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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Drama und Publikum

Vorgehen in dieser Richtung sehen wir bisher, leider nur auf künstlerischem
Gebiete, in München, und es liegt aller Grund vor, zu wünschen, daß der
Sieg in dein Wettbewerb um den Ehrentitel der ersten Kunststadt der süd¬
deutschen Hauptstadt zufalle. Der natürlichen zentralisireuden Entwicklung
muß mit allen Mitteln eine dezeutralisirende Kraft entgegengestellt werden.
Unsere Verfassung selbst huldigt mit Recht diesem Standpunkte. Natürlich
werden in diesem Kampfe, von dein wir uns, wenn er erst einmal mit Kraft
aufgenommen wird für unsre geistige Entwicklung die schönsten Früchte ver¬
sprechen , die einander durch scharf ausgesprochene Stammeseigenart gegenüber¬
stehenden Elemente am meisten Aussicht auf Erfolg haben, während die lauen
und in der Mitte stehenden leicht Gefahr laufen, zerrieben zu werden. Not¬
wendig ist es jedoch keineswegs, und daher ist damit in keiner Weise die
Aufforderung zur Thatlosigkeit ausgesprochen. Bis jetzt aber sieht man ans
keiner Seite erwähnenswerte Bemühungen, den Kampf aufzunehmen.

Für das Drama meinen wir die Notwendigkeit des Kampfes nachgewiesen
zu haben. Der Mittel und Wege giebt es verschiedne. Vor allem müßten
die Theaterleitungen größerer Bühnen im Reiche ihr Augenmerk daraus richten,
einen Kreis von Dichtern dadurch an sich heranzuziehen, daß sie ihre Werke
zur Aufführung bringen, auch wenn sie noch nicht das Plaeet der Reichs-
hanptstndt erhalten haben. Zahlreiche, früher in litterarischer Beziehung hervor¬
ragende Bühnen haben hier, allzu willenlos und wohl auch aus Bequemlichkeit,
Berlin die Führung überlassen, ohne daß sich dieses bisher in irgend einer
Weise als besonders berufen dazu erwiesen hätte. Das Publikum zahlreicher
hervorragenden Städte, in denen auch ein reges geistiges Leben herrscht, ist
ganz anders geartet und zusammengesetzt als das Berliner und dürfte für
viele künstlerische Werke eine weit feinere Empfindung und größere Empfäng¬
lichkeit haben als dieses. Die beliebt gewordene Manier der reichshaupt-
städtischeu Presse aller Parteifärbungeu, alles Fremde, wenn es nicht jenseits
der Reichsgrenzen herkommt, totzuschweigen oder mit vornehmem Achselzucken
nbzuthnn oder erst dann zu sanktionieren, wenn es mit Spreewasser nach¬
getauft ist, würde, wenn man sich anderwärts thatsächlich regte, auf die Dauer
unhaltbar werdeu. Freilich auch die Dichter selbst müßten sich entwöhnen,
die Lorbeerkränze zuerst dort zu holen, wo sie im Übereifer oft so groß und
wuchtig geflochten werden, daß sie oft schon nach Wochen auf das richtige
Maß zurechtgeschnitten werden müssen. Die große Glocke, die in Bewegung
zu setzen ja so leicht ist, müßte nicht das Idol der Schaffenden bilden. Weniger
Tamtam, aber mehr stille, pflichtbewußte und darum aus sich selbst heraus
befriedigende Arbeit -- die Mahnung gilt leider auch den modernen Bühnen¬
dichtern.

Aber mit der Bekämpfung des schlechten Berliner Einflusses ist es nicht
gethan, so segensreich auch diese allein schon sein würde. Das Übel


Drama und Publikum

Vorgehen in dieser Richtung sehen wir bisher, leider nur auf künstlerischem
Gebiete, in München, und es liegt aller Grund vor, zu wünschen, daß der
Sieg in dein Wettbewerb um den Ehrentitel der ersten Kunststadt der süd¬
deutschen Hauptstadt zufalle. Der natürlichen zentralisireuden Entwicklung
muß mit allen Mitteln eine dezeutralisirende Kraft entgegengestellt werden.
Unsere Verfassung selbst huldigt mit Recht diesem Standpunkte. Natürlich
werden in diesem Kampfe, von dein wir uns, wenn er erst einmal mit Kraft
aufgenommen wird für unsre geistige Entwicklung die schönsten Früchte ver¬
sprechen , die einander durch scharf ausgesprochene Stammeseigenart gegenüber¬
stehenden Elemente am meisten Aussicht auf Erfolg haben, während die lauen
und in der Mitte stehenden leicht Gefahr laufen, zerrieben zu werden. Not¬
wendig ist es jedoch keineswegs, und daher ist damit in keiner Weise die
Aufforderung zur Thatlosigkeit ausgesprochen. Bis jetzt aber sieht man ans
keiner Seite erwähnenswerte Bemühungen, den Kampf aufzunehmen.

Für das Drama meinen wir die Notwendigkeit des Kampfes nachgewiesen
zu haben. Der Mittel und Wege giebt es verschiedne. Vor allem müßten
die Theaterleitungen größerer Bühnen im Reiche ihr Augenmerk daraus richten,
einen Kreis von Dichtern dadurch an sich heranzuziehen, daß sie ihre Werke
zur Aufführung bringen, auch wenn sie noch nicht das Plaeet der Reichs-
hanptstndt erhalten haben. Zahlreiche, früher in litterarischer Beziehung hervor¬
ragende Bühnen haben hier, allzu willenlos und wohl auch aus Bequemlichkeit,
Berlin die Führung überlassen, ohne daß sich dieses bisher in irgend einer
Weise als besonders berufen dazu erwiesen hätte. Das Publikum zahlreicher
hervorragenden Städte, in denen auch ein reges geistiges Leben herrscht, ist
ganz anders geartet und zusammengesetzt als das Berliner und dürfte für
viele künstlerische Werke eine weit feinere Empfindung und größere Empfäng¬
lichkeit haben als dieses. Die beliebt gewordene Manier der reichshaupt-
städtischeu Presse aller Parteifärbungeu, alles Fremde, wenn es nicht jenseits
der Reichsgrenzen herkommt, totzuschweigen oder mit vornehmem Achselzucken
nbzuthnn oder erst dann zu sanktionieren, wenn es mit Spreewasser nach¬
getauft ist, würde, wenn man sich anderwärts thatsächlich regte, auf die Dauer
unhaltbar werdeu. Freilich auch die Dichter selbst müßten sich entwöhnen,
die Lorbeerkränze zuerst dort zu holen, wo sie im Übereifer oft so groß und
wuchtig geflochten werden, daß sie oft schon nach Wochen auf das richtige
Maß zurechtgeschnitten werden müssen. Die große Glocke, die in Bewegung
zu setzen ja so leicht ist, müßte nicht das Idol der Schaffenden bilden. Weniger
Tamtam, aber mehr stille, pflichtbewußte und darum aus sich selbst heraus
befriedigende Arbeit — die Mahnung gilt leider auch den modernen Bühnen¬
dichtern.

Aber mit der Bekämpfung des schlechten Berliner Einflusses ist es nicht
gethan, so segensreich auch diese allein schon sein würde. Das Übel


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[0439] Drama und Publikum Vorgehen in dieser Richtung sehen wir bisher, leider nur auf künstlerischem Gebiete, in München, und es liegt aller Grund vor, zu wünschen, daß der Sieg in dein Wettbewerb um den Ehrentitel der ersten Kunststadt der süd¬ deutschen Hauptstadt zufalle. Der natürlichen zentralisireuden Entwicklung muß mit allen Mitteln eine dezeutralisirende Kraft entgegengestellt werden. Unsere Verfassung selbst huldigt mit Recht diesem Standpunkte. Natürlich werden in diesem Kampfe, von dein wir uns, wenn er erst einmal mit Kraft aufgenommen wird für unsre geistige Entwicklung die schönsten Früchte ver¬ sprechen , die einander durch scharf ausgesprochene Stammeseigenart gegenüber¬ stehenden Elemente am meisten Aussicht auf Erfolg haben, während die lauen und in der Mitte stehenden leicht Gefahr laufen, zerrieben zu werden. Not¬ wendig ist es jedoch keineswegs, und daher ist damit in keiner Weise die Aufforderung zur Thatlosigkeit ausgesprochen. Bis jetzt aber sieht man ans keiner Seite erwähnenswerte Bemühungen, den Kampf aufzunehmen. Für das Drama meinen wir die Notwendigkeit des Kampfes nachgewiesen zu haben. Der Mittel und Wege giebt es verschiedne. Vor allem müßten die Theaterleitungen größerer Bühnen im Reiche ihr Augenmerk daraus richten, einen Kreis von Dichtern dadurch an sich heranzuziehen, daß sie ihre Werke zur Aufführung bringen, auch wenn sie noch nicht das Plaeet der Reichs- hanptstndt erhalten haben. Zahlreiche, früher in litterarischer Beziehung hervor¬ ragende Bühnen haben hier, allzu willenlos und wohl auch aus Bequemlichkeit, Berlin die Führung überlassen, ohne daß sich dieses bisher in irgend einer Weise als besonders berufen dazu erwiesen hätte. Das Publikum zahlreicher hervorragenden Städte, in denen auch ein reges geistiges Leben herrscht, ist ganz anders geartet und zusammengesetzt als das Berliner und dürfte für viele künstlerische Werke eine weit feinere Empfindung und größere Empfäng¬ lichkeit haben als dieses. Die beliebt gewordene Manier der reichshaupt- städtischeu Presse aller Parteifärbungeu, alles Fremde, wenn es nicht jenseits der Reichsgrenzen herkommt, totzuschweigen oder mit vornehmem Achselzucken nbzuthnn oder erst dann zu sanktionieren, wenn es mit Spreewasser nach¬ getauft ist, würde, wenn man sich anderwärts thatsächlich regte, auf die Dauer unhaltbar werdeu. Freilich auch die Dichter selbst müßten sich entwöhnen, die Lorbeerkränze zuerst dort zu holen, wo sie im Übereifer oft so groß und wuchtig geflochten werden, daß sie oft schon nach Wochen auf das richtige Maß zurechtgeschnitten werden müssen. Die große Glocke, die in Bewegung zu setzen ja so leicht ist, müßte nicht das Idol der Schaffenden bilden. Weniger Tamtam, aber mehr stille, pflichtbewußte und darum aus sich selbst heraus befriedigende Arbeit — die Mahnung gilt leider auch den modernen Bühnen¬ dichtern. Aber mit der Bekämpfung des schlechten Berliner Einflusses ist es nicht gethan, so segensreich auch diese allein schon sein würde. Das Übel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/439>, abgerufen am 24.07.2024.