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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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wünsche für die Statistik

statistische Wieder ohne Worte" bringt. Hier begegne" sich ein untergeordnetes
technisches Naumbedürfnis und eine gelehrte Sucht der Beschränkung auf
abstrakten Stoff in eleganten Tabellen. In der statistischen Technik liegt ein
gefährlicher Reiz. Mau würde der Menschheit einen schlechten Dienst erwiesen
haben, wenn man sie nur gelehrt hätte, zu logarithmiren, ihr aber die Geheim¬
nisse des Delvgarithmirens vorenthalten hätte. Ähnlich verhält es sich mit dem
Finden und dem Deuten statistischer Zahlen. Wenn die Statistik nur Ziffer"
bringt, sich aber dann ans Vvriiehmheit oder Bescheidenheit entfernt, so ver¬
hält sie sich ii" Grunde wie der Geist in Raimunds Diamant des Geister¬
königs: "Ich bin dein Vater Cephysses und sage dir nur dieses," worauf der
Geist verduftet und mit ihm mich das Verständnis. So werden Rätsel durch
Rätsel gelöst. Der Statistiker, der nur Tabellen bringt, erinnert uns gleich¬
zeitig an den mageuschwacheu Lebemann, der wünschte, das; mau alles Esse"
möchte trinke" könne", und an den Philosophen des Altertums, der darüber
klagte, daß mau nicht alles Wissen in Mathematik auflösen könne. Es ist
unzweifelhaft wahr, daß die Arithmetik, wie die alte" Griechen sagten, von
Irrtümern frei ist, daß die Natur selbst den Irrtum ans der Zahl ausschließt.
Diesen Satz dürfen wir aber nicht schlankweg ans die Statistik antuenden.
Deun Statistik ist angewandte Arithmetik, und auf dein Wege von der Er¬
scheinung, von der beobachteten Thatsache bis zur gewonnenen Zahl ist soviel
me"schliche Beihilfe thätig gewesen, daß nicht mir unterwegs die Gefahr des
Irrtums entsteht -- das ist die kleinere Gefahr --, sondern es entsteht auch
bei der Deutung einer Zahl, die wir nicht in ihre Koeffizieuteu auflösen können,
eine neue Fehlerquelle, und dieser weit größeren Gefahr könnte wohl in den
meisten Fällen durch eine erläuternde Bemerkung vorgebeugt werde".

Von alle" Arten menschlicher Neugierde ist gewiß eine der edelsten die
statistische Neugierde, die sich fortgesetzt über deu Stand der Dinge unter¬
richten, die für allgemeine Erfahrnngssütze oder landläufige Meinungen sichere,
sündliche, zur Vergleichung geeignete Zahlen erhalten muß, um die Lebens¬
bedingungen des Staates und der Gesellschaft kennen zu lernen. Aber bei
dem Bestreben, sich auf diesem kürzesten Wege über die Ergebnisse und das
Zusammenwirken der mannichfachen Ursachen zu unterrichte", die sich i" ge¬
wisse" wahr"ehmbare", zählbare", -"eßbaren oder wägbaren Erscheinungen
äußern, erscheint die Zahl nach Verflüchtigung alles Beiwerkes als eine Art
von Sublimat der Thatsachen, als 1" dunige-t clvs ellosos, wie einmal der
Konsul Buonaparte über statistische Zahlen urteilte; die Zahl ist die einfachste
Ausdrucksweise, deren wir Menschen fähig sind. Wie man aus der einfachen,
kunstlosen Sprache der Bibel auf deren göttlichen Ursprung geschlossen hat,
so schließt man auch aus der Anspruchslosigkeit, der Uuanfechtbarkeit und
Unerbittlichkeit der Zahlen auf deren innere Wahrheit. Gewiß giebt es nichts
bestrickenderes als eine schlichte, schmucklose Darstellung der Dinge; es ist dies


wünsche für die Statistik

statistische Wieder ohne Worte" bringt. Hier begegne» sich ein untergeordnetes
technisches Naumbedürfnis und eine gelehrte Sucht der Beschränkung auf
abstrakten Stoff in eleganten Tabellen. In der statistischen Technik liegt ein
gefährlicher Reiz. Mau würde der Menschheit einen schlechten Dienst erwiesen
haben, wenn man sie nur gelehrt hätte, zu logarithmiren, ihr aber die Geheim¬
nisse des Delvgarithmirens vorenthalten hätte. Ähnlich verhält es sich mit dem
Finden und dem Deuten statistischer Zahlen. Wenn die Statistik nur Ziffer»
bringt, sich aber dann ans Vvriiehmheit oder Bescheidenheit entfernt, so ver¬
hält sie sich ii» Grunde wie der Geist in Raimunds Diamant des Geister¬
königs: „Ich bin dein Vater Cephysses und sage dir nur dieses," worauf der
Geist verduftet und mit ihm mich das Verständnis. So werden Rätsel durch
Rätsel gelöst. Der Statistiker, der nur Tabellen bringt, erinnert uns gleich¬
zeitig an den mageuschwacheu Lebemann, der wünschte, das; mau alles Esse»
möchte trinke» könne», und an den Philosophen des Altertums, der darüber
klagte, daß mau nicht alles Wissen in Mathematik auflösen könne. Es ist
unzweifelhaft wahr, daß die Arithmetik, wie die alte» Griechen sagten, von
Irrtümern frei ist, daß die Natur selbst den Irrtum ans der Zahl ausschließt.
Diesen Satz dürfen wir aber nicht schlankweg ans die Statistik antuenden.
Deun Statistik ist angewandte Arithmetik, und auf dein Wege von der Er¬
scheinung, von der beobachteten Thatsache bis zur gewonnenen Zahl ist soviel
me»schliche Beihilfe thätig gewesen, daß nicht mir unterwegs die Gefahr des
Irrtums entsteht — das ist die kleinere Gefahr —, sondern es entsteht auch
bei der Deutung einer Zahl, die wir nicht in ihre Koeffizieuteu auflösen können,
eine neue Fehlerquelle, und dieser weit größeren Gefahr könnte wohl in den
meisten Fällen durch eine erläuternde Bemerkung vorgebeugt werde».

Von alle» Arten menschlicher Neugierde ist gewiß eine der edelsten die
statistische Neugierde, die sich fortgesetzt über deu Stand der Dinge unter¬
richten, die für allgemeine Erfahrnngssütze oder landläufige Meinungen sichere,
sündliche, zur Vergleichung geeignete Zahlen erhalten muß, um die Lebens¬
bedingungen des Staates und der Gesellschaft kennen zu lernen. Aber bei
dem Bestreben, sich auf diesem kürzesten Wege über die Ergebnisse und das
Zusammenwirken der mannichfachen Ursachen zu unterrichte», die sich i» ge¬
wisse» wahr»ehmbare», zählbare», -»eßbaren oder wägbaren Erscheinungen
äußern, erscheint die Zahl nach Verflüchtigung alles Beiwerkes als eine Art
von Sublimat der Thatsachen, als 1» dunige-t clvs ellosos, wie einmal der
Konsul Buonaparte über statistische Zahlen urteilte; die Zahl ist die einfachste
Ausdrucksweise, deren wir Menschen fähig sind. Wie man aus der einfachen,
kunstlosen Sprache der Bibel auf deren göttlichen Ursprung geschlossen hat,
so schließt man auch aus der Anspruchslosigkeit, der Uuanfechtbarkeit und
Unerbittlichkeit der Zahlen auf deren innere Wahrheit. Gewiß giebt es nichts
bestrickenderes als eine schlichte, schmucklose Darstellung der Dinge; es ist dies


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[0505] wünsche für die Statistik statistische Wieder ohne Worte" bringt. Hier begegne» sich ein untergeordnetes technisches Naumbedürfnis und eine gelehrte Sucht der Beschränkung auf abstrakten Stoff in eleganten Tabellen. In der statistischen Technik liegt ein gefährlicher Reiz. Mau würde der Menschheit einen schlechten Dienst erwiesen haben, wenn man sie nur gelehrt hätte, zu logarithmiren, ihr aber die Geheim¬ nisse des Delvgarithmirens vorenthalten hätte. Ähnlich verhält es sich mit dem Finden und dem Deuten statistischer Zahlen. Wenn die Statistik nur Ziffer» bringt, sich aber dann ans Vvriiehmheit oder Bescheidenheit entfernt, so ver¬ hält sie sich ii» Grunde wie der Geist in Raimunds Diamant des Geister¬ königs: „Ich bin dein Vater Cephysses und sage dir nur dieses," worauf der Geist verduftet und mit ihm mich das Verständnis. So werden Rätsel durch Rätsel gelöst. Der Statistiker, der nur Tabellen bringt, erinnert uns gleich¬ zeitig an den mageuschwacheu Lebemann, der wünschte, das; mau alles Esse» möchte trinke» könne», und an den Philosophen des Altertums, der darüber klagte, daß mau nicht alles Wissen in Mathematik auflösen könne. Es ist unzweifelhaft wahr, daß die Arithmetik, wie die alte» Griechen sagten, von Irrtümern frei ist, daß die Natur selbst den Irrtum ans der Zahl ausschließt. Diesen Satz dürfen wir aber nicht schlankweg ans die Statistik antuenden. Deun Statistik ist angewandte Arithmetik, und auf dein Wege von der Er¬ scheinung, von der beobachteten Thatsache bis zur gewonnenen Zahl ist soviel me»schliche Beihilfe thätig gewesen, daß nicht mir unterwegs die Gefahr des Irrtums entsteht — das ist die kleinere Gefahr —, sondern es entsteht auch bei der Deutung einer Zahl, die wir nicht in ihre Koeffizieuteu auflösen können, eine neue Fehlerquelle, und dieser weit größeren Gefahr könnte wohl in den meisten Fällen durch eine erläuternde Bemerkung vorgebeugt werde». Von alle» Arten menschlicher Neugierde ist gewiß eine der edelsten die statistische Neugierde, die sich fortgesetzt über deu Stand der Dinge unter¬ richten, die für allgemeine Erfahrnngssütze oder landläufige Meinungen sichere, sündliche, zur Vergleichung geeignete Zahlen erhalten muß, um die Lebens¬ bedingungen des Staates und der Gesellschaft kennen zu lernen. Aber bei dem Bestreben, sich auf diesem kürzesten Wege über die Ergebnisse und das Zusammenwirken der mannichfachen Ursachen zu unterrichte», die sich i» ge¬ wisse» wahr»ehmbare», zählbare», -»eßbaren oder wägbaren Erscheinungen äußern, erscheint die Zahl nach Verflüchtigung alles Beiwerkes als eine Art von Sublimat der Thatsachen, als 1» dunige-t clvs ellosos, wie einmal der Konsul Buonaparte über statistische Zahlen urteilte; die Zahl ist die einfachste Ausdrucksweise, deren wir Menschen fähig sind. Wie man aus der einfachen, kunstlosen Sprache der Bibel auf deren göttlichen Ursprung geschlossen hat, so schließt man auch aus der Anspruchslosigkeit, der Uuanfechtbarkeit und Unerbittlichkeit der Zahlen auf deren innere Wahrheit. Gewiß giebt es nichts bestrickenderes als eine schlichte, schmucklose Darstellung der Dinge; es ist dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/505>, abgerufen am 24.07.2024.