rolle der Dummen verurteilt werden würde. Es ist bekannt, in welcher seinen Weise sich Fürst Bismarck damals auf den Standpunkt des ehrlichen Makkers stellte und das Zustandekommen eines Werkes ermöglichte, das allen Teilen gerecht wurde, alle sich widerstreitenden Interessen nach Möglichkeit versöhnte, und mit dem sich auch alle Teile zu¬ frieden erklären mußten. Auch Rußland gab sich zufrieden — offiziell und äußerlich. Aber es hatte uicht ein gerechtes Entgegenkommen erwartet, sondern ein ungerechtes. Es hatte erwartet, Fürst Bismarck werde sich zum Kom¬ plicen eines Länderraubes machen, der durch nichts zu rechtfertigen gewesen wäre. Von da ab begann in Nußland die Hetze gegen Bismarck und gegen Deutschland; zum erstenmale hatte man mit der Möglichkeit eines jähen Endes der russische!? Freundschaft zu rechnen. Anfang September 1879 — Fürst Bismarck, der eben das Bündnis mit Österreich unter Dach gebracht hatte, weilte damals fern von Berlin — nahmen die schon seit einiger Zeit aufgetauchten Kriegsgerüchte ernsthaftere Gestalt an. Auch begann in den Festungen der Ostgrenze ganz in der Stille das Gesicht so mancher Dinge sich zu ändern, und aufmerksame Spaziergänger gewannen die Überzeugung, es liege nicht außer dem Bereich der Möglichkeit, daß die Befestigungen bald noch einem andern Zwecke dienen könnten als der Hinderung der Ausdehnung der von ihnen eingeschlossenen Städte. Drüben über der Grenze konnte zwar in Polen, wo eben große Kaisermanöver waren, ein kriegerisches Aussehen der Dinge natürlich nicht als etwas Befremdliches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/550>, abgerufen am 24.07.2024.