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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die internationale Rnnstausstellung in Berlin

Seidenwebern Gebrüder v. d. Lehen in Krefeld (1763) von Albert Vmir in
Düsseldorf, ein mit Wachsfarben auf Leinwand gemaltes Bild, das zu einem
Cyklus von dekorativen, für die Webeschule in Krefeld bestimmten Gemälden
gehört, auf denen die Geschichte der Seidenindustrie auf ihren wichtigstem
Entwicklungsstufen geschildert wird. Wenn man einem Künstler eine solche
halb archäologische halb pädagogische Aufgabe stellt, darf man sich nicht
wundern, wenn dabei frostige Kompositionen herauskommen, an denen die
künstlerische Phantasie keinen Anteil gehabt hat.

In die monumentale Malerei hat sich der letzte Nest von Geschichts-
malerci geflüchtet, den sich die deutsche Kunst aus den zwanziger und dreißiger
Jahren bis über 1870 hinaus bewahrt hat. Was man aber auch in öffentlichen
Gebäuden an den Wänden, Decken und Kuppelwölbungen malt, und wie gut
und klug und tadelsfrci mau es auch malen mag -- es kommt alles zusammen
nicht über den Wert von Erinnerungstafeln an geschichtliche Ereignisse hinaus,
mit denen wir nach dem unerschütterlichen Naturgesetze von Werden und Ver¬
gehen jeden Zusammenhang verloren haben. Das Band zwischen dem alten
und dem neuen deutschen Reiche ist nicht gewaltsam zerrissen worden, sondern
es hat sich aus Altersschwäche gelockert und gelöst. Es kann also nicht ge¬
waltsam wieder zusammengeknüpft werden, am allerwenigsten durch eine neue
Bearbeitung von geschichtlichen Leitfäden und Prachtwerken, die der jüngsten
Generation wieder das Märchen von der alten Kaiserherrlichkeit, die uns in
den Abgrund geführt hat, einflößen wollen. Wir lassen uns heute nicht mehr
die Sinne dnrch die Thaten der Karolinger und Ottonen benebeln und am
allerwenigsten durch den romantischen Nimbus der Hohenstaufen, deren Staats¬
kunst vom Gesichtspunkte der modernen Politik betrachtet doch kindisch war.
Wir Deutschen sind erst seit 1870 eine Nation geworden, und wir können
darum uoch keine nationale Geschichtsmalerei haben. Einen Ersatz dafür
bietet uns nur die Schilderung der Kriegsthaten unsers Heeres und andrer
Vorgänge aus den Jahren 1870 und 1871 und die Darstellung von Staatshcmd-
lnngen, von Zeremonien, Manöverszenen und dergleichen mehr aus den inzwischen
verflossenen zwei Jahrzehnten. Solche Darstellungen fallen natürlich in dem
Grade, als die großen Männer von weltgeschichtlicher Bedeutung daraus ver¬
schwinden, mehr und mehr in das Genre hinein, wodurch jedoch die absolute
Wertschätzung eines Kunstwerkes nicht beeinträchtigt wird.

Daß diese Beobachtung hütsichtlich des Rückganges der deutschen Geschichts¬
malerei nicht willkürlich, erklügelt oder künstlich zurechtgemacht ist, lehrt uns
die beste Analogie, die wir überhaupt beibringen können: die Malerei
Italiens. Auch wer mehr von der neuern italienischen Malerei kennt, als
unsre Ausstellung bietet, der weiß, daß in Italien eine Geschichtsinalcrei in
dem Sinne der alten Düsseldorfer und Münchner, d. h. eine ihre Motive
aus der heimischen Geschichte schöpfende Darstelluugsktinst nicht besteht. Auch


Die internationale Rnnstausstellung in Berlin

Seidenwebern Gebrüder v. d. Lehen in Krefeld (1763) von Albert Vmir in
Düsseldorf, ein mit Wachsfarben auf Leinwand gemaltes Bild, das zu einem
Cyklus von dekorativen, für die Webeschule in Krefeld bestimmten Gemälden
gehört, auf denen die Geschichte der Seidenindustrie auf ihren wichtigstem
Entwicklungsstufen geschildert wird. Wenn man einem Künstler eine solche
halb archäologische halb pädagogische Aufgabe stellt, darf man sich nicht
wundern, wenn dabei frostige Kompositionen herauskommen, an denen die
künstlerische Phantasie keinen Anteil gehabt hat.

In die monumentale Malerei hat sich der letzte Nest von Geschichts-
malerci geflüchtet, den sich die deutsche Kunst aus den zwanziger und dreißiger
Jahren bis über 1870 hinaus bewahrt hat. Was man aber auch in öffentlichen
Gebäuden an den Wänden, Decken und Kuppelwölbungen malt, und wie gut
und klug und tadelsfrci mau es auch malen mag — es kommt alles zusammen
nicht über den Wert von Erinnerungstafeln an geschichtliche Ereignisse hinaus,
mit denen wir nach dem unerschütterlichen Naturgesetze von Werden und Ver¬
gehen jeden Zusammenhang verloren haben. Das Band zwischen dem alten
und dem neuen deutschen Reiche ist nicht gewaltsam zerrissen worden, sondern
es hat sich aus Altersschwäche gelockert und gelöst. Es kann also nicht ge¬
waltsam wieder zusammengeknüpft werden, am allerwenigsten durch eine neue
Bearbeitung von geschichtlichen Leitfäden und Prachtwerken, die der jüngsten
Generation wieder das Märchen von der alten Kaiserherrlichkeit, die uns in
den Abgrund geführt hat, einflößen wollen. Wir lassen uns heute nicht mehr
die Sinne dnrch die Thaten der Karolinger und Ottonen benebeln und am
allerwenigsten durch den romantischen Nimbus der Hohenstaufen, deren Staats¬
kunst vom Gesichtspunkte der modernen Politik betrachtet doch kindisch war.
Wir Deutschen sind erst seit 1870 eine Nation geworden, und wir können
darum uoch keine nationale Geschichtsmalerei haben. Einen Ersatz dafür
bietet uns nur die Schilderung der Kriegsthaten unsers Heeres und andrer
Vorgänge aus den Jahren 1870 und 1871 und die Darstellung von Staatshcmd-
lnngen, von Zeremonien, Manöverszenen und dergleichen mehr aus den inzwischen
verflossenen zwei Jahrzehnten. Solche Darstellungen fallen natürlich in dem
Grade, als die großen Männer von weltgeschichtlicher Bedeutung daraus ver¬
schwinden, mehr und mehr in das Genre hinein, wodurch jedoch die absolute
Wertschätzung eines Kunstwerkes nicht beeinträchtigt wird.

Daß diese Beobachtung hütsichtlich des Rückganges der deutschen Geschichts¬
malerei nicht willkürlich, erklügelt oder künstlich zurechtgemacht ist, lehrt uns
die beste Analogie, die wir überhaupt beibringen können: die Malerei
Italiens. Auch wer mehr von der neuern italienischen Malerei kennt, als
unsre Ausstellung bietet, der weiß, daß in Italien eine Geschichtsinalcrei in
dem Sinne der alten Düsseldorfer und Münchner, d. h. eine ihre Motive
aus der heimischen Geschichte schöpfende Darstelluugsktinst nicht besteht. Auch


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[0536] Die internationale Rnnstausstellung in Berlin Seidenwebern Gebrüder v. d. Lehen in Krefeld (1763) von Albert Vmir in Düsseldorf, ein mit Wachsfarben auf Leinwand gemaltes Bild, das zu einem Cyklus von dekorativen, für die Webeschule in Krefeld bestimmten Gemälden gehört, auf denen die Geschichte der Seidenindustrie auf ihren wichtigstem Entwicklungsstufen geschildert wird. Wenn man einem Künstler eine solche halb archäologische halb pädagogische Aufgabe stellt, darf man sich nicht wundern, wenn dabei frostige Kompositionen herauskommen, an denen die künstlerische Phantasie keinen Anteil gehabt hat. In die monumentale Malerei hat sich der letzte Nest von Geschichts- malerci geflüchtet, den sich die deutsche Kunst aus den zwanziger und dreißiger Jahren bis über 1870 hinaus bewahrt hat. Was man aber auch in öffentlichen Gebäuden an den Wänden, Decken und Kuppelwölbungen malt, und wie gut und klug und tadelsfrci mau es auch malen mag — es kommt alles zusammen nicht über den Wert von Erinnerungstafeln an geschichtliche Ereignisse hinaus, mit denen wir nach dem unerschütterlichen Naturgesetze von Werden und Ver¬ gehen jeden Zusammenhang verloren haben. Das Band zwischen dem alten und dem neuen deutschen Reiche ist nicht gewaltsam zerrissen worden, sondern es hat sich aus Altersschwäche gelockert und gelöst. Es kann also nicht ge¬ waltsam wieder zusammengeknüpft werden, am allerwenigsten durch eine neue Bearbeitung von geschichtlichen Leitfäden und Prachtwerken, die der jüngsten Generation wieder das Märchen von der alten Kaiserherrlichkeit, die uns in den Abgrund geführt hat, einflößen wollen. Wir lassen uns heute nicht mehr die Sinne dnrch die Thaten der Karolinger und Ottonen benebeln und am allerwenigsten durch den romantischen Nimbus der Hohenstaufen, deren Staats¬ kunst vom Gesichtspunkte der modernen Politik betrachtet doch kindisch war. Wir Deutschen sind erst seit 1870 eine Nation geworden, und wir können darum uoch keine nationale Geschichtsmalerei haben. Einen Ersatz dafür bietet uns nur die Schilderung der Kriegsthaten unsers Heeres und andrer Vorgänge aus den Jahren 1870 und 1871 und die Darstellung von Staatshcmd- lnngen, von Zeremonien, Manöverszenen und dergleichen mehr aus den inzwischen verflossenen zwei Jahrzehnten. Solche Darstellungen fallen natürlich in dem Grade, als die großen Männer von weltgeschichtlicher Bedeutung daraus ver¬ schwinden, mehr und mehr in das Genre hinein, wodurch jedoch die absolute Wertschätzung eines Kunstwerkes nicht beeinträchtigt wird. Daß diese Beobachtung hütsichtlich des Rückganges der deutschen Geschichts¬ malerei nicht willkürlich, erklügelt oder künstlich zurechtgemacht ist, lehrt uns die beste Analogie, die wir überhaupt beibringen können: die Malerei Italiens. Auch wer mehr von der neuern italienischen Malerei kennt, als unsre Ausstellung bietet, der weiß, daß in Italien eine Geschichtsinalcrei in dem Sinne der alten Düsseldorfer und Münchner, d. h. eine ihre Motive aus der heimischen Geschichte schöpfende Darstelluugsktinst nicht besteht. Auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/536>, abgerufen am 01.07.2024.