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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Hamcrlmg der Philosoph

Das Unendliche ist nnr, insofern das Endliche, das Endliche mir, insofern das
Unendliche ist, so gewiß das Sein nnr Sinn hat in Bezug ans ein Seiendes,
das Seiende nnr dnrch das Sein seiend ist, und nur in figürlichen Sinne
kann man sagen, das Unendliche ist endlich "geworden," "weil" es sonst nicht
hätte real "werden" können. In diesem bloß figürlichen Sinne sprach auch
ich von einem Endlichwerden des Unendlichen, verwahre mich aber aufs
entschiedenste gegen die Annahme eines "Werdens" im zeitlichen Sinne des
Wortes. Ich wollte nur sagen: das Unendliche ist endlich, und so muß es
sein, wen" es ein reales Sein, ein Leben ist. Das Unendliche ezlstirt
nirgends als im Endlichen." Sehr scharf spricht er sich gegen jenen Idealismus
aus, der die Wirklichkeit der Dinge leugnet. Die Dinge an sich eristiren.
"Wenn ich vom Ding an sich rede, heißt es I, del, so meine ich nicht das
Kantische Ding an sich. Schon darum nicht, weil ich uicht weiß, was das
Kautische Ding an sich ist. Als ich Kant zum erstenmale las, da wußte ich
es; seit ich aber die Werke der neueren Erklärer Kants gelesen, weiß ich es
uicht. Nein, nicht die Kantischen Dinge an sich meine ich, sondern die des
gesunden Menschenverstandes oder, wenn man will, die der Naturwissenschaft:
das, was auch ohne mich da ist, vor mir da war und nach mir da sein
wird, vorausgesetzt, daß es etwas dergleichen giebt. Nach meinem Begriff
ist also das Ding an sich die Voraussetzung desjenigen, was von den Dingen
übrig bleibt. jH. meint ohne Zweifel: das vorausgesetzte Etwas, das von
den Dingen übrig bleibt^, wenn man die Wahrnehmung davon abzieht, gleich¬
sam das Nettoobjekt gegenüber dem Bruttoobjekt, das die Sinne liefern.
Ich teile die Ansicht nicht, daß dann sofort nichts übrig bleibe, sondern es
bleibt vorläufig meiner Meinung nach dasjenige übrig, was die bestimmte
Wahrnehmung just an diesem Orte und in dieser Zeit bedingt jer meint: ver¬
ursacht !j, sei dies uun ein Subjektives oder ein Objektives. Der beste Aus¬
druck für das Ding an sich wäre "Ursache," und zwar im gewöhnlichen
Sinne des Wortes, dann aber in seinem etymologischen Sinne, als Ur-Sache.
Dieser Ausdruck Ursache, als Ur-Sache, ist in der philosophischen Terminologie
von unschätzbarem Wert. Ich habe mir, offen gestanden, unter Kants "Ding
oder Dingen an sich" niemals etwas andres denken können, als was ich mir
auch unter den Monaden des Leibniz denken mußte." Kraft- und Lebens-
pnnkte nennt er sie an andrer Stelle. Sie sind nichts andres als die Atome,
die, ohne selbst körperlich zu sein, die Vorstellung des Körperlichen, der
Materie in uns erzeugen, sobald sie in einer gewissen Zahl und Gruppirung
beisammen sind.

In Beziehung ans die Erklärbarkeit der Welt, d. h. die Möglichkeit, alle
Erscheinungen aus der Beschaffenheit und den Bewegungen der Atome her¬
zuleiten, ist er seiner Sache uicht ganz gewiß. Während sich an einigen
Stellen hochfliegeude Erwartung äußert, klingen andre recht kleinmütig. "Was


Hamcrlmg der Philosoph

Das Unendliche ist nnr, insofern das Endliche, das Endliche mir, insofern das
Unendliche ist, so gewiß das Sein nnr Sinn hat in Bezug ans ein Seiendes,
das Seiende nnr dnrch das Sein seiend ist, und nur in figürlichen Sinne
kann man sagen, das Unendliche ist endlich »geworden,« »weil« es sonst nicht
hätte real »werden« können. In diesem bloß figürlichen Sinne sprach auch
ich von einem Endlichwerden des Unendlichen, verwahre mich aber aufs
entschiedenste gegen die Annahme eines »Werdens« im zeitlichen Sinne des
Wortes. Ich wollte nur sagen: das Unendliche ist endlich, und so muß es
sein, wen» es ein reales Sein, ein Leben ist. Das Unendliche ezlstirt
nirgends als im Endlichen." Sehr scharf spricht er sich gegen jenen Idealismus
aus, der die Wirklichkeit der Dinge leugnet. Die Dinge an sich eristiren.
„Wenn ich vom Ding an sich rede, heißt es I, del, so meine ich nicht das
Kantische Ding an sich. Schon darum nicht, weil ich uicht weiß, was das
Kautische Ding an sich ist. Als ich Kant zum erstenmale las, da wußte ich
es; seit ich aber die Werke der neueren Erklärer Kants gelesen, weiß ich es
uicht. Nein, nicht die Kantischen Dinge an sich meine ich, sondern die des
gesunden Menschenverstandes oder, wenn man will, die der Naturwissenschaft:
das, was auch ohne mich da ist, vor mir da war und nach mir da sein
wird, vorausgesetzt, daß es etwas dergleichen giebt. Nach meinem Begriff
ist also das Ding an sich die Voraussetzung desjenigen, was von den Dingen
übrig bleibt. jH. meint ohne Zweifel: das vorausgesetzte Etwas, das von
den Dingen übrig bleibt^, wenn man die Wahrnehmung davon abzieht, gleich¬
sam das Nettoobjekt gegenüber dem Bruttoobjekt, das die Sinne liefern.
Ich teile die Ansicht nicht, daß dann sofort nichts übrig bleibe, sondern es
bleibt vorläufig meiner Meinung nach dasjenige übrig, was die bestimmte
Wahrnehmung just an diesem Orte und in dieser Zeit bedingt jer meint: ver¬
ursacht !j, sei dies uun ein Subjektives oder ein Objektives. Der beste Aus¬
druck für das Ding an sich wäre »Ursache,« und zwar im gewöhnlichen
Sinne des Wortes, dann aber in seinem etymologischen Sinne, als Ur-Sache.
Dieser Ausdruck Ursache, als Ur-Sache, ist in der philosophischen Terminologie
von unschätzbarem Wert. Ich habe mir, offen gestanden, unter Kants »Ding
oder Dingen an sich« niemals etwas andres denken können, als was ich mir
auch unter den Monaden des Leibniz denken mußte." Kraft- und Lebens-
pnnkte nennt er sie an andrer Stelle. Sie sind nichts andres als die Atome,
die, ohne selbst körperlich zu sein, die Vorstellung des Körperlichen, der
Materie in uns erzeugen, sobald sie in einer gewissen Zahl und Gruppirung
beisammen sind.

In Beziehung ans die Erklärbarkeit der Welt, d. h. die Möglichkeit, alle
Erscheinungen aus der Beschaffenheit und den Bewegungen der Atome her¬
zuleiten, ist er seiner Sache uicht ganz gewiß. Während sich an einigen
Stellen hochfliegeude Erwartung äußert, klingen andre recht kleinmütig. „Was


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[0480] Hamcrlmg der Philosoph Das Unendliche ist nnr, insofern das Endliche, das Endliche mir, insofern das Unendliche ist, so gewiß das Sein nnr Sinn hat in Bezug ans ein Seiendes, das Seiende nnr dnrch das Sein seiend ist, und nur in figürlichen Sinne kann man sagen, das Unendliche ist endlich »geworden,« »weil« es sonst nicht hätte real »werden« können. In diesem bloß figürlichen Sinne sprach auch ich von einem Endlichwerden des Unendlichen, verwahre mich aber aufs entschiedenste gegen die Annahme eines »Werdens« im zeitlichen Sinne des Wortes. Ich wollte nur sagen: das Unendliche ist endlich, und so muß es sein, wen» es ein reales Sein, ein Leben ist. Das Unendliche ezlstirt nirgends als im Endlichen." Sehr scharf spricht er sich gegen jenen Idealismus aus, der die Wirklichkeit der Dinge leugnet. Die Dinge an sich eristiren. „Wenn ich vom Ding an sich rede, heißt es I, del, so meine ich nicht das Kantische Ding an sich. Schon darum nicht, weil ich uicht weiß, was das Kautische Ding an sich ist. Als ich Kant zum erstenmale las, da wußte ich es; seit ich aber die Werke der neueren Erklärer Kants gelesen, weiß ich es uicht. Nein, nicht die Kantischen Dinge an sich meine ich, sondern die des gesunden Menschenverstandes oder, wenn man will, die der Naturwissenschaft: das, was auch ohne mich da ist, vor mir da war und nach mir da sein wird, vorausgesetzt, daß es etwas dergleichen giebt. Nach meinem Begriff ist also das Ding an sich die Voraussetzung desjenigen, was von den Dingen übrig bleibt. jH. meint ohne Zweifel: das vorausgesetzte Etwas, das von den Dingen übrig bleibt^, wenn man die Wahrnehmung davon abzieht, gleich¬ sam das Nettoobjekt gegenüber dem Bruttoobjekt, das die Sinne liefern. Ich teile die Ansicht nicht, daß dann sofort nichts übrig bleibe, sondern es bleibt vorläufig meiner Meinung nach dasjenige übrig, was die bestimmte Wahrnehmung just an diesem Orte und in dieser Zeit bedingt jer meint: ver¬ ursacht !j, sei dies uun ein Subjektives oder ein Objektives. Der beste Aus¬ druck für das Ding an sich wäre »Ursache,« und zwar im gewöhnlichen Sinne des Wortes, dann aber in seinem etymologischen Sinne, als Ur-Sache. Dieser Ausdruck Ursache, als Ur-Sache, ist in der philosophischen Terminologie von unschätzbarem Wert. Ich habe mir, offen gestanden, unter Kants »Ding oder Dingen an sich« niemals etwas andres denken können, als was ich mir auch unter den Monaden des Leibniz denken mußte." Kraft- und Lebens- pnnkte nennt er sie an andrer Stelle. Sie sind nichts andres als die Atome, die, ohne selbst körperlich zu sein, die Vorstellung des Körperlichen, der Materie in uns erzeugen, sobald sie in einer gewissen Zahl und Gruppirung beisammen sind. In Beziehung ans die Erklärbarkeit der Welt, d. h. die Möglichkeit, alle Erscheinungen aus der Beschaffenheit und den Bewegungen der Atome her¬ zuleiten, ist er seiner Sache uicht ganz gewiß. Während sich an einigen Stellen hochfliegeude Erwartung äußert, klingen andre recht kleinmütig. „Was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/480>, abgerufen am 24.07.2024.