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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ihres Römische Geschichte

herbeizuführen. Erst der Widerstand seiner Gegner trieb ihn zu ungesetzlichen
Vorgehen, und er ging unter, weil ihm die Deckung einer Partei fehlte.
Deshalb suchte sich der jüngere Gracchus am Ritterstand einen Rückhalt zu
schaffen. Jhre urteilt mißgünstig, Gajus Gracchus Hütte den Teufel dnrch
Beelzebub austreiben wollen. Gewiß, viele Ritter möchten ebenso wenig wert
sein, wie die Mehrzahl unter den Senatoren. Aber es war doch nicht des
Gracchus Schuld, daß er bei so verlotterten Zuständen die Waffen nehmen
mußte, wo und wie er sie fand. Und Gracchus dachte auch gar nicht daran,
den Ritterstand an Stelle des Senatorenstandes als mächtigstes Glied des
Staatswesens einzusetzen; vielmehr wollte er selbst die Macht in Händen halten.
Jhre verkennt eben völlig die eigentlichen Ziele des Gracchus; er meint, ein
"Volksregiment," wie es sich Gracchus gedacht hätte, wäre undenkbar ohne
einen leitenden Mann an der Spitze, wie hätte das Volk Jahr auf Jahr solche
Männer finden können? "Männer" waren eben dazu gar nicht nötig, ein
Mann hätte genügt, und Gajus Gracchus war dieser Mann. Als sein
Tribunal im Jahre 123 ablief, ließ er sich für das Jahr 122 von neuem
wählen, und für 121 bewarb er sich zum drittenmal um das Amt. Daß das
Volk ihn bei seiner dritten Bewerbung fallen ließ, war der Anfang vom Ende.
Deshalb ist auch Ihres Vorwurf ungerecht, Gracchus Hütte unmögliches ge¬
wollt. Wir kennen seine letzten Ziele überhaupt nicht sicher und können nicht
wissen, was er in einer festern Stellung möglich gemacht Hütte. Das aber
ist klar, und Jhre Hütte das nicht übersehen sollen, daß Gracchus der erste
Römer war, der den allmächtigen Senat nicht nur schwächen, sondern zurück¬
drängen, die Macht teilen und sich selbst an die Spitze des Staates stellen
wollte. Unverständlich ist Ihres Betrachtung, die übrigens bei Cüsars Be¬
urteilung ähnlich wiederkehrt: "Etwas wesentlich Neues wollte er nicht schaffen.
Er gehört also nicht in die Reihe der genialen Naturen. Ganz im Geiste der
Männer, die vor ihm an der Ausbildung des römischen Verfassungs- und
Stnatswcsens gearbeitet haben, stellte er sich auf den Boden der gegebenen
Berhültuisse, und das Werk, das er im Auge hatte, war nichts andres als
eine Reform." Dies wäre doch eher ein Lob als ein Tadel! Hat denn je,
wenn es kein Phantast war, ein Mann gelebt, der nicht "auf dem Boden der
gegebenen Verhältnisse" gestanden hätte?

Im Gegensatze zu der Reform des Gracchus, die vor der Vollendung
durch deu frühzeitigen Tod ihres Urhebers unterbrochen wurde, bewundert
Jhre die Restauration Sullas, die er eine Restauration im großartigsten Stile
nennt. Auch hier kauu man dein Urteile des Verfassers nicht folgen. Wir
meinen, viel eher als Gracchus verdient Sulla den Vorwurf, unmögliches
gewollt zu haben und mit den abscheulichsten Mitteln. Das Glück hat ihm
bis zu seiner letzten Stunde beigestanden, er hat alles, was er für gut hielt,
unter Strömen von Blut durchsetzen und erzwingen können -- und schon in


Ihres Römische Geschichte

herbeizuführen. Erst der Widerstand seiner Gegner trieb ihn zu ungesetzlichen
Vorgehen, und er ging unter, weil ihm die Deckung einer Partei fehlte.
Deshalb suchte sich der jüngere Gracchus am Ritterstand einen Rückhalt zu
schaffen. Jhre urteilt mißgünstig, Gajus Gracchus Hütte den Teufel dnrch
Beelzebub austreiben wollen. Gewiß, viele Ritter möchten ebenso wenig wert
sein, wie die Mehrzahl unter den Senatoren. Aber es war doch nicht des
Gracchus Schuld, daß er bei so verlotterten Zuständen die Waffen nehmen
mußte, wo und wie er sie fand. Und Gracchus dachte auch gar nicht daran,
den Ritterstand an Stelle des Senatorenstandes als mächtigstes Glied des
Staatswesens einzusetzen; vielmehr wollte er selbst die Macht in Händen halten.
Jhre verkennt eben völlig die eigentlichen Ziele des Gracchus; er meint, ein
„Volksregiment," wie es sich Gracchus gedacht hätte, wäre undenkbar ohne
einen leitenden Mann an der Spitze, wie hätte das Volk Jahr auf Jahr solche
Männer finden können? „Männer" waren eben dazu gar nicht nötig, ein
Mann hätte genügt, und Gajus Gracchus war dieser Mann. Als sein
Tribunal im Jahre 123 ablief, ließ er sich für das Jahr 122 von neuem
wählen, und für 121 bewarb er sich zum drittenmal um das Amt. Daß das
Volk ihn bei seiner dritten Bewerbung fallen ließ, war der Anfang vom Ende.
Deshalb ist auch Ihres Vorwurf ungerecht, Gracchus Hütte unmögliches ge¬
wollt. Wir kennen seine letzten Ziele überhaupt nicht sicher und können nicht
wissen, was er in einer festern Stellung möglich gemacht Hütte. Das aber
ist klar, und Jhre Hütte das nicht übersehen sollen, daß Gracchus der erste
Römer war, der den allmächtigen Senat nicht nur schwächen, sondern zurück¬
drängen, die Macht teilen und sich selbst an die Spitze des Staates stellen
wollte. Unverständlich ist Ihres Betrachtung, die übrigens bei Cüsars Be¬
urteilung ähnlich wiederkehrt: „Etwas wesentlich Neues wollte er nicht schaffen.
Er gehört also nicht in die Reihe der genialen Naturen. Ganz im Geiste der
Männer, die vor ihm an der Ausbildung des römischen Verfassungs- und
Stnatswcsens gearbeitet haben, stellte er sich auf den Boden der gegebenen
Berhültuisse, und das Werk, das er im Auge hatte, war nichts andres als
eine Reform." Dies wäre doch eher ein Lob als ein Tadel! Hat denn je,
wenn es kein Phantast war, ein Mann gelebt, der nicht „auf dem Boden der
gegebenen Verhältnisse" gestanden hätte?

Im Gegensatze zu der Reform des Gracchus, die vor der Vollendung
durch deu frühzeitigen Tod ihres Urhebers unterbrochen wurde, bewundert
Jhre die Restauration Sullas, die er eine Restauration im großartigsten Stile
nennt. Auch hier kauu man dein Urteile des Verfassers nicht folgen. Wir
meinen, viel eher als Gracchus verdient Sulla den Vorwurf, unmögliches
gewollt zu haben und mit den abscheulichsten Mitteln. Das Glück hat ihm
bis zu seiner letzten Stunde beigestanden, er hat alles, was er für gut hielt,
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[0473] Ihres Römische Geschichte herbeizuführen. Erst der Widerstand seiner Gegner trieb ihn zu ungesetzlichen Vorgehen, und er ging unter, weil ihm die Deckung einer Partei fehlte. Deshalb suchte sich der jüngere Gracchus am Ritterstand einen Rückhalt zu schaffen. Jhre urteilt mißgünstig, Gajus Gracchus Hütte den Teufel dnrch Beelzebub austreiben wollen. Gewiß, viele Ritter möchten ebenso wenig wert sein, wie die Mehrzahl unter den Senatoren. Aber es war doch nicht des Gracchus Schuld, daß er bei so verlotterten Zuständen die Waffen nehmen mußte, wo und wie er sie fand. Und Gracchus dachte auch gar nicht daran, den Ritterstand an Stelle des Senatorenstandes als mächtigstes Glied des Staatswesens einzusetzen; vielmehr wollte er selbst die Macht in Händen halten. Jhre verkennt eben völlig die eigentlichen Ziele des Gracchus; er meint, ein „Volksregiment," wie es sich Gracchus gedacht hätte, wäre undenkbar ohne einen leitenden Mann an der Spitze, wie hätte das Volk Jahr auf Jahr solche Männer finden können? „Männer" waren eben dazu gar nicht nötig, ein Mann hätte genügt, und Gajus Gracchus war dieser Mann. Als sein Tribunal im Jahre 123 ablief, ließ er sich für das Jahr 122 von neuem wählen, und für 121 bewarb er sich zum drittenmal um das Amt. Daß das Volk ihn bei seiner dritten Bewerbung fallen ließ, war der Anfang vom Ende. Deshalb ist auch Ihres Vorwurf ungerecht, Gracchus Hütte unmögliches ge¬ wollt. Wir kennen seine letzten Ziele überhaupt nicht sicher und können nicht wissen, was er in einer festern Stellung möglich gemacht Hütte. Das aber ist klar, und Jhre Hütte das nicht übersehen sollen, daß Gracchus der erste Römer war, der den allmächtigen Senat nicht nur schwächen, sondern zurück¬ drängen, die Macht teilen und sich selbst an die Spitze des Staates stellen wollte. Unverständlich ist Ihres Betrachtung, die übrigens bei Cüsars Be¬ urteilung ähnlich wiederkehrt: „Etwas wesentlich Neues wollte er nicht schaffen. Er gehört also nicht in die Reihe der genialen Naturen. Ganz im Geiste der Männer, die vor ihm an der Ausbildung des römischen Verfassungs- und Stnatswcsens gearbeitet haben, stellte er sich auf den Boden der gegebenen Berhültuisse, und das Werk, das er im Auge hatte, war nichts andres als eine Reform." Dies wäre doch eher ein Lob als ein Tadel! Hat denn je, wenn es kein Phantast war, ein Mann gelebt, der nicht „auf dem Boden der gegebenen Verhältnisse" gestanden hätte? Im Gegensatze zu der Reform des Gracchus, die vor der Vollendung durch deu frühzeitigen Tod ihres Urhebers unterbrochen wurde, bewundert Jhre die Restauration Sullas, die er eine Restauration im großartigsten Stile nennt. Auch hier kauu man dein Urteile des Verfassers nicht folgen. Wir meinen, viel eher als Gracchus verdient Sulla den Vorwurf, unmögliches gewollt zu haben und mit den abscheulichsten Mitteln. Das Glück hat ihm bis zu seiner letzten Stunde beigestanden, er hat alles, was er für gut hielt, unter Strömen von Blut durchsetzen und erzwingen können — und schon in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/473>, abgerufen am 24.07.2024.